Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit Fußfesseln und Wohnsitzauflagen gegen Gefährder
Koalition über scharfe Maßnahmen einig – Kretschmann stimmt mit Einschränkungen zu
BERLIN/STUTTGART (AFP/lsw) - Als Konsequenz aus dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt haben sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf ein härteres Vorgehen gegen sogenannte Gefährder geeinigt. Unter anderem seien erleichterte Voraussetzungen für die Abschiebehaft sowie die Einführung von elektronischen Fußfesseln geplant, sagte de Maizière nach Beratungen mit Maas am Dienstag in Berlin. Für Asylbewerber, die deutsche Behörden über ihre Identität täuschen, werde es eine verschärfte Wohnsitzauflage geben.
De Maizière sprach von „vernünftigen Ergebnissen“, die die Sicherheit erhöhten, ohne die Freiheitsrechte der Bürger unverhältnismäßig einzuschränken. Maas sagte, dass die Härte des Rechtsstaates die „beste Antwort auf Terrorismus“sei. Einen „totalen Schutz“vor Anschlägen könne die Politik aber nicht leisten.
Bei der Ausweitung der Abschiebehaft soll den Angaben zufolge ein neuer Haftgrund geschaffen werden für Extremisten, von denen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder Terrorgefahr ausgeht. Zudem sollen ausreisepflichtige Gefährder künftig länger in Abschiebehaft genommen werden können, auch wenn die nötigen Papiere aus den Herkunftsländern nicht vorliegen. Bislang ist eine Inhaftierung nur möglich, wenn eine Abschiebung in den nächsten drei Monaten durchführbar erscheint.
De Maizière drückte außerdem seine Unterstützung für den von Maas bereits vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung einer Fußfessel für verurteilte Staatsgefährder aus. Durch eine Änderung des BKA-Gesetzes soll außerdem eine Überwachung von Gefährdern mit elektronischen Fußfesseln ermöglicht werden, bevor ein Verfahren oder eine Verurteilung stattfindet.
Bereits zuvor hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Stuttgart seine Unterstützung für eine härtere Gangart kundgetan – mit Einschränkungen. „Meine Linie ist da ganz klar. Wir werden bei den Gefährdern bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gehen, wenn das erforderlich ist“, sagte Kretschmann. Er gab aber zu bedenken, dass elektronische Fußfesseln auch Nachteile haben könnten, weil ein Gefährder dann wisse, dass er beobachtet werde.
Grünen-Bundesparteichefin Simone Peter hatte erklärt, dass sie den Einsatz elektronischer Fußfesseln bei Gefährdern für problematisch hält. Auch die Voraussetzungen für die Gefährderhaft sollten ihrer Meinung nach nicht verschärft werden.
BERLIN - Ausweitung der Abschiebehaft, elektronische Fußfesseln und eine verschärfte Residenzpflicht für Gefährder und diejenigen, die ihre Identität verschleiern: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ziehen Konsequenzen aus dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz, üben den Schulterschluss, um Deutschland besser vor islamistischem Terror zu schützen: „Der wehrhafte Rechtsstaat ist die beste Antwort auf den Hass der Terroristen“, beschwört Maas, und mahnt: „Wir müssen alles in die Wege leiten, damit sich der Fall Anis Amri in Deutschland nicht wiederholt.“
Kritik von den Grünen Ein Zehn-Punkte-Sicherheitspaket legen Maas und de Maizière nach einem Spitzentreffen vor, drei Wochen nach dem Terror auf dem Weihnachtsmarkt, der zwölf Menschen das Leben gekostet hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Druck zuletzt erhöht, gefordert, dass die Regierung im Kampf gegen gefährliche Extremistin „Flagge zeigt“. Jetzt liefern ihre Minister. Aus den Reihen der Grünen kommt Kritik, wird vor dem Aufbruch in den „autoritären Staat“gewarnt.
Zu den wichtigsten Maßnahmen, die gesetzgeberisch auf den Weg gebracht werden sollen, gehört die Verschärfung der Abschiebehaft: Dazu wird ein neuer Haftgrund eingeführt „für diejenigen, von denen eine erhebliche Gefahr für Deutschland oder Terrorgefahr ausgeht“, erklärte de Maizière. Ausreisepflichtige Asylbewerber sollen überdies auch dann in Haft genommen werden können, wenn ihre tatsächliche Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht. Die Haft dürfe nicht länger daran scheitern, „dass die Herkunftsländer keine Passersatzpapiere bereitstellen“, so Justizminister Maas. Darüber hinaus wollen die beiden Ressortchefs den Druck auf die Länder erhöhen, die ihre Landsleute nicht zurücknehmen. Von der Entwicklungshilfe über die Wirtschaftszusammenarbeit bis zur Visavergabe, „wir wollen eine Vielzahl von Mitteln nutzen“, sagte Maas weiter .Zur besseren Kontrolle von Gefährdern wie Anis Amri werden weitere Maßnahmen ergriffen: Ein Residenzpflicht, also eine verschärfte Wohnsitzauflage, für diejenigen, die über ihre Identität täuschen. Ihr Bewegungsspielraum werde auf einen Bezirk begrenzt, erklärte Maas. Wer gegen die Residenzpflicht verstoße, werde bestraft. „Das ist ein starkes Signal des Staates, dass er nicht bereit ist, Identitäts-verschleierungen zu akzeptieren“, sagte Maas.
Auch die elektronische Fußfessel, bislang nur für verurteilte Straftäter vorgesehen, soll bei Gefährdern angewandt werden können, auch wenn keine ausreichenden Gründe für eine Inhaftierung vorliegen.
Einspruch kommt von Volker Beck, dem migrationspolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Die Verlängerung der Abschiebungshaft ist kein sinnvolles Mittel zur Terrorbekämpfung. In einem Rechtsstaat darf die Abschiebungshaft nur der Vorbereitung der Abschiebung dienen“, sagte er. Wer einer erheblichen Straftat dringend verdächtig werde, könne schon jetzt in U-Haft genommen werden. „Eine weitergehende Gefährderhaft ist ein Merkmal autoritärer Staaten. Das brauchen wir in Deutschland nicht.“
Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen derzeit 548 Menschen als Gefährder ein. Die Hälfte davon hält sich nicht in Deutschland auf. 62 islamistische Gefährder sind ausreisepflichtig.