Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Grünen-Forderung nach Sex für Pflegebedürftige stößt auf Kritik
Widerstand gegen vorgeschlagene Finanzierung von Intimdiensten durch Kommunen – SPD warnt vor „Prostitution auf Rezept“
BERLIN - Pflegebedürftige und Schwerkranke sollen nach Ansicht der Grünen Sex mit Prostituierten bezahlt bekommen können. Das forderte in der „Welt am Sonntag“die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg. „Eine Finanzierung für Sexualassistenz ist für mich vorstellbar“, sagte sie. „Die Kommune könnte über entsprechende Angebote vor Ort beraten und Zuschüsse gewähren.“
Vorbild für die Idee wären die Niederlande: Dort gibt es dem Bericht zufolge bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit, sich als Pflegebedürftiger die Dienste sogenannter Sexualassistentinnen – zertifizierter Prostituierter – bezahlen zu lassen.
Sexualassistenz ist den Angaben zufolge derzeit ein Trend in der deutschen Pflege: Es gebe immer mehr Prostituierte, die sich diese Zusatzbezeichnung gäben und zum Beispiel in Pflegeheimen ihre Dienste anböten. Da die Berufsbezeichnung nicht geschützt sei, existierten jedoch große Qualitätsunterschiede, etwa beim Umgang mit Demenzkranken.
Scharfenbergs Vorschlag stieß am Wochenende auf Kritik. So wies SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach die Idee klar zurück. „Ich warne davor, dass wir diesen Bereich kommerzialisieren“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Prostitution auf Rezept ist der falsche Weg.“
Es gebe keinen Grund dafür, Dienstleistungen von Prostituierten von den Kassen erstatten zu lassen. Denn dabei gehe es nicht um medizinische Zwecke. Lauterbach betonte, es sei wichtig anzuerkennen, dass Behinderte und Pflegebedürftige, die in Heimen leben, ein „Recht auf Sexualität“hätten. „Dafür brauchen wir insgesamt mehr Verständnis“, sagte er. Der Gesundheitsexperte sieht aber vor allem Pflegeeinrichtungen in der Pflicht: „Sie müssen dafür sorgen, dass Intimsphäre möglich ist.“
Das Konzept ist in der Pflegebranche umstritten. Pflegeforscher Wilhelm Frieling-Sonnenberg bezeichnete die Grünen-Forderung als „menschenverachtend“. Er ergänzte: „Da geht es allenfalls darum, Menschen durch sexuellen Druckabbau wieder funktionstüchtig machen zu wollen: Lasst die Alten Druck ablassen, dann sind sie pflegeleichter.“
„Segen“für Heimbewohner Dagegen argumentiert die Sexualberaterin für Pflegeheime, Vanessa del Rae. Die Prostituierten seien ein „Segen“für Heimbewohner und Pflegepersonal, sagte sie.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält wenig von dem Vorstoß: „Prostitution für Pflegebedürftige als Leistung der Kommunen: Damit gewinnen die Grünen die Hoheit über bundesdeutsche Stammtische.“Millionen Betroffenen helfe die Partei so allerdings nicht weiter. „Wer täglich damit zu kämpfen hat, beim Stuhlgang, Waschen und Essen Hilfe zu erhalten, hat andere Sorgen. Hier muss die Partei Vorschläge machen“, sagte Brysch am Sonntag.