Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Europas Schweigen
Der türkische Präsident Erdogan steuert mit Volldampf auf die Verwirklichung seines großen Plans zu: In einer Volksabstimmung will er absolutistische Vollmachten für sich absegnen lassen, die europäischen Grundsätzen von Demokratie und Gewaltenteilung offen widersprechen.
Doch die Kritik aus der EU bleibt verhalten – und das hat seine Gründe. Für Europa ist Erdogan zwar ein schwieriger Gesprächspartner, doch der Präsident hat aus Sicht vieler europäischer Politiker zwei große Vorteile: Zum einen erfüllt er seit fast einem Jahr seine Zusagen in der Flüchtlingspolitik.
Zum anderen steht Erdogan für einigermaßen stabile Verhältnisse in der Türkei, die von Putschversuchen, Terroranschlägen und den Folgen des Konflikts beim Nachbarn Syrien heimgesucht wird. Erdogan mag zwar mehr und mehr autokratisch regieren. Doch aus europäischer Sicht ist wesentlich wichtiger, dass er das Land im Großen und Ganzen im Griff zu haben scheint.
Sollte Erdogan abgelöst werden, wäre in der Türkei kein Politiker von Statur in Sicht, der das Ruder übernehmen und das wichtige Land an der Nahtstelle zwischen Ost und West verlässlich steuern könnte. Diese Art von realpolitischen Überlegungen sind nur schwer mit den demokratischen Idealen der Europäischen Union in Einklang zu bringen.
Doch die Alternative wäre ein ernsthaftes Einwirken der EU auf Erdogan und die Türkei. Und daran ist im Moment keine Regierung in Europa interessiert.
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