Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit Barrierefreiheit sieht es im Schussental mau aus
Haltestellen müssen bis 2022 umgerüstet sein – Weniger als fünf Prozent entsprechen derzeit den Anforderungen
RAVENSBURG - Bis 2022 müssen alle Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland barrierefrei ausgebaut werden. Das schreibt das Personenbeförderungsgesetz vor, das auch für Ravensburg gilt. Doch bislang sieht es damit mau aus im Schussental, wie der für den Busverkehr zuständige Stadtwerkechef Andreas Thiel-Böhm bestätigt. Unter fünf Prozent der Bushaltestellen, so schätzt er, entsprechen derzeit den Anforderungen.
Die Stadt Ravensburg, die für den Ausbau der Haltestellen sorgen muss, hat für das laufende Jahr 200 000 Euro im Haushalt bereitgestellt. Im Ausschuss für Umwelt und Technik wird am 25. Januar entschieden, in welcher Prioritätenfolge die Haltestellen barrierefrei umgebaut werden sollen.
Marienplatz schlechtes Beispiel Eine barrierefreie Haltestelle klingt zunächst einmal prima. Doch was genau ist das eigentlich? „Der Bordstein ist deutlich höher und die Haltestellen verfügen über Leitstreifen auf dem Boden für Sehbehinderte“, erklärt Thiel-Böhm. Durch höhere Randsteine und das Absenken der Busse ist nahezu ein ebenes Einsteigen in die Busse möglich. Dazu muss die Busbucht allerdings so angelegt sein, dass der Fahrer den Bus ganz eng an den Bordstein heranfahren kann. „Wenn der Abstand zum Bordstein zu groß ist und eine Lücke entsteht, bringt das alles nichts“, sagt ThielBöhm, der in diesem Zusammenhang massiv die Haltestellen auf dem Marienplatz kritisiert. „Der Marienplatz ist eine der wichtigsten Haltestellen, die dringend umgebaut werden müsste“, so Thiel-Böhm.
Eine Busfahrt zeigt: Die Haltestelle am Schadbrunnen liegt in einer Kurve. Der Bus kann den Bordstein nicht in ganzer Länge parallel anfahren. Besser ist es auf der gegenüberliegenden Seite vor dem „Central“. Die Leit- streifen, die sogenannten taktilen Bodenindikatoren für Sehbehinderte, fehlen gänzlich. In Sachen Barrierefreiheit gibt es also ein klares Minus.
Es gibt noch viel zu tun Doch nicht nur der Marienplatz ist ein schlechtes Beispiel. „An den wesentlichen und viel frequentierten Haltestellen, wie etwa auch die Gartenstraße oder die Wilhelmstraße, ist in Sachen Barrierefreiheit noch nicht viel passiert. Da gibt es noch eine Menge zu tun“, so Thiel-Böhm.
Bislang sei der Ausbau von Bushaltestellen einer der ersten Posten im städtischen Haushalt gewesen, der gestrichen wurde, wenn gespart werden musste. Dieses Jahr sind nun 200 000 Euro vorgesehen. Gemeinsam mit den Stadtwerken, dem Regionalverband Alb-Bodensee (RAB) und dem Behindertenbeauftragten für den Landkreis Ravensburg (Torsten Hopperdietzel) erarbeitet die Stadtverwaltung derzeit eine Liste, welche Haltestellen am dringlichsten umgerüstet werden sollen.
Eine Testfahrt durch Ravensburg, Weißenau und Weingarten macht deutlich: Kaum eine Bushaltestelle genügt den Anforderungen. Selbst am Torplatz in Weißenau, der seit der Umgestaltung nun zwar über höhere Bordsteine verfügt, fehlen die Leitstreifen. Die angefahrenen Haltestellen in Weingarten (Charlottenplatz, Löwenplatz, Post) geben ebenfalls kein zufriedenstellendes Bild ab. Besonders „unsinnig“findet Stadtwerkechef Thiel-Böhm die Gestaltung der Post-Haltestelle. Angefangen vom Pflasterstein über das fehlende hohe Bord bis hin zu ungünstig platzierten Pfosten, die das Ausfahren der Rollstuhlrampe erschweren.
Einigermaßen zufriedenstellend ist der neu umgestaltete Zentrale Omnibusbahnhof in Ravensburg. Dort sind die Haltestellen bei der AOK und Am Alten Gaswerk entlang den Anforderungen entsprechend. Die restlichen Haltestellen in der Mitte des Platzes allerdings nicht.
Viele Probleme auf dem Land Besonders unzureichend für Menschen mit Handicap stellt sich die Situation außerhalb des Stadtgebiets dar. Das bestätigt neben Thiel-Böhm auch Kreisbehindertenbeauftragter Torsten Hopperdietzel: „Im Stadtge- biet hat sich schon einiges gebessert, dort sind überwiegend Niederflurbusse unterwegs. Auf dem Land fahren hauptsächlich Überlandbusse mit Treppenaufstieg, Haltestellen sind kaum barrierefrei ausgebaut und Leitstreifen gibt es kaum.“Wie er ausführt, helfe der freundlichste Busfahrer und der geduldigste Rollstuhlfahrer nichts, wenn der Überlandbus über keinen ebenen Einstieg verfügt und der Rollstuhlfahrer nicht mitfahren kann.
Zufrieden ist Hopperdietzel hingegen mit dem Umgang der Busfahrer mit mobilitätseingeschränkten Menschen. „Da hat sich in der Vergangenheit viel gebessert. Als Ergebnis der Inklusionskonferenz des Landkreises haben dazu auch erst wieder Schulungen stattgefunden.“(siehe Kasten)
Begeistert ist er aktuell von einer neuen Möglichkeit, wie Hörgeschädigte sich mithilfe einer neuen Technik jede angefahrene Bushaltestelle auf ihr Smartphone ansagen lassen können. Denn auch das fehlt noch in vielen Bussen – besonders auf dem Land. Als Fahrgastbeirat im Verkehrsverbund Bodo hat er dem Unternehmen dieses „neue System“vorgestellt. „Ob das in den Bussen eingesetzt wird, entscheidet Bodo und das Landratsamt“, so Hopperdietzel.