Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Heldenverehrung für ein Pop-Genie
Ein Jahr nach David Bowies Tod treibt der Kult um den Musiker immer neue Blüten
LONDON/BERLIN/NEW YORK (dpa) - Überall das gleiche Bild: Berge von Blumen, Geschenke, Trauerbriefe und Liebesbekundungen. In allen drei Metropolen war der 11. Januar 2016 ein Tag, an dem Menschen fassungslos zusammenkamen. Tag eins nach dem Tod von David Bowie.
Songtitel des Rock-Superstars wurden spontan umgedeutet: Der „Starman“hatte die Erde nach 69 Jahren verlassen. Der tragische Astronaut „Major Tom“war endgültig in der unbekannten Umlaufbahn verschwunden. Einer der großen „Heroes“der Popkultur war verstummt.
Wer weniger anfällig ist für solche Erschütterung über den Tod eines Weltstars, fragte sich damals – und womöglich bis heute: Was hatte David Bowie, dass gerade dieser zweifellos begabte, einflussreiche und erfolgreiche Musiker eine vergötterte Kultfigur im Leben und auch danach werden konnte?
Denn Vergleichbares ist rar: vielleicht noch Elvis Presley mit der Pilgerstätte Graceland in Memphis in Tennessee. Oder der Doors-Sänger Jim Morrison in seinem stets von Kerzen erleuchteten Grab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise. Die Bowie-Verehrung scheint ähnliche Formen anzunehmen. Und sie hat sogar drei Kult-Orte: die für seine Karriere wichtigsten drei Städte.
Wandbild in London Für umgerechnet rund 300 000 Euro erwirbt ein anonymer Bieter genau am 11. November im Londoner Auktionshaus Sotheby's den „Radio-Phonograph Model No. RR 126“von Achille und Pier Giacomo Castiglioni, einen edlen Stereoschrank aus den 1960er-Jahren. Bei maximal 1200 Pfund lag der Schätzwert. Dem Bieter ist's egal, er zahlt – einzig und allein weil früher mal ein Kunst- und Design-Sammler namens David Bowie seine Platten auf der schicken Anlage abgespielt hatte. Betuchte Popfans und ihre luxuriöse „BowieMania“treiben den Gesamterlös für die 350 Werke der Auktion auf knapp 40 Millionen Euro.
Bowie wurde 1947 in der Stansfield Road geboren. Daran erinnert freilich nicht mal ein kleines Schild an dem Reihenhaus. Dafür wird der berühmteste Sohn des auch heute noch leicht schäbigen Londoner Viertels fünf Fußminuten entfernt mit einem Wandbild geehrt. Es zeigt Bowie als Glamrocker vom Anfang der 1970er-Jahre.
Inzwischen hat sich Charlie Fowler vor dem Wandbild eingefunden, das am 11. Januar fast verdeckt war wegen all der Fan-Geschenke. Der 52-Jährige mit rötlich gefärbten Haaren – im frühen Bowie-Stil – ist Sänger von David Live, einer der besten von vielen Tribute-Bands in Großbritannien. Regelmäßig tritt er vor bis zu 2500 Fans auf. Seine „Heroes“Version ist dann vom Original kaum zu unterscheiden. „Die Band hat nie daran gedacht, nach Davids Tod aufzuhören“, sagt Fowler. „Im Gegenteil: Wir spüren jetzt Verantwortung, seine Musik mit großem Respekt weiterzutragen.“
Insgesamt 13 Londoner Örtlichkeiten für Bowie-Fans empfiehlt das Stadtmagazin „Timeout“– vom Brixtoner Bild über das Geburtshaus, die Stockwell-Grundschule, die Deccaund Trident-Aufnahmestudios, den Konzerttempel Hammersmith Apollo bis zum Victoria and Albert Museum.
Eingemeindet in Berlin Auch in Berlin war die Ausstellung in einem großen Museum zu sehen, sogar mit einem Extrateil – wegen der besonderen Beziehung Bowies zu der Stadt, die Jahrzehnte durch die Mauer getrennt war. Der MartinGropius-Bau, direkt an der früheren DDR-Grenze zwischen Ost und West gelegen, ist daher jetzt an Samstagen Ausgangspunkt für den „BowieWalk“mit Philipp Stratmann.
Der Fremdenführer erklärt den überwiegend britischen Bowie-Fans in perfektem Englisch, warum der Musiker Mitte der 1970er-Jahre von der Stadt am „Eisernen Vorhang“so fasziniert war. Und wie er in den – deswegen heute weltberühmten – Hansa Studios einige seiner besten Alben schuf. „Viele Berliner sehen David Bowie als ihren, als einen Berliner Künstler.“
Stratmann führt die Pop-Touristen am einstigen Todesstreifen entlang zum Studiogebäude in der Köthener Straße, zum Potsdamer Platz, zum Reichstag – und schließlich zur Schöneberger Hauptstraße 155, wo der Musiker 1976 bis 1978 weitgehend anonym lebte und seine Kokainsucht überwand. Dort wurde im Sommer eine Gedenktafel aufgehängt, die Bowies legendäre Berliner Jahre würdigt.
Buchautor Tobias Rüther, der wohl beste Kenner dieser Karrierephase, erklärt den Schritt des Weltstars in die Grenzstadt-Tristesse so: „Bowie war damals sehr anfällig für Geschichte. Er hat seine Wurzeln gesucht, seine Kindheitshelden – das waren Bert Brecht, der Expressionismus eines Erich Heckel, der deutsche Film der 1920er-Jahre. Hier konnte er zugleich in einer politisch extrem angespannten Welt leben, daraus bezog er künstlerische Energie.“
Wahlheimat New York Auch wenn er aus London stammte und in Berlin seine wohl beste Zeit als Musiker hatte – Bowie sah sich viele Jahre als New Yorker. Doch selbst Fans wussten gar nicht, dass der nach einem Herzinfarkt mit Ehefrau Iman (61) und Tochter Alexandra sehr zurückgezogen lebende Popstar im „Big Apple“zu Hause war. Nach seinem Tod sprach es sich dann aber doch schnell herum. Vor seiner Wohnung stehen haufenweise Blumen, Kuscheltiere und Kerzen.