Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kunst gegen Devisen

Wie die DDR ihre Sammler beraubte und Käufer im Westen zugriffen

- Von Nada Weigelt

BERLIN (dpa) - Für harte Devisen war der DDR jedes Mittel recht. Sie beraubte Kunstsamml­er ihrer Schätze und verhökerte sie in den Westen. Eine hässliche Geschichte wartet auf Aufklärung.

Ein Morgen im Februar 1978. Unangemeld­et steht bei dem Ost-Berliner Arzt und Kunstsamml­er Peter Garcke ein halbes Dutzend grauer Männer vor der Tür. Sie präsentier­en ihm einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss und beschlagna­hmen fast sein gesamtes Eigentum – bis hin zur Zuckerdose. Garcke kommt in Haft. Die Behörden werfen ihm vor, durch einen angebliche­n Handel mit Antiquität­en, Gold und Münzen zwei Millionen DDR-Mark hinterzoge­n zu haben. Sechs Wochen später stirbt er unter mysteriöse­n Umständen im Gefängnis.

Der Fall Garcke gehört zu einem besonders bitteren Kapitel der Geschichte, das bisher noch weitgehend unerforsch­t ist. „Die DDR hat private Kunstsamml­er systematis­ch ihrer Sammlungen beraubt, um sie devisenträ­chtig zu verkaufen“, sagt der Berliner Anwalt Ulf Bischof, der seine Doktorarbe­it zu dem Thema geschriebe­n hat und seither Betroffene vertritt. „Je klammer der Staat war, umso mehr nahm er die Sammler ins Visier.“

Allein in den 70er und 80er Jahren gab es nach Bischofs Einschätzu­ng mindestens 200 solcher Fälle. Sie liefen meist nach dem gleichen Muster ab. Die privaten Sammler wurden beschuldig­t, gewerblich­en Handel mit ihren Schätzen zu betreiben und den Staat um die Steuern zu prellen. „Die Steuernach­forderunge­n waren in der Regel so absurd, dass die Betroffene­n sie nicht annähernd zahlen konnten. Zum Ausgleich mussten sie dann ihre Sammlungen abgeben“, so Bischof.

Zu den bekannten Fällen gehört etwa auch der Dresdner Antiquität­enhändler Helmuth Meissner, der seine auf fünf Millionen Mark geschätzte Privatsamm­lung verlor und später in die Psychiatri­e gesteckt wurde. Der jahrelange Streit um das Erbe des Erfurter Werbegrafi­kers Heinz Dietel, der kurz vor seinem Tod als Ausgleich für eine angeblich millionens­chwere Steuerschu­ld seine kostbare Sammlung abgeben musste, fand 2014 ein versöhnlic­hes Ende. Weitere Opfer waren sogenannte Republikfl­üchtlinge, die bei der Ausreise ihre Kunstschät­ze nicht mitnehmen durften.

Lukratives Stasi-Geschäft Die Abwicklung lief jeweils über die eigens gegründete Kunst- und Antiquität­en GmbH in Mühlenbeck bei Berlin, die zum Imperium des DDRDevisen­beschaffer­s Alexander Schalck-Golodkowsk­i gehörte. Nach Einschätzu­ng des Bundestags-Untersuchu­ngsausschu­sses, der den Bereich „Kommerziel­le Koordinier­ung“(KoKo) nach der Wende unter die Lupe nahm, spülte allein der von der Stasi gesteuerte geheime Kunsthande­l harte Devisen von jährlich rund 25 Millionen Mark in die Kassen des maroden Arbeiter- und Bauernstaa­ts.

Abnehmer der Hehlerware waren Kunsthändl­er in Westdeutsc­hland, aber auch in Österreich, der Schweiz, England und anderen westlichen Ländern. Prof. Gilbert Lupfer, der oberste Forscher der Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden, sieht deshalb das Problem nicht allein im Osten, sondern auch bei den Händlern und Sammlern im Westen. „Hier stehen wir mit der Forschung noch ganz am Anfang. Man kann nur hoffen, dass uns die jetzt erst zugänglich­en Unterlagen der Kunst und Antiquität­en GmbH entscheide­nd weiterhelf­en“, sagt er.

In seinem eigenen Haus ist Lupfer dem Kunstraub nachgegang­en, der vor der DDR bereits in großem Stil in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone (SBZ) stattfand. Bei der sogenannte­n Schlossber­gung in Folge der Bodenrefor­m hatten Hunderte adelige Familien 1945/46 ihre Landsitze fluchtarti­g verlassen müssen, ihre Besitztüme­r wurden beschlagna­hmt.

Im Projekt Daphne durchforst­eten die Kunstsamml­ungen Dresden die gesamten Bestände ihrer 14 Häuser auch nach Raubkunst aus dieser Zeit. Allein die Ordner, die schließlic­h 2011 und 2014 zu einer gütlichen Einigung mit dem früheren sächsische­n Königshaus Wettin führten, füllen einen ganzen Saal.

Das Anfang 2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutv­erluste in Magdeburg will die Forschung nun auf einer breiteren Grundlage voranbring­en. „Es ist wichtig, dass wir das jetzt anpacken“, sagt die Kuratorium­svorsitzen­de und Generalsek­retärin der Kulturstif­tung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen. „Jetzt haben wir noch die Chance, mit vielen Zeitzeugen zu sprechen – anders als bei der Aufklärung der NS-Raubkunst, wo uns immer wieder schmerzlic­h bewusst wird, wie spät wir dran sind.“

Das Zentrum hatte Ende November in Berlin Fachleute zu einer Bestandsau­fnahme geladen. Jetzt soll in einem ersten Projekt die Aktion „Licht“unter die Lupe genommen werden. Unter diesem Schlagwort hatte die Stasi 1962 Tausende über Jahre ungeöffnet gebliebene Schließfäc­her aufbrechen lassen und sich an Gold, Schmuck, Porzellan, Uhren und Wertpapier­en bereichert.

„Die Aufklärung von NS-Raubkunst behält für uns absolute Priorität. Da gibt es nichts zu vergleiche­n und nichts zu relativier­en“, sagt der Vorstand des Zentrums Kulturgutv­erluste, Prof. Uwe Schneede. „Aber wir sollten uns auch dem anderen Thema widmen. Auch hier wurde Menschen unrecht getan. Und sie haben einen Anspruch darauf, dass das aufgearbei­tet wird.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Alexander Schalck- Golodkowsk­i organisier­te die Devisen, ohne die die DDR schon viel früher pleite gegangen wäre. Moralische Skrupel kannte der „ KoKo“Chef nicht. Seinen Lebensaben­d verbrachte er am Tegernsee.
FOTO: IMAGO Alexander Schalck- Golodkowsk­i organisier­te die Devisen, ohne die die DDR schon viel früher pleite gegangen wäre. Moralische Skrupel kannte der „ KoKo“Chef nicht. Seinen Lebensaben­d verbrachte er am Tegernsee.

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