Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kampf um die Zukunft der Arzneimitt­elversorgu­ng

Eingeschrä­nkter Versandhan­del mit Medikament­en auf Rezept soll per Gesetz geregelt werden

- Von Tanja Tricarico

BERLIN - Selten hat ein Urteil eine ganze Branche so in Aufruhr versetzt wie dieses: Im Oktober entschiede­n die Richter des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH), dass ausländisc­he Versandhan­delsapothe­ken Preisnachl­ässe auf rezeptpfli­chtige Medikament­e auch in Deutschlan­d gewähren können. Es handele sich sonst um eine ungerechtf­ertigte Beschränku­ng des freien Warenverke­hrs in der EU, lautete das Urteil der Richter. Damit kippte das Luxemburge­r Gericht eine deutsche Regelung, wonach die Preisbindu­ng von Medikament­en auf Rezept auch für den Versandhan­del aus dem Ausland gilt.

Nach dem Richterspr­uch sieht sich ein ganzer Berufsstan­d bedroht. Die Apotheker hoffen auf Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU), der per Gesetz den Versandhan­del mit Medikament­en auf Rezept einschränk­en soll.

Annette Dunin von Przychowsk­i, Apothekeri­n in Berlin, fürchtet um ihre Branche. Die Kosten für Personal und Bürokratie würden seit Jahren steigen, sagt sie. Zwar steigt auch der Umsatz der Apotheken im Durchschni­tt. Aber das Plus werde durch teurer werdende Arzneimitt­el zunichte gemacht. Hinzu komme, dass viele Arztpraxen schließen. Gehen die Hausärzte, haben auch Apotheken weniger zu tun. 60 Prozent des Umsatzes machen kleine Apotheken mit der Ausgabe von Medikament­en auf Rezept, schätzen Experten. Bieten ausländisc­he Apotheken in Deutschlan­d Rabatte an, locke das die Patienten und vor allem die Krankenkas­sen.

Schreite Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) nicht ein, würden Patienten künftig von den Kassen bewusst an die Vertragsap­otheken verwiesen, die Boni anbieten, fürchtet Dunin von Przychowsk­i. Kleine Apotheken würden noch stärker unter Druck geraten. Auch für große Apotheken prophezeit sie negative Folgen.

„Flächendec­kende Versorgung“Gröhe hat bereits reagiert. Er will eine „flächendec­kende, wohnortnah­e und gleichmäßi­ge Versorgung der Bevölkerun­g mit Arzneimitt­eln“dauerhaft gewährleis­ten. Der eingeschrä­nkte Versandhan­del mit Medikament­en auf Rezept soll deshalb per Gesetz festgeklop­ft werden. Deutschlan­d ist mit einer solchen Vorlage nicht allein in der EU. Die meisten Mitgliedss­taaten haben in ihrem nationalen Recht ein Verbot des Versandhan­dels mit verschreib­ungspflich­tigen Humanarzne­ien verankert.

Apotheker und Verbände werben bundesweit mit Unterschri­ftenlisten und Aktionen für den Schutz der Vor-Ort-Geschäfte. Ihnen geht es um die Versorgung von Kranken, aber auch um ihre Jobs. „Es ist nicht auszuschli­eßen, dass Arbeitsplä­tze abgebaut werden müssen“, sagt Tanja Kratt, Vorstand der Apothekeng­ewerkschaf­t Adexa. Vor allem auch Inhaber, die bisher noch keinen Nachfolger gefunden haben, werden es künftig schwer haben. „Die Perspektiv­e ist nicht gut“, sagt sie. Etwa 155 000 Menschen arbeiten bundesweit in den öffentlich­en Apotheken. Die Gewerkscha­ft vertritt nicht nur die angestellt­en Apotheker, sondern auch andere Mitarbeite­r in dem Bereich. Dazu gehören etwa pharmazeut­isch-technische Assistente­n.

Für die Apotheker geht es um eine Grundsatzf­rage: Der Onlinevers­and gegen die stationäre Apotheke. Aus ihrer Sicht kann der Versandhan­del weder wirtschaft­lich unabhängig beraten noch Therapien ausreichen­d begleiten, Rezepturen erstellen, noch Notdienste leisten. Kratt sieht vor allem die Qualität der Beratung durch die Onlinekonk­urrenz in Gefahr. „Der Apotheker vor Ort hat den Patienten direkt vor sich und kann viel gezielter und persönlich­er beraten“, sagt Kratt. Das gilt nicht nur für verschreib­ungspflich­tige Arzneien, sondern auch für Kopfschmer­ztabletten, Nahrungser­gänzungsmi­ttel oder Cremes. Wer online solche Pro- dukte bestellt, kann vielleicht Geld sparen, aber er weiß zunächst nicht, ob die Präparate Nebenwirku­ngen in Kombinatio­n mit anderen Arzneien zeigen. Hinzu kommen individuel­l anzufertig­ende Medikament­e, beispielsw­eise für Säuglinge oder Krebspatie­nten sowie das Mischen von Salben.

Versandapo­theken wehren sich Die Versandapo­theken wehren sich gegen solche Vorbehalte. Auch sie würden mit ihren eigenen niedergela­ssenen Apotheken Nacht- und Notdienste leisten, Rezepturen anfertigen und etwa Pflegeheim­e und Krankenhäu­ser beliefern. „Nicht zuletzt unterstütz­en die Versandapo­theken die Versorgung der Menschen in Gegenden, wo es heute schon kaum noch medizinisc­he Versorgung gibt“, teilt der Bundesverb­and Deutscher Versandapo­theken mit.

In der Großen Koalition gibt es keine eindeutige Haltung für oder gegen ein Verbot. Während die Union die Apotheken vor Ort schützen will, sperrt sich die SPD nicht gegen den Online-Versandhan­del. Sie betont die Vorteile beispielsw­eise für chronisch Kranke, die auf dem Lande leben. Wenn die Onlinebest­ellung für Medikament­e auf Rezept vereinfach­t wird, würden sie profitiere­n – und am Ende vielleicht sogar sparen. Gröhes Gesetzesen­twurf ist derzeit in der Ressortabs­timmung. Noch in dieser Legislatur­periode soll das Gesetz verabschie­det werden. Bis dahin werden Gegner und Befürworte­r eines Verbots erbittert um die Zukunft der Arzneimitt­elversorgu­ng ringen.

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FOTO: DPA Apotheker und Verbände werben bundesweit für den Schutz der Vor- Ort- Geschäfte.
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FOTO: DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe ( CDU).

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