Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Mit klaren Werten das Chaos überwinden“
General a.D. Schneiderhan fordert beim Dreikönigskommers mehr Verbindlichkeit
RAVENSBURG - Nur klare Werte wie die Ordnungsmacht des Staates, Arbeit, Leistung und Sicherung der Eigentumsrechte können Deutschland und Europa als Stabilitätsraum erhalten: Mit einer deutlichen Ansprache an über 300 Gäste des 131. Dreikönigskommerses in Ravensburg hat Wolfgang Schneiderhan, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, am Freitag deutlich gemacht, wie das „Dickicht globaler Verwerfungen und chaotischer Umbrüche“zu überwinden ist. Weiter nannte er Werte wie Chancengleichheit zu Bildung, Ausbildung und Arbeit, die positive Haltung zu Erfindung und Fortschritt sowie die Hochkultur. Der Staat habe die psychische wie physische Unversehrtheit seiner Bürger zu sichern.
Einen General, auch einen General im Ruhestand, zwei Stunden auf seinen Auftritt warten zu lassen: normalerweise ein Unding. Beim Dreikönigskommers der im Cartellverband (CV) zusammengeschlossenen Studentenverbindungen aber gibt es feste Rituale, die selbst ein Vier-Sterne-General außer Dienst wie Wolfgang Schneiderhan nicht so einfach außer Kraft setzen kann.
Im Schwörsaal wechseln sich Grußworte und Begrüßungen ab. Immer wieder singen die Teilnehmer, „Corona“genannt, Lieder aus der Tradition der Verbindungen. Immer wieder erinnert der Organisator der Veranstaltung, der ehemalige Sigmaringer Landrat Dirk Gaerte aber auch daran, dass der CV kein Selbstzweck, kein Männerbündnis, kein Netzwerk sei. Von allem hat der CV sicher ein wenig, sicher, aber vorrangig sei: „Für Staat und Gesellschaft stehen wir ein“, betont Gaerte mehrere Male.
Doch welche Werte geben Orientierung bei dieser Aufgabe? Mit Wolfgang Schneiderhan hat Gaerte einen Redner gefunden, der schon in seiner aktiven Zeit, zuletzt als oberster Soldat der Bundeswehr, immer wieder daran erinnerte, dass ohne ein klares Wertegerüst kein Staat zu machen sei.
Und jetzt, als der 70-Jährige nach zwei Kommers-Stunden ans Rednerpult tritt, wird es im bis dahin schon etwas bierselig-lauten Schwörsaal ruhig. Denn Schneiderhan ruft nicht nur die eingangs erwähnten Werte in Erinnerung. Er sieht den Verlust der Werteordnung: „Das traditionelle Korsett hierarchisch geordneter Werte ist durch ein Wertekarussell ersetzt worden, das sich ständig und schnell bewegt.“Es sei nicht mehr möglich heute zu sagen, „was nächsten Monat von Politik und Medien als Spitzenwert etabliert werden wird.“Das Christentum habe „eindeutige Spitzenwerte“, die immer noch für die meisten Menschen der bürgerlichen Welt verbindlich seien.
Diese Verbindlichkeit, die Vertrauen schaffe, Komplexität erträglich mache und einmal gefasste Entscheidungen verstetige, gelte eben nicht mehr für alle und alles. An die Stelle traditioneller Werte seien Pseudowerte wie Pluralität oder Nachhaltigkeit getreten, die aber keine Verbindlichkeit erzeugten: „Oder nehmen Sie die Diskussion um Menschenrechte für Tiere oder die um Genderbezeichnungen an öffentlichen Toiletten.“
„Einigkeit, Recht, Freiheit“Schneiderhan, der sich das Programm des Dreikönigskommerses offensichtlich gut angeschaut hat, nimmt die CV-Corona anhand ihrer eigenen Tradition in die Pflicht. Denn die Nationalhymne gehört zum Kommers wie das Bier: Die dort genannten Werte – Einigkeit und damit auch Integration, Recht mit der Grundordnung und Freiheit, die die Hymne als „des Glückes Unterpfand“bezeichnet – geben die Richtung vor, die Schneiderhan als zielführend in der Wertediskussion ansieht. Als die 300 Zuhörer wenig später die dritte Strophe des „Lieds der Deutschen“singen, mag ihnen die eben erläuterte tiefere Bedeutung der ersten Worte – „Einigkeit und Recht und Freiheit“– durch den Kopf gehen.
Dass das Programm dem Festredner nur knappe 20 Minuten zuweist, manche Begrüßung länger, dafür aber inhaltlich deutlich flacher ausfällt als die eigentliche Festrede: bedauerlich, mehr als ein Schönheitsfehler. So muss Schneiderhan seine Gedanken zu den Gründen des Werteverlusts abkürzen und kann nur andeuten, warum „die vernunftgesteuerte, wertesichere Mitte“verloren gegangen sei und die „mürrische Indifferenz“Oberhand gewonnen habe.
Die Gelegenheit, den General dazu zu hören, wird sich ergeben: Immer wieder ist der Oberschwabe in seiner Heimat unterwegs – und wird ausstehende Antworten sicher nachliefern.