Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Abgewunken
Bernie Ecclestone, die personifizierte Ein-Mann-Show, passe nicht mehr in die heutige Welt
n Ungarn funktionierte die Sache mit dem Bernie-Zug oft ganz gut. Wer beruflich damit beschäftigt ist, wagemutigen Männern dabei zuzusehen, wie sie in hochgezüchteten Flundern im Kreis rasen, muss meist erst einmal im Kriechgang aus der Stadt an die Rennstrecken gelangen. In Budapest kam einerseits erschwerend hinzu, dass zumindest bis vor ein paar Jahren eine ganze Fahrspur von der Innenstadt bis zum Hungaroring für Bernie Ecclestone und seine Eskorte reserviert war, die BernieLane. Selbstverständlich gab es sie, schließlich hatte Ecclestone die Formel 1 bereits drei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Ungarn gebracht und den Kommunisten so ein wenig blingblingkommerzfahrbene Abwechslung in den grauen Alltag gebracht – und somit vielleicht sogar den Untergang des real existierenden Sozialismus beschleunigt. So sieht er das.
Triumvirat statt Diktator Andererseits konnte man sich mit ein wenig Glück – und einer gesunden Portion jugendlicher Dreistigkeit – in Budapest im richtigen Moment einfach in die Kolonne hinter die schwarze S-Klasse mit Ecclestone im Fond quetschen – und so stressfrei im Expresstempo zur Arbeit gelangen. An der Rennstrecke angekommen, gab es für den Jungreporter einen erhobenen Zeigefinger samt schelmischem Grinser vom kleinen Mann mit dem Pilzkopf über der Nickelbrille und dem gefühlt dreifach gestärktem weißen Hemd. Bernard Charles Ecclestone, für Freunde, Fahrer und Fans schlicht Bernie, für die übrigen Adabeis der Formel 1 eher Mister E (ganz wichtig übrigens: ohne Punkt), kannte die regelmäßigen Begleiter seines rasenden Wanderzirkusses, der seit Montag nicht mehr seiner ist.
Statt Oberzampano Ecclestone mit seinem angepassten machiavellistischen Führungsstil (teile, herrsche und lass’ uns alle reich werden), wird die Formel 1 künftig von einem Triumvirat geführt. Chase Carey, ein enger Vertrauter von Medianmogul Rupert Murdoch und hochrangiger Manager von Murdochs 21stCenturyFox-Konglomerats, firmiert als neuer starker Mann und Präsident der Formula One Group, die nun dem US-Medienunternehmen Liberty Media gehört. Ein 62 Jahre alter Amerikaner mit Zwirbelbart übernimmt die Geschäfte vom 1,59-Meter kleinen Briten mit derbem Humor und seltsamen politischen Ansichten. Carey unterstützen sollen Ross Brawn, der langjährige Chefingenieur von Ferrari und Mercedes mit dem Branchennamen „Superhirn“als Geschäftsführer Motorsport, sowie Sean Bratches, ein weiterer TVManager, als Finanzgeschäftsführer. „Bernie ist ein Ein-Mann-Team. Er nennt sich selbst Diktator“, das passe nicht mehr in die „heutige Welt“, sagte Carey der BBC. Ecclestone wurde entmachtet, weil der Sport „einen Neuanfang braucht“. Die Rennserie müsse in Zukunft „anders geführt werden als in den vergangenen vier oder fünf Jahren“, sagte er.
Ecclestones Geschäftsmodell hat an Glanz, die Formel 1 an Relevanz verloren. Wagemutigen Männern dabei zuzusehen, wie sie in immer entlegeneren Winkeln der Welt mit Benzinschleudern um den Kreis rasen, wirkt wie eine aus der Zeit gefallene Beschäftigung. Dazu kommen komplizierte Regeln, dass zuletzt selbst Brawn „nicht mehr verstanden“habe, „was da eigentlich passierte“.
Allerdings gab es vom neuen starken Mann für Ecclestone auch ein paar warme Worte zum Abschied – auf die Mister E sicher genauso viel geben wird wie auf seinen neuen Titel als „Ehrenpräsident“. Die Serie sei dank Ecclestone, sagte Carey, zu einem „einzigartigen, ikonischen, globalen Ereignis“geworden und sei ein „außergewöhnliches Spektakel“. Nun beginne eine neue Ära. Dass der „Herr der Räder“(eine weitere Branchenbeschreibung Ecclestones) über kurz oder lang Macht würde abgeben müssen an die neuen Inhaber, schien seit den ersten konkreten Verhandlungen des bisherigen Rechteinhabers CVC mit Liberty Media klar. Dass es so schnell gehen würde mit der kompletten Absetzung des früheren Gebrauchtwagenhändlers, der schon als Kind Bleistifte und Radiergummis an seine Mitschüler verhökerte, überraschte aber sogar die meisten Formel-1-Insider.
Der zurückgetretene Weltmeister Nico Rosberg legte indes große Hoffnungen in die neue Führung. „Eine Veränderung war überfällig“, schrieb er bei Twitter. „Mr. Carey, viel Erfolg dabei, unseren Sport wieder großartig zu machen.“ Pressestimmen: „The Sun“(England): „Auf die Plätze, fertig, los! Ecclestone bekommt von dem Sport, den er seit 1978 führte, die Zielflagge gezeigt. Das amerikanische Unternehmen hat grünes Licht für den Deal bekommen.“„Daily Mail“(England): „Die Formel 1 unterzieht sich dem größten Facelifting seit 40 Jahren. Ecclestone wurde als Rudelführer der Serie beiseite geschoben.“„L'Equipe“(Frankreich): „Seit Dienstagvormittag ist Mister E ein Rentner.“„Corriere della Sera“(Italien): „Ist ein Zircus ohne Mister E überhaupt vorstellbar? Vom absoluten Herrscher zum Hofberater: Das ist ein riesiger Sturz für einen, der einen Nischensport zu einer Weltshow gemacht hat.“„Corriere dello Sport“(Italien): „Bernie Ecclestone ist nicht mehr der Zar der Formel 1.“„Marca“(Spanien): „Der Autoverkäufer, der die Formel 1 in ein Geschäft verwandelt hat.“