Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Bei Abschiebungen gibt es Probleme auf beiden Seiten“
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) prangert fehlenden Austausch von biometrischen Daten an
BERLIN - Gerd Müller (CSU/Foto: dpa), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, warnt im Gespräch mit Tobias Schmidt davor, in der Entwicklungszusammenarbeit mit den MaghrebStaaten Fördermittel zu kürzen.
Die SPD will den Maghreb-Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, Fördermittel streichen. Warum sind Sie dagegen? Wir haben ein großes Interesse, dass die Region politisch und wirtschaftlich stabil ist. Die Menschen brauchen vor Ort eine Bleibeperspektive und Zukunft. Ein wirtschaftlicher Kollaps würde auch uns riesige Probleme bereiten. Deswegen setzen wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit mit Tunesien auf Ausbildungsprogramme für die Jugend, ländliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Es ist keinem jungen Mann in Tunesien gedient, wenn wir ein Ausbildungsprogramm streichen, im Gegenteil. Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) solche Pläne hat, kann er bei seiner eigenen Energie- und Wirtschaftspartnerschaft mit den Maghreb-Staaten beginnen. Aber ich halte das nicht für sinnvoll. Die Menschen brauchen zu Hause Arbeit und Zukunft, sonst kommen sie zu uns.
Wie kann der Druck auf nordafrikanische Staaten erhöht werden, wenn sie ihre Bürger wie im Fall Anis Amri nicht zurücknehmen? Alle drei Maghreb-Staaten und Ägypten arbeiten mit Deutschland in Sicherheitsfragen zusammen. Ich konnte mich vor Ort überzeugen, die Ko- operation läuft. Bei den Abschiebungen gibt es Probleme auf beiden Seiten. Das liegt insbesondere am fehlenden Austausch von biometrischen Daten und der eindeutigen Identifizierung. Die marokkanischen und tunesischen Behörden haben die Fingerabdrücke von ihren Bürgern. Deutschland kann dies von den zur Rückführung bestimmten Menschen bisher nicht immer bieten. Deswegen liegt es bisweilen an uns, wenn die Betroffenen von ihren Heimatstaaten nicht sofort identifiziert werden können.
Es entsteht der Eindruck, es handele sich um Zehntausende Nordafrikaner, die eigentlich in ihre Heimat zurückmüssten. Wie viele sind es? Wir müssen die Diskussion versachlichen! Von den gut 52 000 Ausreisepflichtigen ohne Duldung hier in Deutschland kommen 457 aus Tunesien und 1320 aus Marokko. Natürlich gilt es, hier zu einer schnellen Rückführung zu kommen. Aber das sind Länder, die bei der Zahl der Ausreisepflichtigen nicht unter den ersten fünf sind. Und was die Entwicklungszusammenarbeit betrifft, muss klargestellt werden: Entwicklungszusammenarbeit bedeutet kein direktes Geld an den Staat, deswegen haben wir kein Druckmittel gegenüber diesen Regierungen. Marokko und Tunesien erhalten 90 Prozent ihrer Mittel als Kredite, die zurückzuzahlen sind. Damit finanzieren wir beispielsweise in Marokko ein großes Solarkraftwerk, das im Wesentlichen von deutschen Unternehmen gebaut wird. In Tunesien investieren wir knapp 253 Millionen Euro Kredite und 38 Millionen Euro für ganz konkrete Projekte, zum Beispiel zur beruflichen Ausbildung und den Ausbau der Landwirtschaft. Damit schaffen wir Jobs und Infrastruktur und fördern auch die Demokratie.