Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gerangel um EU-Parlamentspräsidentenjob
Jetzt fährt Manfred Weber (CSU) die schweren Geschütze auf. Monatelang war in Brüssel gerätselt worden, ob es wirklich ein von ihm selbst, Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) und Liberalenchef Guy Verhofstadt unterschriebenes Dokument gibt, in dem der Stabwechsel nach der halben Legislatur geregelt ist. Die Antwort kann jetzt jeder nachlesen: Alle drei Fraktionsvorsitzenden haben sich nach der letzten Europawahl festgelegt, dass im Januar 2017 ein konservativer Abgeordneter dem sozialistischen Frontmann Schulz folgen soll.
Die Wahl findet am17. Januar statt. Von der Abmachung allerdings wollen Schulz und Verhofstadt nichts mehr wissen. Schulz versuchte zunächst selbst im Sattel zu bleiben. Als das nicht gelang, kündigte er den Wechsel nach Berlin an. Nun bewirbt sich der sozialistische Fraktionschef Gianni Pitella. Verhofstadt will jetzt ebenfalls Parlamentspräsident werden. Sein Argument: Da statt der Sozialdemokratin Helle ThorningSchmidt der Konservative Donald Tusk 2014 Ratspräsident geworden sei, wären Linke und Liberale benachteiligt und hätten nun einen Anspruch auf den Posten des Parlamentschefs. Von so einem Ausgleich steht aber nichts in dem Dokument.
„Alle, deren Unterschrift nichts mehr wert ist, bedrohen die Stabilität des Europäischen Parlaments“, schrieb Weber am Montag an seine Fraktionskollegen. „Wer unser Übereinkommen bricht, trägt die volle Verantwortung, falls antieuropäische Kräfte an Einfluss gewinnen sollten.“
Große Koalition funktioniert Weber spielt auf den Umstand an, dass seit der letzten Wahl 20 bis 25 Prozent der Abgeordneten euroskeptisch oder europafeindlich sind. Die „große Koalition“zwischen Konservativen und Sozialdemokraten, der sich oft auch die Liberalen anschließen, hat den Gesetzgebungsapparat dennoch reibungslos funktionieren lassen. Sollte künftig jede Fraktion für sich allein kämpfen, wären Mehrheiten schwerer zu beschaffen.
Aber die meisten Abgeordneten zeigen sich blind für dieses Problem. Grüne und Linke geißelten die „Kun- gelei“der großen Parteien als undemokratisch. Ihnen ist es nur recht, wenn das Bündnis jetzt zerbricht. Die Liberalen flirteten sogar mit der europafeindlichen „Fünf-Sterne-Bewegung“des Italieners Beppe Grillo. Hätten sie die Grillini in ihre Fraktion locken können, wären sie zur drittstärksten Kraft im Parlament aufgestiegen. Zuletzt kamen Guy Verhofstadt aber doch Zweifel, sein proeuropäischer Kurs könnte nicht so recht zu Grillos Anti-EU-Gepolter passen.
Die Konservativen gaben sich keinerlei Mühe, einen für weite Teile des Parlaments akzeptablen Kandidaten zu finden. Sie gehen mit Antonio Tajani ins Rennen, der als Gefolgsmann Silvio Berlusconis für viele Abgeordnete nicht wählbar ist. Schon jetzt ist klar, dass sich die Abgeordneten am 17. Januar eine Schlammschlacht liefern werden über die Top-Personalie.
Es ist möglich, dass es zu einer weiteren Geheimvereinbarung kommt. Derzeit blockieren sich die Kandidaten der beiden großen Fraktionen gegenseitig. Weder Tajani noch Pittella bringen die für einen Sieg im ersten Durchgang erforderliche absolute Mehrheit zusammen.