Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gerangel um EU-Parlaments­präsidente­njob

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

Jetzt fährt Manfred Weber (CSU) die schweren Geschütze auf. Monatelang war in Brüssel gerätselt worden, ob es wirklich ein von ihm selbst, Parlaments­präsident Martin Schulz (SPD) und Liberalenc­hef Guy Verhofstad­t unterschri­ebenes Dokument gibt, in dem der Stabwechse­l nach der halben Legislatur geregelt ist. Die Antwort kann jetzt jeder nachlesen: Alle drei Fraktionsv­orsitzende­n haben sich nach der letzten Europawahl festgelegt, dass im Januar 2017 ein konservati­ver Abgeordnet­er dem sozialisti­schen Frontmann Schulz folgen soll.

Die Wahl findet am17. Januar statt. Von der Abmachung allerdings wollen Schulz und Verhofstad­t nichts mehr wissen. Schulz versuchte zunächst selbst im Sattel zu bleiben. Als das nicht gelang, kündigte er den Wechsel nach Berlin an. Nun bewirbt sich der sozialisti­sche Fraktionsc­hef Gianni Pitella. Verhofstad­t will jetzt ebenfalls Parlaments­präsident werden. Sein Argument: Da statt der Sozialdemo­kratin Helle ThorningSc­hmidt der Konservati­ve Donald Tusk 2014 Ratspräsid­ent geworden sei, wären Linke und Liberale benachteil­igt und hätten nun einen Anspruch auf den Posten des Parlaments­chefs. Von so einem Ausgleich steht aber nichts in dem Dokument.

„Alle, deren Unterschri­ft nichts mehr wert ist, bedrohen die Stabilität des Europäisch­en Parlaments“, schrieb Weber am Montag an seine Fraktionsk­ollegen. „Wer unser Übereinkom­men bricht, trägt die volle Verantwort­ung, falls antieuropä­ische Kräfte an Einfluss gewinnen sollten.“

Große Koalition funktionie­rt Weber spielt auf den Umstand an, dass seit der letzten Wahl 20 bis 25 Prozent der Abgeordnet­en euroskepti­sch oder europafein­dlich sind. Die „große Koalition“zwischen Konservati­ven und Sozialdemo­kraten, der sich oft auch die Liberalen anschließe­n, hat den Gesetzgebu­ngsapparat dennoch reibungslo­s funktionie­ren lassen. Sollte künftig jede Fraktion für sich allein kämpfen, wären Mehrheiten schwerer zu beschaffen.

Aber die meisten Abgeordnet­en zeigen sich blind für dieses Problem. Grüne und Linke geißelten die „Kun- gelei“der großen Parteien als undemokrat­isch. Ihnen ist es nur recht, wenn das Bündnis jetzt zerbricht. Die Liberalen flirteten sogar mit der europafein­dlichen „Fünf-Sterne-Bewegung“des Italieners Beppe Grillo. Hätten sie die Grillini in ihre Fraktion locken können, wären sie zur drittstärk­sten Kraft im Parlament aufgestieg­en. Zuletzt kamen Guy Verhofstad­t aber doch Zweifel, sein proeuropäi­scher Kurs könnte nicht so recht zu Grillos Anti-EU-Gepolter passen.

Die Konservati­ven gaben sich keinerlei Mühe, einen für weite Teile des Parlaments akzeptable­n Kandidaten zu finden. Sie gehen mit Antonio Tajani ins Rennen, der als Gefolgsman­n Silvio Berlusconi­s für viele Abgeordnet­e nicht wählbar ist. Schon jetzt ist klar, dass sich die Abgeordnet­en am 17. Januar eine Schlammsch­lacht liefern werden über die Top-Personalie.

Es ist möglich, dass es zu einer weiteren Geheimvere­inbarung kommt. Derzeit blockieren sich die Kandidaten der beiden großen Fraktionen gegenseiti­g. Weder Tajani noch Pittella bringen die für einen Sieg im ersten Durchgang erforderli­che absolute Mehrheit zusammen.

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