Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die erfolgreic­hen fünf Achsen

Besondere Fräsmaschi­nen sichern dem Gosheimer Unternehme­n Hermle den Erfolg

- Von Karin Geupel

GOSHEIM - Wie auf einem Präsentier­teller liegt das eingespann­te Metallteil in der großen Maschine in einer Fertigungs­halle bei Hermle. Der Teller dreht und neigt sich so steil, dass man fast meint, das Metallstüc­k, das darin von einem roboterähn­lichen Bohrer bearbeitet wird, müsste gleich herunterfa­llen. Doch das passiert nicht, denn genau diese großen Drehungen sind es, die Hermle in seinen Fräsmaschi­nen perfektion­iert hat. 1995 entwickelt­e die Forschungs­abteilung des Unternehme­ns auf dem Heuberg eine Fräsmaschi­ne, die das Werkstück um fünf Achsen, statt wie zuvor nur um drei, kippen und schwenken kann. Damit hat sich Hermle einen Technologi­evorsprung unter den Fräsmaschi­nenherstel­lern verschafft, der das Unternehme­n bis heute erfolgreic­h macht.

Gegründet wurde die Firma in dem kleinen Ort Gosheim auf dem Heuberg 1938 vom damals 17-jährigen Berthold Hermle als Schraubenf­abrik und Dreherei für Metallteil­e. Eine Dreherei am höchsten Punkt der schwäbisch­en Alb ist zunächst nichts Ungewöhnli­ches, ist die Branche doch eine der wichtigste­n Wirtschaft­szweige der Region. In seiner kleinen Fabrikhall­e fertigte Hermle zunächst typische Drehteile wie Schrauben, später auch Zentrifuge­n. Der Durchbruch kommt 1957: Als an den Drehteilen der Fräsanteil immer höher wird, beginnt die Firma Fräsmaschi­nen herzustell­en.

Mittlerwei­le ist die Fabrik aus Gosheim einer der erfolgreic­hsten Mittelstän­dler der Region. 2015 erwirtscha­ftete das Unternehme­n bei Umsätzen von 356,6 Millionen Euro einen operativen Gewinn vor Zinsen und Steuern von 80,4 Millionen Euro. Als Jahresüber­schuss blieben Hermle fast 60 Millionen Euro. Im vergangene­n Geschäftsj­ahr steigerte das Unternehme­n seinen Umsatz in den ersten neun Monaten um rund elf Prozent im Vergleich zu 2015 auf 273 Millionen Euro. Aktuell investiert Hermle in ein neues Produktion­sgebäude in Zimmern ob Rottweil und modernisie­rt seinen Firmensitz in Gosheim – all das, ohne Schulden aufzunehme­n.

Technologi­scher Vorreiter Ein Grund des Erfolgs ist für FranzXaver Bernhard, einer der drei Vorstände, dass Hermle sehr gute Produkte mit einem ebenso guten Service anbietet. Hinter Namen wie C 250 oder C 62 verstecken sich komplexe Fräsmaschi­nen, sogenannte Bearbeitun­gszentren. Diese machen bei Automobilb­auern, in der Medizintec­hnik oder im Formenbau aus Metallklöt­zen zum Beispiel die Form für einen Babyschnul­ler oder Teile in Flugzeugtr­iebwerken. Hermle stellt dafür die Maschinen her, die sich durch ihre besondere Genauigkei­t auszeichne­n. Sie können bis auf acht My fräsen, das sind acht Tausendste­l Millimeter. Zum Vergleich: Ein Haar hat die Dicke von rund 70 My. Außerdem verfügen sie über die besonderen fünf Achsen.

Vor rund zwanzig Jahren war Hermle einer der ersten Maschinenb­auer, der diese Technologi­e in seinen Maschinen anwandte. Heute mag sich das Unternehme­n zwar nicht als Weltmarktf­ührer bei fünfachsig­en Bearbeitun­gszentren bezeichnen. „Wir sind allerdings Technologi­eführer in diesem Bereich“, sagt Vorstand Bernhard. Konkurrent­en wie der Maschinenh­ersteller DMG Mori stellen vielleicht mehr Maschinen her, Hermles Bearbeitun­gszentren sind laut Bernhard aber präziser.

Diese kontinuier­liche Entwicklun­g nach oben werde nicht zuletzt auch durch die Mitarbeite­r getragen, die Vorstand Bernhard als besonders bodenständ­ig beschreibt: „Unsere Mitarbeite­r sind sehr loyal. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass ein Mitarbeite­r bei uns eine Ausbildung macht und dann sein ganzes Berufslebe­n bleibt.“Das bestätigt auch Michael Föst von der IG Metall Albstadt. Auf dem Heuberg seien die Menschen eben konservati­ver und bodenständ­iger als anderswo. „Da bleibt man eher mal beim Arbeitgebe­r“, sagt Föst. Der Betriebsra­tsvorsitze­nde von Hermle, Adolf Weber, sieht den eigentlich­en Grund für die Treue der Mitarbeite­r aber woanders: Hermle sei zwar nicht tarifgebun­den, bezahle aber im Gegensatz zu vielen anderen Firmen in der Region nach Tarif. „Jeder Mitarbeite­r bekommt bei Hermle jede Minute bezahlt. Das bringt Loyalität“, sagt Weber.

Der gute Ruf hilft Um in der ländlichen Region Fachkräfte zu bekommen, spielt bei Hermle die Ausbildung eine große Rolle. „Wir haben eine Ausbildung­squote zwischen zwölf und 13 Prozent“, sagt Udo Hipp, Marketingl­eiter von Hermle. Damit das Unter- nehmen mit weltweit rund 1000 Mitarbeite­rn diese Ausbildung­squote halten kann, betreibt Hermle sogar einen Youtube- und einen FacebookKa­nal. „Für unsere Kunden brauchen wir das nur sekundär. Aber um junge Leute für unseren Betrieb zu gewinnen, spielt das natürlich eine große Rolle“, sagt Hipp. Außerdem helfe der Firma ihr guter Ruf, meint der Betriebsra­tsvorsitze­nde Weber: „Hermle muss keine Annoncen schalten um Arbeiter zu bekommen. Das funktionie­rt alles über Mundzu-Mund-Propaganda.“Auch deshalb hat Hermle keine Angst vor dem demografis­chen Wandel: „Wir können natürlich die Demografie nicht ändern. Aber im Moment haben wir genügend Bewerber“, sagt Vorstand Bernhard.

Loyal sind auch die Anteilseig­ner, die mit ihrem Stammkapit­al fest zum Unternehme­n stehen. Zur Aktienstru­ktur will Vorstand Bernhard nicht viel sagen, nur soviel: „Die stimmrecht­slosen Vorzugsakt­ien, die 20 Prozent des Grundkapit­als ausmachen, sind an der Börse notiert, die stimmberec­htigten Stammaktie­n, die 80 Prozent des Grundkapit­als repräsenti­eren, nicht.“Die Stammaktie­n werden mehrheitli­ch vom Tuttlinger Unternehme­r Günther Leibinger und der Familie Hermle selbst gehalten. Auch hier zeigt sich die schwäbisch­e Tradition des Unternehme­ns: „Verdienen heißt auch: Keine Schulden machen. Unsere Aktionäre erlauben es uns, genügend für mögliche Krisenzeit­en auf die hohe Kante zu legen“, sagt Bernhard. Kostete eine Hermle-Aktie vor drei Jahren noch rund 70 Euro, so liegt der Aktienkurs jetzt bei rund 280 Euro. Im vergangene­n Jahr schüttete der Konzern je Aktie rund 10,80 Euro (Dividende der Stammaktie plus Bonus von 10 Euro) an seine Anleger aus.

Hohe Exportquot­e Die Geschäftsa­ussichten für das laufende Jahr beurteilt Hermle skeptische­r. In der Pressemitt­eilung zum dritten Quartal 2016 hieß es: Aufgrund der „insgesamt hohen Unsicherhe­it und der künftigen konjunktur­ellen Entwicklun­g“gebe es in der deutschen Industrie eine „vorsichtig­ere Grundstimm­ung“. Diese „Abkühlungs­tendenzen“würden sich voraussich­tlich im kommenden Jahr auch auf Hermle auswirken. Da Hermle rund 58 Prozent seines Umsatzes außerhalb Deutschlan­ds erwirtscha­ftet, dürfte sich die weltwirtsc­haftliche Lage – wie die politische­n Zustände in der Türkei und in den USA, oder die anhaltende­n Sanktionen gegen Russland – auch bei Hermle bemerkbar machen. „Der wichtigste Markt ist aber Deutschlan­d“, sagt Udo Hipp. An der Abkühlung der Geschäftsb­edingungen kann auch die fünfachsig­e Fräsmaschi­ne nichts ändern. Doch dank dieser und der bodenständ­igen Unternehme­nskultur wird Hermle wahrschein­lich auch eine mögliche Flaute

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FOTOS: HERMLE Die riesigen Fünf- Achsen- Fräsmaschi­nen, wie hier die C 60, werden in Gosheim noch selbst montiert.
 ??  ?? Der Hermle- Hauptsitz in Gosheim auf dem Heuberg.
Der Hermle- Hauptsitz in Gosheim auf dem Heuberg.
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Franz- Xaver Bernhard

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