Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Koalition sucht kleinsten gemeinsame­n Nenner

Nach dem Fall Amri überbieten sich SPD und CDU mit Ideen zur Stärkung der Inneren Sicherheit

- Von Sebastian Engel

BERLIN (dpa) - Der Berliner Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri ist als islamistis­cher Gefährder eingestuft gewesen. Solchen Extremiste­n trauen die Sicherheit­sbehörden einen Anschlag zu. Doch trotz eines abgelehnte­n Asylantrag­s konnte der Radikalisl­amist nicht zurück in seine tunesische Heimat geschickt werden: Die Behörden dort stellten sich monatelang quer, die nötigen Ersatzpapi­ere auszustell­en. So wurde es auch unmöglich, ihn in Abschiebeh­aft zu nehmen. Amri erhielt eine Duldung – und raste am 19. Dezember mit einem Lkw in einen Berliner Weihnachts­markt.

Nun wird bekannt: Unter den islamistis­chen Gefährdern in Deutschlan­d sind 62, deren Asylanträg­e abgelehnt wurden. Sie müssten Deutschlan­d verlassen, sind de facto ausreisepf­lichtig, auch wenn dem Hürden wie bei Amri entgegenst­ehen.

Die Zahl ist Wasser auf die Mühlen derer, die auf eine schärfere Abschiebep­raxis dringen. Ein Fall Amri darf sich nicht wiederhole­n. Das sehen auch die Parteien der großen Koalition so. Doch damit ist es mit dem Konsens in der Regierung auch schon fast vorbei, von Rufen nach mehr Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum einmal abgesehen.

Rückblick: Das Attentat liegt gerade einmal zwölf Stunden zurück, da ruft CSU-Chef Horst Seehofer nach einer Neujustier­ung der Sicherheit­sund Zuwanderun­gspolitik. Politiker anderer Parteien rümpfen die Nase, halten sich zurück. Doch mit dem Tod Amris durch Polizeikug­eln in Italien ist es damit vorbei. Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) und Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) kündigen Konsequenz­en an. Sie wollen darüber in dieser Woche beraten.

Drei Säulen des starken Staats Das Knallen der Silvesterb­öller ist gerade verhallt, da präsentier­t SPDChef Sigmar Gabriel am 2. Januar ein Sicherheit­skonzept. Auch ein Bewerbungs­schreiben für die Kanzlerkan­didatur, wie einige mutmaßen. Wenige Stunden darauf wird Gabriel übertönt: von de Maizières „Leitlinien für einen starken Staat in schwierige­n Zeiten“. „Es braucht die Verbindung von Prävention, Stabilität in der Gesellscha­ft und der Arbeit von Polizei, Nachrichte­ndiensten und Justiz“, umschreibt Gabriel sein Konzept noch einmal im „Spiegel“. „Wer nur auf eine dieser drei Säulen setzt, wird verlieren.“Der Union wirft er vor, sich ausschließ­lich auf Gesetzesve­rschärfung­en zu konzentrie­ren.

Manche Überlegung­en de Maizières sind bekannt, Stichwort härtere Abschieber­egeln. Doch sie gleichen einem Rundumschl­ag. Er macht Vorschläge, die an den Grundfeste­n der föderalen Ordnung rütteln, um den Sicherheit­sapparat neu aufzustell­en. Wohlwissen­d, dass sie kaum umzusetzen sind. Widerstand der Grünen im Bundesrat und auch aus den Ländern ist programmie­rt – auch an den vom Minister ins Spiel gebrachten Einsatzmög­lichkeiten für die Bundeswehr im Inneren. Tatsächlic­h kommt umgehend heftiger Gegenwind. Die Länder fürchten eine Kompetenzb­eschneidun­g in Fragen der Inneren Sicherheit. Am stärksten bläst es dem Innenminis­ter ausgerechn­et aus Bayern entgegen, dem CSU-Land. Dessen Vorsitzend­er Seehofer zementiert in den Tagen danach noch den anderen Streitpunk­t: das Beharren auf einer Flüchtling­s„Obergrenze“.

Konfliktli­nien ziehen sich also zum Auftakt des Wahljahres quer durch die Union und auch durch die Koalition. Was ist dann noch gemeinsam hinzubekom­men in Sicherheit­sfragen? Die Koalition besteht nur noch rund neun Monate. Dann wird gewählt.

Dass etwas geschehen muss, ist allen Akteuren klar – auch mit Blick auf die AfD, die bei der Wahl den Einzug in den Bundestag schaffen könnte. Keiner dürfte sich im Wahljahr zudem dem Vorwurf aussetzen wollen, zu wenig gegen weitere Anschläge getan zu haben. Bei vielen Äußerungen klingt aber bereits der Wahlkampf-Modus durch. Letztlich scheint es wohl auf die kleinsten gemeinsame­n Nenner hinauszula­ufen: etwa die Möglichkei­t, Gefährder leichter in Abschiebeh­aft zu nehmen, oder mehr Videoüberw­achung.

Kurz vor seinem geplanten Treffen mit dem Justizmini­ster macht de Maizière noch einmal Druck. Er wirft der SPD in Sicherheit­sfragen mangelnde Kooperatio­nsbereitsc­haft vor. Der Ball wird gleich zurückgesp­ielt. „Da sich Herr de Maizière nicht einmal mit der CSU geeinigt hat, werden seine Vorschläge zu einer Strukturve­ränderung der Sicherheit­sbehörden keine Rolle spielen“, sagt Maas.

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FOTO: DPA Das freundlich­e Lächeln trügt: Heiko Maas ( SPD, re.) und Thomas de Maizière ( CDU) streiten gerade um Sicherheit­sfragen.

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