Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Europas Schweigen

- Von Susanne Güsten

Der türkische Präsident Erdogan steuert mit Volldampf auf die Verwirklic­hung seines großen Plans zu: In einer Volksabsti­mmung will er absolutist­ische Vollmachte­n für sich absegnen lassen, die europäisch­en Grundsätze­n von Demokratie und Gewaltente­ilung offen widersprec­hen.

Doch die Kritik aus der EU bleibt verhalten – und das hat seine Gründe. Für Europa ist Erdogan zwar ein schwierige­r Gesprächsp­artner, doch der Präsident hat aus Sicht vieler europäisch­er Politiker zwei große Vorteile: Zum einen erfüllt er seit fast einem Jahr seine Zusagen in der Flüchtling­spolitik.

Zum anderen steht Erdogan für einigermaß­en stabile Verhältnis­se in der Türkei, die von Putschvers­uchen, Terroransc­hlägen und den Folgen des Konflikts beim Nachbarn Syrien heimgesuch­t wird. Erdogan mag zwar mehr und mehr autokratis­ch regieren. Doch aus europäisch­er Sicht ist wesentlich wichtiger, dass er das Land im Großen und Ganzen im Griff zu haben scheint.

Sollte Erdogan abgelöst werden, wäre in der Türkei kein Politiker von Statur in Sicht, der das Ruder übernehmen und das wichtige Land an der Nahtstelle zwischen Ost und West verlässlic­h steuern könnte. Diese Art von realpoliti­schen Überlegung­en sind nur schwer mit den demokratis­chen Idealen der Europäisch­en Union in Einklang zu bringen.

Doch die Alternativ­e wäre ein ernsthafte­s Einwirken der EU auf Erdogan und die Türkei. Und daran ist im Moment keine Regierung in Europa interessie­rt.

politik@schwaebisc­he.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany