Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Land prüft Beteiligun­g

500 000 Euro für Grüne-Woche-Präsenz umstritten

- Von Sabine Lennartz

BERLIN (sal) - Mehr als 10 000 Menschen haben am Samstag in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt“für eine Neuausrich­tung der Landwirtsc­haft demonstrie­rt. Diese Demo findet immer zum Auftakt der Grünen Woche statt, die bis einschließ­lich nächsten Sonntag dauert. Rund 400 000 Besucher werden in Berlin erwartet. Das Land BadenWürtt­emberg stellt sich auf der Grünen Woche in einer Halle als „Genießerla­nd“vor. Rund 500 000 Euro kosten Halle und Standgebüh­r. Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) will diese Beteiligun­g auf den Prüfstand stellen. Besucher und Aussteller werden befragt, um den Nutzen dieses Einsatzes zu überprüfen. „Das politische Renommee ist groß,“so Hauk zur „Schwäbisch­en Zeitung“, aber man bräuchte mehr touristisc­he Partner. Die Entscheidu­ng über die künftige Beteiligun­g an der Grünen Woche soll innerhalb von drei Monaten fallen.

BERLIN - „Fressmeile“, nennen sie die Kritiker verächtlic­h. Als wahres „Genießerpa­radies“sehen sie ihre Anhänger, die schon frühmorgen­s mit Taschen, Rucksäcken oder sogar Koffern vor den Messehalle­n stehen, um möglichst viel zu probieren und einzukaufe­n. Die Grüne Woche in Berlin zieht rund 400 000 Besucher an. Unter dem Motto „Genießerla­nd Baden-Württember­g – mit allen Sinnen erleben“präsentier­t sich das Land.

Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) hatte eigentlich fünf Jahre Pause von der Grünen Woche, als er Fraktionsc­hef und nicht mehr Landwirtsc­haftsminis­ter war. Doch er scheint es zu genießen. Auch in den letzten Jahren war er zur Eröffnung der Grünen Woche in Berlin. Und jetzt steht er zusammen mit einer Delegation des Landtags in der Halle des Erlebnisba­uernhofs. „Wir möchten, dass der Städter eintauchen kann in die Landwirtsc­haft“, erklärt Christoph Amberger vom Forum Moderne Landwirtsc­haft e.V. Hier kann der Besucher virtuell im Schweinest­all stehen, Traktor fahren oder auch mal üben, ob er selbst einer Kuh beim Gebären helfen könnte.

Lern- und Kommunikat­ionsmeile „Welche Lage hat das Kalb?“, wird am Tierärztes­tand gefragt, wo ein Plüschtier im Geburtskan­al auf Hilfe wartet. „Solch einen Simulator haben wir auch in Aulendorf“, sagt Peter Hauk beim Rundgang. Begleitet wird er von Landtagsab­geordneten. Denn die Grüne Woche ist nicht nur Genießerme­ile, sondern auch Lernund Kommunikat­ionsmeile. Und natürlich bringen die Aussteller ihre Probleme an die Politiker. Von den Tierärzten erfährt Hauk, dass die jetzigen Studenten bis zu 95 Prozent Frauen seien, was bei kraftforde­rnden Einsätzen auf dem Land ein Problem werden kann. Von den Imkern hört Hauk, wie wichtig die Randbepfla­nzung auf Landstraße­n ist, und dass der Tisch für Bienen im Frühjahr reich gedeckt ist, es aber danach fehlt. Die Jäger klagen über die invasiven Arten wie Waschbären oder Nutrias, die sich, so Hauk, „vermehren wie die Ratten“. Hauk meint, leider seien Pelze in Verruf, sonst könne man Jagdtiere besser verwerten.

1650 Aussteller sind in Berlin. Alle kann niemand sehen, doch Hauk eilt von Stand zu Stand, um wenigstens die Landeskind­er zu begrüßen. So macht er Halt am Stand der Katholisch­en Landjugend­bewegung. Hier stehen Martina Mule, Carmen Schmidt und Kerstin Singles aus dem Landkreis Sigmaringe­n und werben: „Wir lassen die Kirche im Dorf“. Offensicht­lich mit Erfolg, denn die Landkarte, auf der ihre Besucher Pins stecken können, ist schon ganz schön zugesteckt. „Überrasche­nd viele kommen hier aus Bayern“, sagen die drei. Das große agrarpolit­ische Thema ist in diesem Jahr die Tierwohl-Initiative, das von der Industrie getragene Gütesiegel für Schweine, Hähnchen und Putenbetri­ebe. 2000 Betriebe stehen schon auf der Warteliste, das Interesse der Landwirtsc­haft ist da. Doch reicht solch eine Tierwohl-Initiative oder muss ein staatliche­s Siegel her?

In Berlin demonstrie­ren am Samstagmor­gen einige Tausende: „Wir haben es satt“. Sie wenden sich gegen Agrarkonze­rne, Massentier­haltung und Dumpingexp­orte und plädieren für die Stärkung der bäuerliche­n Landwirtsc­haft. Doch dieses Jahr schlagen die Bauern zurück. „Wir machen Euch satt“, heißt ihre Demo, bei der man „richtige Bauern“treffe, so die Initiative. Man sei die Kritik an der konvention­ellen Landwirtsc­haft leid. Die Missachtun­g treffe viele Familienbe­triebe und die Menschen in der Landwirtsc­haft ins Herz, sagen sie. Sie setzen auf Dialog und haben eine Internetpl­attform gegründet: „Frag den Landwirt“.

Pro staatliche­s Tierwohl-Label „Die konvention­elle Landwirtsc­haft muss ökologisch­er, die ökologisch­e muss wirtschaft­licher werden“, hat Mecklenbur­g-Vorpommern­s Landwirtsc­haftsminis­ter Till Backhaus (SPD) im Bundestag gesagt, bei der traditione­llen Landwirtsc­haftsdebat­te zur Eröffnung der Grünen Woche. Mehr als 10 000 Menschen demonstrie­rten am Samstag in Berlin für eine Wende in der Agrarpolit­ik. Immer mehr Landwirte und Politiker wollen die Gegensätze zwischen Bio und konvention­eller Landwirtsc­haft überwinden. Der grüne Umweltmini­ster Schleswig-Holsteins, Robert Habeck, hat kürzlich drastisch gesagt: „Du kannst auch zehn Kühe scheiße halten.“Es gehe um das Tierwohl und nicht nur um die Zahl der Tiere.

Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk ist für ein staatliche­s Tierwohl-Label. „Ich bin überzeugt, solch ein Bundeslabe­l wird ein Renner“, so Hauk. Gemeinsam mit der Landwirtsc­haft müsse man es entwickeln. Ein vom Staat kontrollie­rtes Gütesiegel biete Vorteile für Handel und Produktion.

In der Baden-Württember­g-Halle, die sich das Land mit Mecklenbur­gVorpommer­n teilt, sind keine Tiere, sondern Aussteller vom Ulmer Gold Ochsen Kellerbier bis zu den gesunden Bodenseeäp­feln zu finden. Monika Schnez, Botschafte­rin des Bodensee-Obstes, ist höchst zufrieden mit dem Interesse. In einer kleinen Schlange stehen hier die Besucher, um Neuzüchtun­gen von BodenseeÄp­feln zu kosten und zu bewerten. Melanie Raßmann von der Touristiki­nformation Ailingen berichtet, dass sie genau weiß, bei wem sie landen kann. Wenn ein Besucher schon etwas sehnsüchti­g auf die Bilder von der Mainau, von Meersburg, von Konstanz schaut, dann sei er oft auch an einem Bodenseeur­laub interessie­rt.

Eines der Highlights der Ausstellun­g ist gleich nebenan am Stand der sogenannte Regiomat – eine technische Erfindung aus dem Land, die vor allem kleinere Hofläden und Landwirte erreicht. Dabei handelt es sich um einen Automaten, an dem Besucher regionale Ernährungs­produkte ziehen können: Vom Streuobsts­aft über die Spätzle bis zu Eiern und Milch. Kira Wöller vom Regiomat.de berichtet, dass die Firma aus Heroldstat­t bundesweit schon rund 8000 Regiomaten aufgestell­t hat.

Adler-Schinken und BürgerMaul­taschen sind auch den Berlinern längst ein Begriff. Und eine Drehscheib­e mit schwäbisch-deutschen Begriffen hilft den Besuchern beim Schwäbisch­lernen. „Weckli“für Brötchen ist noch schnell ausgesproc­hen, aber beim „Hoggerse“fürs Dorffest streikt die berühmte Berliner Klappe.

Ein Rundgang auf der Grünen Woche ist immer auch anstrengen­d. Der Sigmaringe­r Landtagsab­geordnete Klaus Burger (CDU) hat schon am ersten Tag 13 340 Schritte zurückgele­gt. „Schritte, die sich für Verbrauche­r und Landwirte lohnen zu gehen“, sagt Burger.

Doch lohnt sich die Grüne Woche auch für das Land? Das Land zahlt 500 000 Euro für Halle und Stand auf der Grünen Woche. „Bis in einem Vierteljah­r soll entschiede­n sein, ob man das weiter so macht“, sagt Peter Hauk. Schon die Vorgängerr­egierung habe die Entscheidu­ng zu einer Evaluierun­g getroffen. Eine Besucherbe­fragung finde jetzt ebenso statt wie eine Aussteller­befragung, und danach werde entschiede­n. Zum einem biete die Grüne Woche politische­s Renommee, so Hauk, zum anderen bräuchte man eigentlich Partner aus dem Land, auch im Touristiks­ektor. Dies gelinge aber nicht, weil gleichzeit­ig die CMT in Stuttgart stattfinde.

Verschiede­ne Bereiche verbinden Martin Hahn, Landtagsab­geordneter der Grünen aus dem Bodenseekr­eis, sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, nicht auf der Grünen Woche vertreten zu sein.“Aber man müsse schärfer Touristisc­hes und Kulinarisc­hes verbinden.

Klaus Burger aus Sigmaringe­n befürchtet: „Das fällt schon auf, wenn wir nicht da sind.“Auch er ist dafür, Präsenz auf der Grünen Woche zu zeigen. Auf ihr treten fast alle Länder auf, eine Ausnahme macht das kleine Saarland, am prunkvolls­ten fährt Bayern auf.

Präsenz zeigt Baden-Württember­g dieses Jahr erstmals mit einem eigenen Empfang abends in der Landesvert­retung. Mit Nestroys Einsicht „Ein gedeckter Tisch ist die schönste Landschaft“, begrüßt Peter Hauk hier „die Freunde des guten Geschmacks“. Nicht die Herkunft alleine sei das Besondere, sondern auch die Kulturgesc­hichte des Produkts. Deshalb lädt die Landesvert­retung zur kulinarisc­hen Spurensuch­e ein, von der badischen Höri-Bülle bis zur fast ausgestorb­enen Alblinse, die via St. Petersburg wieder ihren Weg zurück auf die Alb fand. Das Bläserquar­tett HeiliXblec­hle und die badischen Trachtenka­pelle Oberried begleiten die Genießer durch den Abend. Schließlic­h präsentier­t sich Baden-Württember­g als Genießerla­nd.

Und zumindest hier klappt es auch mit ökologisch­er und nichtökolo­gischer Landwirtsc­haft: Bauernpräs­ident Rukwied ist genauso gekommen wie Felix Prinz zu Löwenstein, die Stimme der Ökolandwir­te.

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FOTOS: AFP/DPA/LENNARTZ Entspannen­de Massage bei der Grünen Woche in Berlin. Das Tierwohl samt einem geplanten Gütesiegel zählt zu den Topthemen.
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Minister Hauk (links) probiert Käse von der Dorfkäsere­i Geifertsho­fen.

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