Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schwimmunterricht für Musliminnen
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg weist Beschwerde türkischstämmiger Eltern aus der Schweiz ab
STRASSBURG (epd) - Muslimische Mädchen können zur Teilnahme am gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen verpflichtet werden. Das staatliche Interesse, ausländische Schüler zu integrieren und ihnen heimische Werte zu vermitteln, habe Vorrang vor dem Wunsch der Eltern, die Kinder aus religiösen Gründen vom Unterricht auszuschließen, urteilte am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall aus Basel.
STRASSBURG/BERLIN (dpa) - Muslimische Schülerinnen müssen generell am gemeinsamen Schwimmunterricht teilnehmen – daran hat der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg keinen Zweifel gelassen. Das Urteil liegt auf einer Linie mit einer höchstrichterlichen Entscheidung aus Deutschland, wo die Verfassungsbeschwerde einer Muslima gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2016 nicht zur Entscheidung in Karlsruhe angenommen worden war.
Ein türkischstämmiges Elternpaar aus Basel scheiterte am Dienstag in Straßburg mit religiös begründeten Klagen gegen die Teilnahmepflicht für seine Töchter am Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen. Die Schweizer Behörden durften der Schulpflicht und der Integration der Kinder Vorrang einräumen gegenüber dem Wunsch der Eltern nach einer Befreiung, entschieden die Richter. Die nationalen Gerichte in Europa werden das Urteil bei künftigen Streitfällen berücksichtigen müssen.
Philologen sind zufrieden Der Deutsche Philologenverband sieht die Straßburger Entscheidung als zusätzliche Richtschnur für Schulen in Deutschland. „Wir begrüßen dieses Urteil sehr, weil es auch unserem Verständnis von Schule entspricht – dass nämlich der schulische Erziehungsauftrag, die Integrationsfunktion von Schule einen Vorrang hat vor der Religionsfreiheit“, sagte der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft, Heinz-Peter Meidinger.
In dem konkreten Fall waren den Eltern Bußgelder auferlegt worden, weil sie ihre Töchter nicht zum gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen schicken wollten. Die Richter sahen keinen Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Sie argumentierten, die Schule spiele eine besondere Rolle bei der sozialen Integration. Die Kläger kommen ursprünglich aus der Türkei, sie haben inzwischen auch die Schweizer Staatsbürgerschaft.
Außerdem sei der Sportunterricht wichtig für die Gesundheit der Kinder. Es gehe nicht nur darum, Schwimmen zu lernen – vor allem sei von Bedeutung, gemeinsam mit allen Schülern an Aktivitäten teilzunehmen. Im Übrigen hätten die Behörden den Eltern angeboten, dass die Mädchen einen Ganzkörperbadeanzug (Burkini) tragen und sich getrennt von den Jungen umziehen können.
Das Alter der Mädchen spielte für das Urteil der Straßburger Richter keine Rolle. Die Schweizer Justiz hatte eine Ausnahme von der Teilnahme- pflicht noch mit der Begründung abgelehnt, dass die Mädchen die Pubertät noch nicht erreicht hatten.
Auch in Deutschland ziehen immer wieder Eltern vor Gericht, die ihre Kinder vom Schwimmunterricht befreien lassen möchten. 2013 scheiterte eine Frankfurter Schülerin vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch hier stellten die Richter den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag über die Glaubensfreiheit und verwiesen auf einen Burkini als Kompromiss. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde kürzlich nicht zur Entscheidung angenommen.
Von der Kultusministerkonferenz (KMK) hieß es, die Bundesländer hätten entsprechende Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, sie führten aber keine statistische Erfassung über derartige Fälle. Philologenverbands-Chef Meidinger sagte, er gehe davon aus, dass es auch in Deutschland „wahrscheinlich mehr Konfliktfälle gibt als in der Öffentlichkeit thematisiert“. Als Schulleiter in Bayern wisse er von vielen muslimischen Eltern, die Schwimmunterricht für ihre Töchter skeptisch sehen oder ablehnen. „Die Regel ist allerdings, dass diese Kinder dann krank gemeldet werden“, sagte Meidinger.