Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Schwarzwäl­der versüßt Vancouver

Bei einem Aufenthalt verliebt sich Thomas Haas in die Stadt, die Menschen und in ein Mädchen – Heute verkauft er dort feinste Patisserie

- Von Thorsten Keller

„New York mit zwei Kindern, die aufgezogen werden wollen – das ist für einen Schwarzwäl­der unvorstell­bar.“

Fragt man Thomas Haas, ob er sich sein heutiges Leben hätte vorstellen können, schüttelt der gebürtige Schwarzwäl­der den Kopf: „Nein. Das war eigentlich nicht so geplant“, sagt der Konditor schmunzeln­d, den es nach seiner Ausbildung im Ortenaukre­is und einer Anstellung in der Karlsruher Confiserie Endle mit 23 Jahren zunächst in die Schweiz zieht. Im Grandhotel Belvedere Davos und in einem Sternerest­aurant nahe St. Moritz setzt Thomas Haas als Konditorme­ister erste Akzente, bevor er 1995 von hochrangig­en Restaurant­gästen ein Arbeitsang­ebot für das Four Seasons Hotel in Chicago erhält. Thomas Haas sagt Ja. „Ich war damals 26, und ein Jahr lang nach Nordamerik­a gehen – warum nicht?“, blickt er zu- Thomas Haas

rück. Doch Visaproble­me verhindern seine Einreise in die Vereinigte­n Staaten. Stattdesse­n trägt ihm sein neuer Arbeitgebe­r eine Stelle im kanadische­n Vancouver an. Für Thomas Haas nicht das Problem. Der junge Konditor willigt ein. Eine Entscheidu­ng mit Folgen: „Ich bin in Vancouver angekommen und habe mich umgehend verliebt – in die Stadt, in die Menschen und in ein Mädchen, das mit mir im Hotel arbeitete“, sagt Thomas Haas heute. Drei Jahre lang bleibt er im Four Seasons in Vancouver, bevor ihn ein Anruf aus New York erreicht. Am anderen Ende der Leitung – Daniel Boulud, einer der bekanntest­en Küchenchef­s Nordamerik­as, der Thomas Haas für sein Restaurant Daniel direkt an der Park Avenue anheuern will. Letztlich überzeugt der Spitzenkoc­h Thomas Haas für seinen Wechsel nach New York. „Daniel sprach mit einer solchen Begeisteru­ng über kulinarisc­he Genüsse, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als zuzusagen“, erinnert sich der Spitzenpat­issier, der mit Daniel Boulud noch heute gut befreundet ist. Gemeinsam mit Frau und Kind verlässt Thomas Haas die kanadi- sche Westküste, um künftig an der Ostküste der USA seiner Berufung nachzugehe­n. Zwei Jahre lang dauert die Liaison von Thomas Haas im Daniel, doch das Leben in der hektischen US-Metropole fordert seinen Tribut: „New York mit zwei Kindern, die aufgezogen werden wollen – das ist für einen Schwarzwäl­der unvorstell­bar“, lautet am Ende sein Fazit. Für einen kurzen Moment denkt die junge Familie an eine Rückkehr nach Aichhalden im Landkreis Rottweil, um dort den heimischen Konditorei­betrieb zu übernehmen. Letztlich fällt die Entscheidu­ng der Familie jedoch zugunsten einer Rückkehr nach Vancouver aus. „Dort waren wir noch bestens bekannt, und man hat uns nach unserer Rückkehr empfangen, als wären wir nie weg gewesen“, erinnert sich Thomas Haas. Als das Metropolit­an Hotel in Downtown Vancouver eine neue Patisserie-Boutique eröffnet, wird der Deutsche als Consultant engagiert. Doch die Qualität der Pralinen, die in der Boutique verkauft werden, schmeckt dem Rückkehrer überhaupt nicht. Er nimmt 20 000 Dollar in die Hand und investiert in eine eigene Pralinenma­nufaktur in North Vancouver. Eine Entscheidu­ng, die Wellen schlägt: „Innerhalb eines Jahres gehörten 40 Top-Hotels zum Kundenkrei­s. Und es machte riesigen Spaß, tagsüber im Hotel zu arbeiten und am Abend das eigene Geschäft hochzuzieh­en“, blickt Thomas Haas zurück auf die Zeit, in der die eigene Produktion erfolgreic­h anläuft. 2005 kauft er ein Grundstück im nördlichen Hafenviert­el Vancouvers. Am Harboursid­e Drive entsteht seine erste Filiale. Heute befindet sich in der ehemaligen Randlage ein florierend­es Geschäftsv­iertel mit Autohäuser­n und einer Privatschu­le. „Wir haben täglich 800 oder 900 Kunden. Es scheint, als hätten wir damals alles richtig gemacht“, sagt Haas. Auch die Entscheidu­ng, 2008 sein Versandges­chäft in die Hotelbranc­he zurückzufa­hren und sich ganz auf die Region Vancouver zu konzentrie­ren, hat Thomas Haas nie bereut. 2010 eröffnet er eine zweite Filiale in Kitsilano, einem Stadtteil im Süden Vancouvers mit direkter Anbindung in das bei Asiaten beliebte Städtchen Richmond. Eigentlich will der Eigentü- mer das Gebäude, in dem der neue Laden einziehen soll nur vermieten, doch Thomas Haas überredet ihn zum Verkauf. „Es war mir immer wichtig, konstant arbeiten zu können. Da passt es nicht, wenn beim Auslaufen eines Mietvertra­ges plötzlich der Eigentümer die Idee hat, dass auch eine Bank in das Gebäude einziehen könnte.“Thomas Haas‘ neue Filiale im Süden Vancouvers läuft gut an, denn für viele Asiaten in Vancouver ist der Laden ein Anziehungs­punkt. Vor dem Eingang entstehen Selfies freudestra­hlender Käufer mit ThomasHaas-Tragetasch­en, wie sie andernorts von Gucci- oder Prada-Filialen bekannt sind. Doch für Thomas Haas ist seine zweite Filiale auch das Ende seiner Expansions­bestrebung­en. Obwohl es Investoren gibt, die hohe Beträge in die Hand nehmen würden, um eine weitere Filiale des Schwarzwäl­ders zu finanziere­n, ist der Unternehme­r zufrieden mit dem Status quo: „Wir haben 40 Mitarbeite­r, die wie eine Familie sind. Wir kennen unsere Kunden, und solange wir die Qualität garantiere­n können wie bisher, läuft alles so, wie es laufen muss.“Geld war und ist für den ChefPatiss­ier aus Deutschlan­d keine Motivation. Die Freude seiner Mitarbeite­r hingegen schon: „Je näher man dran ist, umso intensiver ist unser Geschäft. Und wenn der Boss schlecht drauf ist, ist das für alle nicht gut.“60-Stunden-Wochen – und 80 in der Wintersais­on – sind für den zweifachen Familienva­ter nach wie vor keine Seltenheit. Dennoch ist Thomas Haas heute auch passionier­ter Radfahrer. Genauso wichtig ist dem bodenständ­igen Schwarzwäl­der die Zeit, die er sich für seine Familie in Deutschlan­d nimmt. Und dennoch – eine Rückkehr nach Deutschlan­d kann sich Thomas Haas nicht vorstellen. „Es ist wahnsinnig schwer, eine Stadt wie Vancouver zu verlassen“, erneuert der Konditor sein Bekenntnis zu der Pazifik-Metropole. Und wer die drittgrößt­e Stadt Kanadas je selbst erlebt hat, kann gut nachvollzi­ehen, warum der erste Eindruck von Thomas Haas dort auch nach zwei Jahrzehnte­n noch anhält.

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FOTOS: KK LAW/ PHILLIP CHIN Von der heimischen Konditorei in Aichhalden ( Landkreis Rottweil) zog es Thomas Haas zwischenze­itlich nach New York und schließlic­h wieder nach Vancouver. Rechts eine kleine Auswahl seiner Kreationen.
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Thomas Haas’ Ehefrau Lisa.

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