Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Deutsche Schulen als Integrationslabor
Eine große Herausforderung für das Bildungssystem: Etwa 300 000 Kinder und Jugendliche, die 2015 allein oder mit Verwandten nach Deutschland flüchteten, haben Schulunterricht erhalten. Das geschah mit hohem Engagement und oft reibungslos. Doch deutsche Schulen bleiben ein Integrationslabor.
Die Bundesländer haben mit Willkommensund Vorbereitungsklassen sowie Zentren für Deutsch als Zweitsprache reagiert. Dabei gab es unterschiedliche Wege zum Ziel: Mal wurden die geflüchteten Schüler rasch in reguläre Klassen aufgenommen, woanders waren Sprachtests Voraussetzung für eine Teilnahme am Regelunterricht, oder aber ein Übergang war erst nach einer vorgegebenen Zeit vorgesehen. Nach maximal einem Jahr sollten junge Flüchtlinge für Regelklassen fit sein. Dort müssten viele demnach 2016 angekommen sein.
Zu Beginn des Flüchtlingsandrangs waren es viele Ehrenamtliche und pensionierte Lehrer, die sich der Mega-Aufgabe stellten. Die Länder haben inzwischen auch kräftig neu eingestellt. In Berlin hat sich die Zahl der betroffenen Schüler im September 2016 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt – auf über 12 000 Kinder und Jugendliche in gut 1000 Willkommensklassen. Dafür stellte der Stadtstaat rund 1000 Lehrer ein.
Insgesamt sei „in den Schulen Beeindruckendes geleistet“worden, lobte Claudia Bogedan (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK). Da der Migrationsdruck 2016 geringer wurde und damit die Dringlichkeit von Unterricht für neue Flüchtlinge, ist von einer Beruhigung der Lage auch im Bildungssystem auszugehen. Dennoch: Die Friedrich-Ebert-Stiftung beziffert den Gesamtbedarf auf zusätzlich etwa 20000 Lehrer, den finanziellen Mehraufwand auf jährlich gut zwei Milliarden Euro.
Direkte Eingliederung ist sinnvoll Das Institut für empirische Migrationsund Sozialforschung an der Berliner Humboldt-Universität hat den Unterricht in Spezialklassen der Hauptstadt gründlich untersucht. Das Fazit: Licht und Schatten. So verursache ein von den Regelklassen getrennter Unterricht „eine ganze Reihe von organisatorischen Problemen. In Ermangelung eines Curriculums hängt es von den Lehrkräften ab, was die Kinder wie lernen. Weder finde eine regelmäßige Dokumentation des Lernstandes der Kinder statt, noch ist der Übergang in die Regelklassen formal geregelt. Zwar zeigten die Lehrer „ein hohes Engagement, alle Mängel auszugleichen“, seien in den Kollegien aber oft isoliert. „Zudem sind viele von ihnen nicht für das Unterrichten von Kindern qualifiziert.“
Eine pädagogisch sinnvolle Alternative sei ein schnellerer Übergang. So hätten sich einige Berliner Schulen dazu entschlossen, „geflüchtete Kinder und Jugendliche in altersentsprechende Regelklassen einzugliedern und dies mit täglichem Deutschunterricht zu ergänzen“, heißt es in der Humboldt-Studie. „Bei einer direkten Eingliederung der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen werden diese zudem von Anfang an nicht als scheinbar homogene, gesonderte Gruppe sichtbar. Dies wirkt möglichen Stigmatisierungen entgegen, und sie werden einfach als Teil der Schülerschaft angesehen.“(dpa)