Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nichts ist unmöglich
Langläuferin Nicole Fessel trumpft beim Tour-de-Ski-Heimrennen auf und liebäugelt mit der WM 2021
OBERSTDORF - Das „Allgäu 21“hatte ihr Teamkollegin Sandra Ringwald auf die Backe gemalt. Botschafterin will Skilangläuferin Nicole Fessel sein für ihre Heimat, für die Nordische Ski-Weltmeisterschaft 2021 in Oberstdorf. Sie versteht sich offenbar auf PR, die 33-Jährige: Auf den WM-Strecken im Ried war sie bei der dritten Etappe der Tour de Ski am Dienstag im Skiathlon (je fünf Kilometer klassischer und freier Stil) beste deutsche Starterin. Platz sechs beim Sieg der Schwedin Stina Nilsson hat Nicole Fessel auch mit der Tour de Ski 2016/17 versöhnt. Abgehakt ist der Frust nach Sprint-Rang 43 zum Einstieg im Val Müstair, fortgesetzt der Positivtrend vom FünfKilometer-Massenstartrennen mit Position zwölf. Und alles das zu Hause: „Ich kenn’ die Leute, ich kenn’ die Strecke, das Wetter ist schön, es liegt Schnee. Ein Traumtag!“
Dem wäre nichts hinzuzufügen, hätte Nicole Fessel bei dieser dritten Tour-Etappe nicht einen Auftritt gezeigt, der selbst Stadion-Co-Moderator Tobias Angerer Hochachtung abrang. Der Gewinner der ersten Tour de Ski vor zehn Jahren sprach von einer „Weltklasseleistung“; die Frau vom SC Oberstdorf sagte es lieber so: Der Tour-Auftakt im Val Müstair, „das sind einfach nicht meine Wettkämpfe gewesen. Ich bin ja Distanzläuferin. Jetzt will ich meine Form auch zeigen.“
Die stimmt, das hatten diesen Winter bereits zwei Top-Ten-Resultate bewiesen – Lohn auch einer effektiven Vorbereitung ganz ohne Krankheitsunterbrechung, mit vielen langen Einheiten. Nicole Fessel ist fit, Weltcup-Einsatz Nr. 224 war da ein veritabler Gradmesser: 40 Meter Höhenunterschied je 2,5-Kilometer-Schleife, 362 Meter Bergauf-Part auf die komplette Distanz, der „Burgstall“als berüchtigtster, knackigster Abschnitt. „Am Anstieg hab’ ich mich schon sehr gut gefühlt, da konnte ich immer wieder Positionen gutmachen.“Beiläufig fast sagt Nicole Fessel das, spricht lieber über das Anfangstempo („nicht so extrem hoch“), über den Start in der Mitte des Feldes („schwierig, weil ich mich erst mal positionieren muss, um einen normalen Schritt zu laufen“). Dann habe sie „ganz gut reingefunden.“Und nur nach Zielfoto-Auswertung der Amerikanerin Sadie Bjornsen den Vortritt – Rang fünf – lassen müssen.
Das störte niemanden. Weder die 4700, die ihre Freude hatten an der Freude Nicole Fessels, noch die Gefeierte. Die wusste ihre Familie aus dem nahegelegenen Blaichach an der Strecke, die Freunde. Motivation? Oder doch Belastung? „Ich war schon aufgeregter als sonst. Aber ich mach’ das ja schon ein paar Jahre. 2005 war ich bei der Weltmeisterschaft hier am Start, da war ich sehr, sehr, sehr nervös, das hat mich etliche Plätze gekostet. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt.“Sehr gut gelernt: Sechsmal vertrat Nicole Fessel Deutschland bei einer WM – die Norm für die Titelkämpfe in Lahti Ende Februar ist längst erfüllt. Drei Olympiateilnahmen weist die Statistik zudem aus; Höhepunkt hier: Staffel-Bronze in Sotschi. Als Startläuferin, klassisch.
Am Dienstag war Nicole Fessel in beiden Stilarten gefordert, heute um 11.30 Uhr stehen im Ried die zehn Kilometer Verfolgung im freien Stil auf dem Fahrplan. Nicole Fessels Agenda für die weiteren vier Etappen der Tour: „Hauptziel ist, gesund durchzukommen.“Und dann? „Möchte ich natürlich auch ein gutes Ergebnis im Endklassement haben.“Als GesamtElfte ist sie jetzt beste Starterin des Deutschen Skiverbandes (wie in der Weltcup-Gesamtwertung als 14.).
Das Allgäu hat eine prima Botschafterin. Die 2021 mit dann fast 38 Jahren zu ihrer neunten WM antritt? In Oberstdorf? Zu Hause? Sie liebe Langlauf, antwortet Nicole Fessel. „Nichts ist unmöglich.“
SZ-Sportredakteur Joachim Lindinger begleitet seit vielen Jahren die Wintersportereignisse in der Region. Seine Eindrücke schildert er auch auf: www.schwaebische.de/seitenspruenge