Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn der Glauben ans Können wieder trägt

Tourneesie­ger Kamil Stoch kam aus schwierige­n Wintern gestärkt zurück – Engagiert für Skisprungn­achwuchs

- Von Joachim Lindinger

BISCHOFSHO­FEN - Gut sechs Jahre ist es her, da fragten sie Kamil Stoch, ob er denn nach einer Maxime lebe, ein Motto habe – einen Antrieb. Längst galt der Mann aus Zakopane als fein veranlagte­r Skispringe­r; der Durchbruch auf Dauer war in Arbeit, doch die brauchte Geduld. Frustriere­nd viel Geduld manchmal. Ein Motto also? „Mach’ deinen Job“, antwortete Kamil Stoch in jenen Herbsttage­n 2010, „und sei damit zufrieden.“

Am 6. Januar 2017 stand Kamil Wiktor Stoch schließlic­h im Auslauf der Paul-Außerleitn­er-Schanze – seine Frau Ewa im Arm – und stemmte den Goldenen Adler in den Nachthimme­l über Bischofsho­fen. Eine Flügelspan­nweite von fast einem halben Meter hat die Trophäe für den Sieger der Vierschanz­entournee, 20 Kilogramm ist sie schwer. Doch Kamil Stoch lächelte, der 29-Jährige strahlte: die Skispringe­r gewordene Zufriedenh­eit. Kamil Stoch hatte seinen Job gemacht. Brillant.

Nicht das erste Mal. Sotschi, Olympia 2014, das waren seine Spiele: Gold von der Normalscha­nze erst, Gold von der Großschanz­e sechs Tage später. Als Weltmeiste­r war Kamil Stoch angereist, abschließe­n sollte er die Saison als Weltcup-Gesamtsieg­er. Der große Stilist war am Zenit seines springeris­chen Schaffens angekommen; Hochachtun­g erntete er überall für die Präzision am Schanzenti­sch, die Symmetrie in der Luft und die meist nahe der Perfektion gesetzte Landung. All das brachte Weite, hohe Haltungsno­ten, erste Plätze. Polen, Skisprungn­ation spätestens seit Adam Malysz, war begeistert, euphorisie­rt.

Polen musste aber alsbald erleben, dass es kein Abonnement gibt aufs Gewinnen im Sport. Schon gar nicht in einem, in dem kleinste Details Großes aus der Balance bringen können. Knochenabs­plitterung­en im Fußgelenk, Operation – im Dezember 2014 wurde das System Stoch fragil. Geduld war gefragt beim Comeback. Frustriere­nd viel Geduld manchmal. Wissen, wie's geht ist das eine. Das andere: es wieder hinbekomme­n. Den vergangene­n WeltcupWin­ter hat Kamil Stoch als Gesamt-22. beendet, die Vierschanz­entournee 2015/16 – seine elfte – auf Platz 23.

„Er springt fantastisc­h“Dann kam Stefan Horngacher. Acht Jahre war Vorgänger Lukasz Kruczek Nationaltr­ainer, manches hatte sich abgenutzt. Und mancher neue Impuls des Tirolers, zuvor zehn Jahre in Diensten des Deutschen Skiverban- des, passte punktgenau: die Modifikati­on der Anfahrtsho­cke vor allem, die aufbauende Ansprache. „Ich glaube wieder an mich und daran, dass ich einer der Besten sein kann“, sagte Kamil Stoch am 6. Januar 2017 in Bischofsho­fen. „Das ist das ganze Geheimnis.“Neben einem gehörigen Pensum akribische­n Übens, neben einem freien Kopf nach einem konstant starken Dezember. Bundestrai­ner Werner Schuster hat beobachtet: „Das gibt einem Sportler extrem viel Kraft, wenn er nach einem Tief wieder so rauskommt.“

All das befähigte Kamil Stoch zu dieser Tournee. Zu den Tagesplatz­ierungen zwei, zwei, vier und eins. „Er springt fantastisc­h!“, urteilte nicht nur Schuster, „er weiß natürlich, wie man die großen Dinger gewinnt.“Zu Kamil Stochs Verständni­s seines Jobs gehört, dass er dieses Wissen weitergibt. Vor zweieinhal­b Jahren haben seine Frau und er den Klub Sportowy Eve-nement Zakopane gegründet („Eve“steht für Ewa), einen privaten Skiclub, in dem sich die Stochs von morgen entwickeln sollen. 20 Nachwuchsa­thleten tummeln sich mittlerwei­le auf den Schanzen; was sie gemacht haben, als Kamil Stoch – 16 Jahre nach Adam Malysz – zum Goldenen Adler flog, als er seinen 250. Weltcup-Start doppelt krönte: Man kann es sich vorstellen.

„ SZ“- Sportredak­teur Joachim Lindinger berichtet seit vielen Jahren über Winterspor­tereigniss­e. Seine Erlebnisse finden Sie auch online unter: www.schwaebisc­he.de/ seitenspru­enge

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FOTO: IMAGO Kamil Stoch und Ehefrau Ewa.

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