Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Die Waffe war ständig an meinem Gesicht“
Lindauerin wird in München Opfer eines Überfalls – 16-Jähriger auf der Flucht
LINDAU - Diesen Tag wird Giulia so schnell nicht vergessen. Die 22-jährige Lindauerin ist in München Opfer eines Überfalls geworden. Durch ihre besonnene Art und die Hilfe von Männern des benachbarten Pizzaservices ist der Überfall gut ausgegangen. Doch der mutmaßliche Täter ist inzwischen wieder auf der Flucht.
„Pizzabäcker stellt Pistolen-Räuber“, „Koch rettet Frau vor gefährlichem Räuber“: Schlagzeilen, auf die sich nicht nur der bunte Blätterwald stürzt. Die Geschichte von einem Pizzabäcker, der den Räuber mit einer Teigschaufel niederschlug, sorgte für Wirbel. Passiert ist sie vergangenen Freitag in München. Dort überfiel ein 16-Jähriger in einem Laden in der Lindwurmstraße eine junge Verkäuferin mit vorgehaltener Waffe – und zwang sie, die Einnahmen rauszurücken. Doch die Nachbarn kamen ihr zu Hilfe und überwältigten den Mann. Der kam unter Polizeischutz ins Krankenhaus, floh aber bereits einen Tag später, indem er verletzt und nur mit Socken bekleidet vier Meter in die Tiefe sprang. Die Fahndung läuft.
Dass Giulia in dieser abenteuerlichen Geschichte eine Rolle spielt, ist einer der vielen Zufälle des Lebens. Die Lindauerin lebt erst seit zwei Jahren in München. Eigentlich ist sie von Beruf Grafikerin und hilft in dem Laden nur für ein paar Wochen aus. Der bietet „Praktisches, Nützliches und Schönes“an und ist eine Art „moderner Tante-Emma-Laden“, wie Giulia sagt. Ein Laden, der offensichtlich keine Reichtümer verspricht. Und der Ende des Monats wohl auch aus diesem Grund schließen wird.
Warum sich der 16-Jährige genau diesen für den Überfall ausgesucht hat, bleibt wohl sein Geheimnis. Fest steht: Giulia wollte schon schließen, als der Junge mit gezückter Pistole den Laden betritt. Er ist nervös und fängt gleich an zu schreien, erinnert sich Giulia. Doch sie bleibt ruhig. „Ich habe mich gleich zu seinem Verbündeten gemacht“, sagt sie. Sie erklärt ihm, dass er alles haben könne, dass es ihr egal sei, was mit dem Laden passiert. „Ich wollte, dass er mir ver- traut.“
Giulia geht mit dem Räuber in den Keller und gibt ihm das Geld. In diesem Moment hören sie, wie die besorgten Nachbarn oben in den Laden kommen. Eine kritische Situation, da der junge Mann nun erkennt, dass er in der Falle sitzt. „Da ist er panisch geworden“, sagt Giulia. „Die Waffe war ständig an meinem Gesicht.“
Trotzdem behält sie die Nerven. Rät ihm, sich zu verstecken und verspricht, den Nachbarn zu sagen, dass der Täter längst geflüchtet sei. Er geht auf den Deal ein und lässt die junge Frau gehen. Sie flüchtet auf die Straße, während die Männer vom Pizzadienst den Mann niederschlagen und festhalten, bis die Polizei kommt. „Ich hatte wahnsinniges Glück, dass die so mutig waren“, sagt Giulia rückblickend.
Es stellt sich heraus, dass der Möchtegern-Räuber ein polizeibekannter Intensivtäter ist. Da er eine Platzwunde hat und Verdacht auf Schädelbruch besteht, kommt er unter Polizeibewachung in die Unfallchirurgie. Der Fall scheint beendet. Doch der Verletzte springt am nächsten Tag in einem unbewachten Moment aus dem Fenster vier Meter in die Tiefe – und verschwindet.
Alpträume vom Überfall Als Giulia davon erfährt, „war ich schon nervös“. Sie will deshalb auch nicht ihren Nachnamen nennen oder ein Foto in der Zeitung veröffentlichen. Vorsichtshalber, denn der Mann ist immer noch auf der Flucht. Schmunzeln kann Giulia inzwischen über den Medienrummel, den der Fall ausgelöst hat. Auch, weil sie gelernt hat, dass sich nicht alle Medien so genau an die Tatsachen halten. Ein Pizzaschieber sei bei der Rettungsaktion jedenfalls nicht zum Einsatz gekommen, betont sie.
So souverän die 22-Jährige auch reagiert hat: Lustig war das Ganze für die junge Frau nicht. „Ich konnte den Mann und seine Reaktion ja nicht einschätzen.“Im Keller hätte die Situation auch eskalieren können, weiß sie. Nachts träumt sie manchmal von dem Überfall. „Ich muss es halt verarbeiten“, sagt sie. „Aber das ist nicht schlimm.“