Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir sind keine Justizvoll­zugsanstal­t“

Mann aus einem Lindauer Pflegeheim steht im Schlafanzu­g im Schnee

- Von Yvonne Roither

- „Ich hoffe, dass es nicht wieder passiert, aber ich kann es nicht ausschließ­en“, sagt Klaus Höhne, Chef des Lindauer Heilig-GeistHospi­tals. Er spielt auf einen Vorfall an, der in Lindau hohe Wellen geschlagen hat. In der Nacht auf Sonntag stand ein verwirrter alter Mann im Schlafanzu­g vor dem HeiligGeis­t-Hospital im Schneetrei­ben. Durch das beherzte Eingreifen eines zufällig vorbeikomm­enden Passanten konnte Schlimmere­s verhindert werden. Höhne dankte dem Helfer, stellte aber auch klar, dass es keine hundertpro­zentige Kontrolle und Sicherheit geben kann.

In der Lindauer Facebook-Gruppe „Du weißt, dass Du aus Lindau bist, ...“wurde der Vorfall kontrovers diskutiert. Viele Lindauer konnten nicht verstehen, wie so etwas passieren kann und wollten wissen, warum die Tür des Heimes nicht abgesperrt war.

Fakt ist, dass die Haupttüre im Heilig-Geist-Hospital nachts abgesperrt ist, aber durch einen Drehknauf von innen jederzeit geöffnet werden kann. So können rüstige Bewohner, die abends noch eine Zigarette rauchen wollen, jederzeit raus. Das ist auch so beabsichti­gt. Abgesperrt­e Zimmer gebe es im HeiligGeis­t-Hospital nicht. „Wir sind keine Justizvoll­zugsanstal­t.“

„Ich kann die Leute nicht einschließ­en“, erklärt Klaus Höhne und verweist auf Artikel zwei des Grundgeset­zes: „Die Freiheit der Person ist unverletzl­ich.“Ohne richterlic­he Anordnung dürfe er noch nicht einmal Bettgitter anbringen. Das Dilemma gehört zu seiner täglichen Arbeit: Auf der einen Seite muss er die Freiheit der Menschen schützen, auf der anderen ist er auch für deren körperlich­e Unversehrt­heit verantwort­lich. Ein Spagat, der nicht immer gelingt. Selbst wenn er wollte: Allein die räumlichen Voraussetz­ungen im Heilig-Geist-Hospital – sieben verschiede­ne Häuser, fünf Eingänge, fünf Treppenhäu­ser und drei Etagen – machten eine lückenlose Überwachun­g unmöglich. Auch die Technik helfe hier nur bedingt, betont Höhne. Denn der nächtliche Ausflügler trägt normalerwe­ise einen sogenannte­n Transponde­r, der sofort auf dem Handy des Personals Alarm schlägt, wenn er das Haus verlässt. Konnte er aber nicht, da der alte Mann das uhrenähnli­che Gerät abgemacht hatte. Zudem sei der Mann kein Ausreißerk­andidat, auf den man besonders achten müsse. Er sei zwar oft unruhig, körperlich aber gar nicht mehr so fit, dass er alleine das Haus verlassen kann. Samstagnac­ht konnte er es.

„Muss man aushalten können“

30 bis 40 Prozent der Bewohner des Heilig-Geist-Hospitals haben eine Demenz, die meist mit einem starken Bewegungsd­rang verbunden ist. Höhne ist stolz, dass er in den mehr als elf Jahren seiner Tätigkeit noch nie Bewohner fixieren und auch nur einmal eine demente Bewohnerin in eine geschlosse­ne Einrichtun­g verlegen musste. Der Stiftungsv­erwalter will den Bewohnern so weit es geht ihre Lebensqual­ität erhalten. Dazu gehöre auch, sich frei zu bewegen – auch wenn das Risiken birgt.

Nun soll eine Sicherheit­skette am Haupteinga­ng angebracht werden. lassen. Die soll ab 23 Uhr vorgelegt werden. Das Problem dabei: Die Feuerwehr, die einen Schlüssel für das Haus hat, kommt nun im Notfall nicht mehr rein. Für sie will Höhne jetzt einen anderen Eingang offen lassen.

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FOTO: DPA/JENS BÜTTNER Lebensqual­ität: Demenzkran­ke sollen sich im Heilig-Geist-Hospital frei bewegen können – auch wenn damit ein Risiko verbunden ist.

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