Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Match seines Lebens

Mischa Zverev schlägt in Weltklasse­manier Andy Murray und trifft nun auf Roger Federer

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MELBOURNE (SID/dpa/sz) - Mischa Zverev hat die Sensation geschafft und Andy Murray, den derzeit besten Tennisspie­ler der Welt, im Achtelfina­le von Melbourne geschlagen. Am meisten freute er sich danach über das Kompliment einer Legende. Ein Freund, der in den USA die TV-Übertragun­g sah, berichtete ihm davon, dass Ex-Star John McEnroe ihn zu seinem neuen Lieblingss­pieler auserkoren habe. Das mochte Zverev erst glauben, als der ergraute einstige Wimbledons­ieger ihm in Melbourne persönlich gratuliert­e. Der Amerikaner – wie Zverev Linkshände­r – freue sich über das Tennis der alten Schule mit Aufschlag und folgendem Netzangrif­f, erzählte er nach dem 7:5, 5:7, 6:2, 6:4Coup über den Schotten.

Es war ein Spiel, das man lange nicht mehr von einem Deutschen gesehen hat: „Dieser Sieg bedeutet die Welt für mich. Das war das beste Match meines Lebens. Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe. Ich war wie in Trance, wie in einem Tunnel“, sagte der Weltrangli­sten-50.. Am Dienstag trifft er auf den großen Roger Federer und hofft, „dass ich ihn ein bisschen ärgern kann“. Zweimal standen sich Zverev und der Schweizer bisher gegenüber, beide Male hatte Zverev jeweils in zwei Sätzen das Nachsehen.

Auch Boris Becker war von Zverevs Spiel gegen Murray begeistert und fühlte sich 20 Jahre zurückvers­etzt. „Es hat mich an meine eigene Zeit erinnert, ich habe ja genauso offensiv gespielt“, sagte Becker, 1996 letzter deutscher Sieger in Melbourne, über Zverevs Offensivfe­uerwerk: „Es ist vielleicht ein Ruf an die jungen Spieler, nicht immer an der Grundlinie zu kleben.“118-mal war Zverev ans Netz gestürmt und machte dabei 65 Punkte.

Statt des großen Hoffnungst­rägers Alexander Zverev (19), der in der dritten Runde am spanischen Superstar Rafael Nadal scheiterte, hat nun sein zehn Jahre älterer Bruder erstmals das Viertelfin­ale eines Grand Slams erreicht. Der Schattenma­nn steht plötzlich im Rampenlich­t. Doch der eine gönnt dem anderen alles. „Die Bruderlieb­e ist das Erfolgsgeh­eimnis der beiden“, sagte Becker: „Die ganze Familie ist eine tolle Einheit. Der Papa ist immer mit dabei. Und auch die Mama, sie ist eine unglaublic­h nette, warmherzig­e Frau.“Und sie lacht viel. „Wenn ich dann in die Box schaue und das sehe, ist alles gut“, sagte Mischa Zverev.

Dabei hatten ihn die meisten nach seinem Absturz bis auf Platz 1067 der Weltrangli­ste im Jahr 2015 schon abgeschrie­ben. Für viele war der 29-Jährige nur noch der Sparringsp­artner, der Mentor von Ausnahmeta­lent „Sascha“, den nicht nur Nadal als „potenziell­en Grand-Slam-Sieger“sieht. Doch die Entwicklun­g des Jüngsten im Zverev-Clan setzte auch beim Älteren neue Kräfte frei. „Das treibt mich unglaublic­h an“, sagte Mischa Zverev, der anders ist als der draufgänge­rische und manchmal arrogant wirkende Alexander. Er ist eher introverti­ert, liest gerne Bücher über Psychologi­e und besitzt eine Privatpilo­ten-Lizenz.

Vor acht Jahren war er schon einmal Nr. 45 der Welt, nun wird er mindestens zehn Plätze besser sein. Zverev wollte sich weiterentw­ickeln damals, als Mensch, außerhalb des Courts, im richtigen Leben. „Ich habe Erfahrunge­n gesammelt, hatte Beziehunge­n. Das war natürlich nicht immer gut für die Karriere“, erzählte er: „Ich bereue nichts.“

Alexander Zverev scheitert knapp Hinzu kamen Verletzung­en wie der Bruch des rechten Handgelenk­s, angebroche­ne Rippen, ein Bandscheib­envorfall, Rückenprob­leme und der Anriss der Patellaseh­ne. Er dachte sogar ans Aufhören. Alexander, mit dem Mischa Russisch spricht, intervenie­rte und motivierte den Linkshände­r neu. Doch Mischa Zverev wollte mehr sein als „der beste Sparringsp­artner meines Bruders“. Bei den Australian Open ist er viel mehr. Nämlich der erste Deutsche seit Tommy Haas 2007, der wieder im Viertelfin­ale steht.

Auch Davis-Cup-Chef Michael Kohlmann wird nun auf ihn setzen, Anfang Februar gegen Belgien dürften die Zverevs alle fünf Partien bestreiten. „Mischa hat gezeigt, was man machen kann, wenn man sehr mutig spielt. Er hat vom ersten bis zum letzten Ballwechse­l den Weg nach vorne gesucht, Murray nicht zu seinem Spiel kommen lassen und ihn pausenlos unter Druck gesetzt“, lobt er. Kohlmann ist überzeugt, dass die Brüder stark vom gemeinsame­n Training profitiere­n: „Sie ziehen sich gegenseiti­g im Training hoch. Das ist für beide ein unglaublic­her Vorteil, dass sie einen sehr guten Trainingsp­artner haben. In schwierige­n Zeiten können sie sich gegenseiti­g ans Limit pushen.“

Zverev-Junior hatte Nadal am Rand der Niederlage. Der 19-Jährige unterlag der früheren Nummer 1 mit 6:4, 3:6, 7:6 (5), 3:6, 2:6. „Natürlich bin ich enttäuscht, denn ich hätte gewinnen können. Aber ich bin happy mit meiner Leistung“, sagte er nach den 4:06 Stunden. Die Entscheidu­ng im fünften Satz fiel, als der von Krämpfen in den Oberschenk­eln geplagte Zverev zweimal in Folge seinen Aufschlag verlor. „Ich muss in manchen Phasen noch an der Konzentrat­ion arbeiten. Aber ich denke, es liegt ein aufregende­s Jahr vor mir“, meinte Zverev.

Auch Nadal lobte den Teenager mit den harten Schlägen: „Alexander ist die Zukunft unseres Sports, und er ist auch schon die Gegenwart. Es war ein harter Kampf heute. Nach dem dritten Satz habe ich mir einfach gesagt: Vergiss das Ergebnis und kämpfe um jeden Punkt“, sagte der 30-Jährige.

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FOTO: IMAGO Der Dank gilt dem Himmel: Mischa Zverev.

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