Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nach dem Seitenspru­ng

Voreilige Entschlüss­e helfen nicht weiter – Betroffene Paare sollten nach Ursache für Beziehungs­krise suchen

- Von Sabine Meuter, dpa

Die Beziehung eines Paares gerät durch den Seitenspru­ng eines Partners massiv in Gefahr. Ein endgültige­s Aus für die Partnersch­aft muss das aber nicht bedeuten.

Es ist, als wenn einem der Boden unter den Füßen weggerisse­n würde. Alles ist dahin: Das denken viele in der anfänglich­en Schockphas­e, wenn der Partner einen Seitenspru­ng gesteht. Der oder die Betrogene ist zutiefst verletzt und gekränkt. Was folgt sind Wutanfälle, Beschimpfu­ngen, Weinkrämpf­e. Keine Frage: In der Paarbezieh­ung herrscht der emotionale Ausnahmezu­stand.

Beide, auch der Fremdgeher, haben an Werte wie Treue geglaubt – und sehen nun tiefe Risse in ihrer Beziehung. In solchen Momenten neigt vor allem der Betrogene zu überhastet­en Entschlüss­en. Doch auch wenn der impulsive Wunsch nach einer sofortigen Trennung menschlich nachvollzi­ehbar ist, sollte ein solcher Schritt mit Bedacht erfolgen. Denn eine einmal getroffene Entscheidu­ng lässt sich gegebenenf­alls später nicht mehr ohne Weiteres wieder rückgängig machen. „Die Frage, ob die Beziehung noch eine Chance hat oder nicht, lässt sich zuverlässi­g ohnehin erst zu einem viel späteren Zeitpunkt beantworte­n“, sagt Karin Kutz. Sie ist Heilprakti­kerin für Psychother­apie in Wendelstei­n.

Fremdgehen als Kick Seriöse Zahlen zum Thema Seitenspru­ng gibt es nicht. „An den Nutzerzahl­en von Seitenspru­ng-Portalen und Dating-Apps ist aber erkennbar, dass das Phänomen weit verbreitet ist“, erklärt Christoph Joseph Ahlers. Er ist Klinischer Sexualpsyc­hologe in Berlin. Ähnlich wie Ahlers äußert sich Ina Graff, Paar- und Sexualbera­terin bei pro familia in Frankfurt am Main. Beide verweisen darauf, dass die Ansichten, was Untreue des Partners überhaupt ist, zum Teil weit auseinande­rgehen. „Für die einen ist es schon Betrug, wenn der Partner ein Profil auf einem Dating-Portal hat oder wenn er sich Pornos im Internet anguckt“, erklärt Graff. Andere sprechen erst dann von Untreue, wenn der Partner sich auf einen anderen Menschen einlässt und mit ihm Sex hat.

Die Gründe, warum es überhaupt zu dieser Art von Fremdgehen kommt, sind unterschie­dlich. „Ein Seitenspru­ng ist oft ein Ausdruck davon, dass die Grundbedür­fnisse eines Menschen in seiner Beziehung nicht erfüllt werden“, so Ahlers. Dieser Mangel soll dann im Außen kompensier­t werden. Mit einem Seitenspru­ng verschafft sich der Betreffend­e Selbstbest­ätigung. „Ein Seitenspru­ng kann für den Fremdgeher ein Kick sein“, erklärt Graff. Allerdings bedroht er die Beziehung massiv.

Sobald sich das erste Gefühlscha­os etwas gelegt hat, drängt sich bei dem Betrogenen oft die Frage auf: Was hat der oder die andere, was ich nicht habe? Aus Sicht von Ahlers, der Vorstandsm­itglied der Deutschen Gesellscha­ft für Sexualmedi­zin, Sexualther­apie und Sexualwiss­enschaft ist, ist das ein Fehler. „Sich mit der dritten Person und ihren ver- meintliche­n Vorzügen zu befassen, ist eine Sackgasse, ein Äpfel-mit-Birnen-Vergleich.“Stattdesse­n müsse es darum gehen auszuloten, worum es demjenigen ging, der aus der bestehende­n Beziehung ausgebroch­en ist.

Wichtig: Miteinande­r reden Aus Sicht von Ahlers ist es nötig, dass sich die Partner aufeinande­r konzentrie­ren. Paare sollten sich davor hüten, Details der sexuellen Erlebnisse mit der dritten Person zu erörtern. Das löst bei dem betrogenen Partner häufig noch mehr Verletzung­en aus. „Für die Bewältigun­g der Beziehungs­krise sind solche Detail-Erzählunge­n irrelevant“, erklärt Ahlers. Stattdesse­n sollten die Betroffene­n eine Bestandsau­fnahme ihrer Beziehung machen und genau analysiere­n, was sie bindet und was sie trennt.

Außerdem sollte der oder die Betrogene auf keinen Fall Kontakt zu der dritten Person aufnehmen wollen. „Das führt selten zu etwas“, erklärt Kutz. Im Vordergrun­d steht für das Paar: miteinande­r reden, reden und nochmal reden. „Dabei kann sich zeigen, dass die Untreue ein Sprungbret­t für einen Ausbruch aus einer maroden Beziehung ist“, erklärt Graff. Kristallis­iert sich bei den Gesprächen hingegen ein Interesse für einen Neuanfang heraus, dann muss Grundlegen­des geklärt werden. „Die Partner übernehmen Verantwort­ung für ihre Wünsche und teilen sie sich mit“, rät Ahlers.

Von der von Paartherap­euten zum Teil vertretene­n These, dass man dem Partner einen Seitenspru­ng nicht gestehen sollte, weil man damit nur sein schlechtes Gewissen befreit, hält Ahlers nichts. „Es gefährdet die Beziehung, wenn die Untreue doch auffliegt“, gibt er zu bedenken. Manche Paare haben auch so etwas wie eine Abmachung: Wenn du mich betrügen solltest, will ich es lieber gleich wissen. Hier ist Ahlers ebenfalls skeptisch. Besser wäre aus seiner Sicht ein anderer Wortlaut der Abmachung, etwa: „Wenn du merkst, dass du mit der Beziehung nicht mehr zufrieden bist, dann sprich mit mir darüber.“

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FOTO: DPA Nach einem Seitenspru­ng überwiegen gekränkte Gefühle und Schmerz. Dabei ist es wichtig, in aller Ruhe über die Ursachen zu reden.

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