Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Wir sind gewiss nicht größenwahnsinnig geworden“
Augsburgs Sportchef Stefan Reuter erklärt Schusters Entlassung, Baums Begriffe – und freut sich auf Hoffenheim
AUGSBURG - Eine seltsame Hinrunde liegt hinter dem FC Augsburg. Erstmals seit dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga im Jahr 2011 haben die sonst so besonnen agierenden bayerischen Schwaben mit Dirk Schuster einen Trainer entlassen – und dies sogar mit bundesweit hörbaren Nebengeräuschen: Gerüchte über Prügeleien und Veilchen machten die Runde. Vor dem Start nach der Winterpause wirkt der FCA wieder sortiert – auch dank des neuen, ambitionierten Trainers Manuel Baum. Am heutigen Samstag (15.30 Uhr/Sky) erwarten die Augsburger die TSG Hoffenheim mit ihrem ebenso progressiven Coach Julian Nagelsmann. Vor dem Duell sprach Jochen Schlosser mit Stefan Reuter, dem Sportchef des FC Augsburg.
Der FC Augsburg hat in den bisherigen 16 Spielen der Hinrunde lediglich 13 Tore erzielt, Sie haben dennoch auf einen Wintertransfer verzichtet. Gehen Sie nicht allzu sorglos in die Rückrunde, Herr Reuter? Nein. Das hängt einfach mit der vergangenen Saison zusammen, als wir in der Europa League gespielt haben. Hierfür haben wir uns einen etwas größeren Kader zugelegt, sonst hätten wir auch die Hinrunde mit den vielen Verletzten nicht so überstanden. Jetzt kommen wichtige Spieler zurück. Wir glauben, dass wir ganz gut aufgestellt sind.
Aber es fehlen Stürmer: Alfred Finnbogasons Verletzung ist rätselhaft, Caiubys Rückkehr nicht in Sicht und Raul Bobadilla hatte lange Probleme mit der Wade. Bräuchten Sie nicht einen weiteren Angreifer? Bobadilla hat zwar die komplette Vorbereitung mitgemacht, aber er muss natürlich noch an seiner Fitness arbeiten. Dong Won-Ji hat es zuletzt vorne gut gemacht, auch unser Allrounder Halil Altintop kann das. Wir hatten außerdem unsere jungen Offensivspieler Julian Günther-Schmidt und Marco Richter mit im Trainingslager in Marbella. Und mit Georg Teigl und Takashi Usami haben wir offensive Außenbahnspieler, die sich aufdrängen. Alles in allem haben wir innerhalb des Kaders Möglichkeiten, das aufzufangen.
Langer Rede, kurzer Sinn: Planen Sie einen Wintertransfer? Nein.
Die Gelassenheit ist offenbar zurück, vieles wirkt wieder wie früher in Augsburg. In den Tagen der Schuster-Entlassung war Ihr Club kaum wiederzuerkennen. Von Veilchen und ähnlichen Dingen war zuvor im Zusammenhang mit dem FCA nie zu lesen ... Das ist richtig. Wir sind ja auch wirklich nicht dafür bekannt, dass wir uns leicht und schnell von einem Trainer trennen. Wenn man aber erkennt, dass etwas in die falsche Richtung läuft, muss man handeln. Wir haben uns entschieden, wieder jenen Weg einzuschlagen, den wir über Jahre gegangen sind.
Die Entlassung kam dennoch überraschend. 2012 haben Sie trotz katastrophaler Vorrundenbilanz – neun Punkte, Platz 17 – an Vorgänger Markus Weinzierl festgehalten. Eine solche Entscheidung machen wir nicht nur an Ergebnissen fest, sondern an der Art und Weise, wie die Mannschaft auftritt. Wir sind der Meinung, dass ein Verein für eine Philosophie stehen muss. Wenn diese Philosophie immer wieder über den Haufen geschmissen wird, dann ist das für einen Club problematisch.
Haben Sie sich somit in Dirk Schuster getäuscht? Wir haben das anders geplant. Wenn sich die Dinge nicht so entwickeln wie angedacht, wenn etwas nicht zu 100 Prozent zusammenpasst, dann gilt es zu handeln: besser sofort als zu spät. Das ist doch nur konsequent. Deshalb haben wir uns auch für Manuel Baum als Nachfolger entschieden. Er ist seit zweieinhalb Jahren bei uns im Club – als Bindeglied zwischen Nachwuchsbereich und Profis. Er hat unsere Philosophie verinnerlicht, er hat sie tatsächlich auch mit implementiert.
Fragt man den früheren Nachwuchs-Chef Baum nach seiner Spielidee, spricht er stets zunächst von der „DNA des FC Augsburg“– von der U10 über die U23 bis zu den Profis. Sie selbst sagen: „Jeder Ver- ein muss für eine Philosophie stehen.“Wofür steht der FCA? Wir wollen ein aggressives Pressing spielen, ein aggressives Gegenpressing – und nach Ballgewinnen müssen wir schnell umschalten. Das sind die Faktoren, die es uns ermöglichen, attraktiven und auch schönen Fußball zu spielen. Das haben wir in all den Jahren geschafft, und das wollen wir wieder schaffen. Stefan Reuter über die Trennung von Ex-Coach Dirk Schuster
Trainer Baum legt sehr großen Wert auf Taktik, er gilt mit seinen 37 Jahren als Tüftler und Perfektionist. Es geht ihm aber nicht nur um das System als solches, sondern auch um einfache Signale an die Spieler. Haben Sie das in der Vorbereitung auf die Rückrunde im Training verfolgt? Ist das sogar für einen früheren Welt- und Europameister wie Sie neu? Nein, ganz und gar nicht. Dabei geht es exakt um jene Automatismen und Spielzüge, die wir im Club – die damaligen Trainer, Stephan Schwarz (Technischer Direktor des FC Augsburg, die Red.) und ich – vor Jahren festgelegt haben. Wir haben ja viele Spieler, die hier bereits unter Markus Weinzierl gespielt haben. Vieles war schon vorhanden, nun wird es gemeinsam weiterentwickelt. Die Methodik ist dennoch unorthodox und erinnert stark an Basketball. Dort verfügt jede Mannschaft über einen Fundus an Spielzügen, die der Point Guard auf dem Feld oder der Coach über Taktiktafeln anzeigt. Baum nutzt ein iPad, auch er gibt Spielzügen prägnante Namen – angeblich sogar jene von Biersorten ... Das mag sein, aber Ähnliches gab es bei uns auch schon in der Vergangenheit. Markus Weinzierl hat immer von „Ankern“gesprochen. Solche Signale geben eine gewisse Sicherheit, wenn eine Mannschaft unter Druck gerät. Das sind die berühmten Automatismen, das ist die Idee, die ein Trainer einer Mannschaft mitgibt.
Und die kurzen, prägnanten Begriffe sind auch nicht weiter ungewöhnlich? Das erleichtert die Arbeit jedenfalls unheimlich, wenn es darum geht, schnell umzustellen. Man braucht keine langen Erklärungen. Wenn ein bestimmter Begriff genannt wird, weiß jeder Spieler sofort, was vom Trainer gewollt ist. Aber das gab es unter Weinzierl auch schon.
Apropos: Haben Sie sich nach Weinzierls nicht ganz reibungslosem Abgang zu Schalke 04 mittlerweile ausgesprochen? Im Herbst klang es nicht danach. Beim Spiel gegen Schalke sind sie sich aus dem Weg gegangen. Es ist alles wieder gut. Klar, der Abschied war nicht ideal, aber man ist eben nicht immer einer Meinung. So etwas kommt vor im Leben. Zwischenzeitlich hatten wir aber mehrmals wieder Kontakt.
Sie werden sich also beim nächsten Zusammentreffen die Hand geben? Mit Sicherheit. Die tolle Zeit, die wir gemeinsam hatten, lassen wir uns nicht kaputt machen.
Am Samstag kommt es beim Spiel gegen die TSG Hoffenheim zunächst zum Duell der Laptop-Trainer: Julian Nagelsmann ist noch jünger als Manuel Baum. Er schreckt nicht einmal davor zurück, seinen Spielern Zettel mit aufs Feld zu geben. Ich glaube, dass die beiden nicht sehr weit auseinander sind in der Denkund Arbeitsweise. Das wird zum Auftakt mit Sicherheit ein sehr spannendes Spiel gegen eine Mannschaft, die ...
...noch ungeschlagen ist. Stimmt. Das zu ändern, wäre sehr schön.
Nagelsmann ist in Landsberg geboren und war auch beim FCA. Nach seinem Meniskusschaden war er bereits mit 20 Jahren in Augsburg Co-Trainer der Jugend ... Offenkundig ist die Augsburger Luft für Trainer ein gutes Pflaster: Baum, Nagelsmann, Thomas Tuchel – und auch Armin Veh darf man nicht vergessen.
Ihr Coach Baum ist ja eigentlich hauptberuflich Realschullehrer in Taufkirchen und derzeit bis Sommer 2017 vom Dienst freigestellt. Haben Sie ihm schon empfohlen, die Freistellung auszuweiten? Darüber haben wir noch nicht gesprochen, aber davon ist auszugehen.
Und Ihre Zukunft? Immer wenn irgendwo eine Stelle frei wird, fällt der Name Reuter. Das ehrt einen, aber die Umstände hier sind für mich sehr gut. Ich bin absolut zufrieden. Es ist toll, Teil einer sehr positiven, guten Entwicklung zu sein.
Ihr Vertrag läuft bis 2020 und nach aktuellem Stand... ... werde ich den Vertrag auch erfüllen.
Vor der Saison haben viele spekuliert, ob Sie vielleicht gehen, vielleicht sogar zum VfB Stuttgart? Nein, das war kein Thema. Wir wollen den FC Augsburg richtig stabil machen. Wir arbeiten daran, weiter oben zu bleiben.
Genügt Ihnen das wirklich? Hat der Verein mit dem Erreichen der Europa League die Messlatte nicht etwas höher gelegt? Nein, das war eine tolle Saison und ein großes Erlebnis für alle, aber das ist nicht die Norm. Wir haben nach wie vor eines der niedrigsten Budgets in der Liga. Wir werden den Weg der kleinen Schritte weitergehen.
„Wir sind der Meinung, dass ein Verein für eine Philosophie stehen muss.“
Manche Experten haben die Schuster-Entlassung – der FCA lag bekanntlich recht komfortabel auf Platz 13 – anders interpretiert. Das hatte gar nichts mit einer geänderten Erwartungshaltung zu tun. Wir wollen auch diese Saison wieder in der Liga bleiben. Wir sind gewiss nicht größenwahnsinnig geworden, nur weil wir einmal in der Europa League gespielt haben. Stefan Reuter (50) stammt aus dem fränkischen Dinkelsbühl. Während seiner aktiven Karriere als Fußballprofi spielte er für den 1. FC Nürnberg, Bayern München, Juventus Turin und Borussia Dortmund. Mit der deutschen Nationalmannschaft (69 Spiele/2Tore) wurde der Rechtsverteidiger und defensive Mittelfeldspieler 1990 Weltmeister und 1996 Europameister. Als Sportchef arbeitete er für 1860 München und seit Ende 2012 für Augsburg. (jos)