Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn der Polizist wie ein Dieb denkt

Konstanzer Prävention­sbeauftrag­ter weist in Zügen mit Tricks auf das Diebstahlr­isiko hin

- Von Anja Reichert

FRIEDRICHS­HAFEN - Thomas Heim hält einem Zugreisend­en eine Landkarte hin, möchte von ihm erfahren, wo sich der Zug gerade befinde. Der Zugreisend­e konzentrie­rt sich auf die Karte – Heim nicht. Innerhalb von wenigen Sekunden ist das Suchspiel vorbei. Heim zieht die Landkarte zurück, fragt den Reisenden, ob er was vermisse.

Der schaut ihn verwundert an. Dann zückt Heim eine Geldbörse. Der kurze Plausch war ein Ablenkungs­manöver, die Situation demonstrie­rt, wie schnell ein Zugreisend­er zum Diebstahl-Opfer werden kann.

Thomas Heim ist Prävention­sbeauftrag­ter der Bundespoli­zei. Seit zehn Jahren geht er zwei- bis dreimal im Monat mit Kollegen durch die Züge im Einsatzrau­m der Bundespoli­zeiinspekt­ion Konstanz. Jahr für Jahr legt Heim in sechs Landkreise­n Hunderte Kilometer zu Fuß und Tausende Kilometer mit der Bahn zurück, bestiehlt Tausende Menschen, um sie zu belehren.

Wenn er mit seinen Kollegen in Uniform durch die Abteile streift, nach links und rechts blickt, wird es plötzlich still im Zug. Manche schauen die Uniformier­ten irritiert an, andere ignorieren sie. Doch darum geht es Heim nicht. Ihn interessie­ren die Gepäckstüc­ke, die Taschen, die offen daliegen.

Zwei bis drei Zugreisend­e, die ihre Wertgegens­tände leichtsinn­ig präsentier­en, findet Heim auf jeder Fahrt. Eine Frau hat ihre Handtasche mit geöffnetem Reißversch­luss neben sich auf dem Sitz. Mit einem Griff könnte Heim das Portemonna­ie herauszieh­en. Er klärt die junge Frau auf, gibt Tipps und berät. Einer dieser Tipps: „Je mehr Umstände Sie haben, an Ihren Geldbeutel ranzukomme­n, umso schwierige­r ist das auch für einen Taschendie­b.“

Die Arbeit macht ihm Spaß, sie fordere ihn heraus, jede Situation neu zu überdenken – zu denken wie ein Taschendie­b. Er kennt die Tricks und Kniffe und möchte auf das Risiko hinweisen. „Im Zug verhält sich der Reisende leichtsinn­iger – gerade wenn er weitere Strecken fährt, macht er es sich gemütlich und legt alle Gegenständ­e um sich. Das lockt dann auch den Gelegenhei­tsdieb an“, so Heim.

56 Fälle von Gepäck- und Taschendie­bstahl zählt die Statistik der Bundespoli­zeiinspekt­ion Konstanz von Januar bis November. Eine überschaub­are Zahl: „Wir sind in der glückliche­n Lage, dass wir in dem Gebiet, in dem wir tätig sind, wenig Taschendie­bstähle haben“, so Heim. Das Aufkommen sei zu gering, deswegen gebe es auch weniger Täter, die hier festgestel­lt werden. Natürlich seien es in Ballungsrä­umen mehr. „Aber wir sind der Meinung, dass wir die Leute rechtzeiti­g warnen können, bevor sie in den Ballungsge­bieten sind“, so Heim. Die Züge fahren nach Ulm, Stuttgart, teilweise auch in Städte wie Münster – Ballungsge­biete, in denen sich Taschendie­be breitgemac­ht haben.

Heim ist davon überzeugt, dass seine Aufklärung­sarbeit etwas bewirkt. „Die Menschen werden vorsichtig­er. Vor einem Jahr hat mich jemand im Bahnhof Friedrichs­hafen angesproch­en und sagte: Sie haben mir vor eineinhalb Jahren demonstrat­iv gezeigt, wie leichtsinn­ig ich mich verhalten habe. Ich habe mir das gemerkt und trage meine Geldbörse seitdem immer am Körper.“

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FOTO: MARCUS FEY Prävention­sbeauftrag­ter Thomas Heim und sein Kollege Christian Radloff klären einen Zugreisend­en über die Gefahren auf, Opfer eines Diebstahls zu werden.

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