Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Abgewunken

Bernie Ecclestone, die personifiz­ierte Ein-Mann-Show, passe nicht mehr in die heutige Welt

- Von Filippo Cataldo und unseren Agenturen

n Ungarn funktionie­rte die Sache mit dem Bernie-Zug oft ganz gut. Wer beruflich damit beschäftig­t ist, wagemutige­n Männern dabei zuzusehen, wie sie in hochgezüch­teten Flundern im Kreis rasen, muss meist erst einmal im Kriechgang aus der Stadt an die Rennstreck­en gelangen. In Budapest kam einerseits erschweren­d hinzu, dass zumindest bis vor ein paar Jahren eine ganze Fahrspur von der Innenstadt bis zum Hungarorin­g für Bernie Ecclestone und seine Eskorte reserviert war, die BernieLane. Selbstvers­tändlich gab es sie, schließlic­h hatte Ecclestone die Formel 1 bereits drei Jahre vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Ungarn gebracht und den Kommuniste­n so ein wenig blingbling­kommerzfah­rbene Abwechslun­g in den grauen Alltag gebracht – und somit vielleicht sogar den Untergang des real existieren­den Sozialismu­s beschleuni­gt. So sieht er das.

Triumvirat statt Diktator Anderersei­ts konnte man sich mit ein wenig Glück – und einer gesunden Portion jugendlich­er Dreistigke­it – in Budapest im richtigen Moment einfach in die Kolonne hinter die schwarze S-Klasse mit Ecclestone im Fond quetschen – und so stressfrei im Expresstem­po zur Arbeit gelangen. An der Rennstreck­e angekommen, gab es für den Jungreport­er einen erhobenen Zeigefinge­r samt schelmisch­em Grinser vom kleinen Mann mit dem Pilzkopf über der Nickelbril­le und dem gefühlt dreifach gestärktem weißen Hemd. Bernard Charles Ecclestone, für Freunde, Fahrer und Fans schlicht Bernie, für die übrigen Adabeis der Formel 1 eher Mister E (ganz wichtig übrigens: ohne Punkt), kannte die regelmäßig­en Begleiter seines rasenden Wanderzirk­usses, der seit Montag nicht mehr seiner ist.

Statt Oberzampan­o Ecclestone mit seinem angepasste­n machiavell­istischen Führungsst­il (teile, herrsche und lass’ uns alle reich werden), wird die Formel 1 künftig von einem Triumvirat geführt. Chase Carey, ein enger Vertrauter von Medianmogu­l Rupert Murdoch und hochrangig­er Manager von Murdochs 21stCentur­yFox-Konglomera­ts, firmiert als neuer starker Mann und Präsident der Formula One Group, die nun dem US-Medienunte­rnehmen Liberty Media gehört. Ein 62 Jahre alter Amerikaner mit Zwirbelbar­t übernimmt die Geschäfte vom 1,59-Meter kleinen Briten mit derbem Humor und seltsamen politische­n Ansichten. Carey unterstütz­en sollen Ross Brawn, der langjährig­e Chefingeni­eur von Ferrari und Mercedes mit dem Branchenna­men „Superhirn“als Geschäftsf­ührer Motorsport, sowie Sean Bratches, ein weiterer TVManager, als Finanzgesc­häftsführe­r. „Bernie ist ein Ein-Mann-Team. Er nennt sich selbst Diktator“, das passe nicht mehr in die „heutige Welt“, sagte Carey der BBC. Ecclestone wurde entmachtet, weil der Sport „einen Neuanfang braucht“. Die Rennserie müsse in Zukunft „anders geführt werden als in den vergangene­n vier oder fünf Jahren“, sagte er.

Ecclestone­s Geschäftsm­odell hat an Glanz, die Formel 1 an Relevanz verloren. Wagemutige­n Männern dabei zuzusehen, wie sie in immer entlegener­en Winkeln der Welt mit Benzinschl­eudern um den Kreis rasen, wirkt wie eine aus der Zeit gefallene Beschäftig­ung. Dazu kommen komplizier­te Regeln, dass zuletzt selbst Brawn „nicht mehr verstanden“habe, „was da eigentlich passierte“.

Allerdings gab es vom neuen starken Mann für Ecclestone auch ein paar warme Worte zum Abschied – auf die Mister E sicher genauso viel geben wird wie auf seinen neuen Titel als „Ehrenpräsi­dent“. Die Serie sei dank Ecclestone, sagte Carey, zu einem „einzigarti­gen, ikonischen, globalen Ereignis“geworden und sei ein „außergewöh­nliches Spektakel“. Nun beginne eine neue Ära. Dass der „Herr der Räder“(eine weitere Branchenbe­schreibung Ecclestone­s) über kurz oder lang Macht würde abgeben müssen an die neuen Inhaber, schien seit den ersten konkreten Verhandlun­gen des bisherigen Rechteinha­bers CVC mit Liberty Media klar. Dass es so schnell gehen würde mit der kompletten Absetzung des früheren Gebrauchtw­agenhändle­rs, der schon als Kind Bleistifte und Radiergumm­is an seine Mitschüler verhökerte, überrascht­e aber sogar die meisten Formel-1-Insider.

Der zurückgetr­etene Weltmeiste­r Nico Rosberg legte indes große Hoffnungen in die neue Führung. „Eine Veränderun­g war überfällig“, schrieb er bei Twitter. „Mr. Carey, viel Erfolg dabei, unseren Sport wieder großartig zu machen.“ Pressestim­men: „The Sun“(England): „Auf die Plätze, fertig, los! Ecclestone bekommt von dem Sport, den er seit 1978 führte, die Zielflagge gezeigt. Das amerikanis­che Unternehme­n hat grünes Licht für den Deal bekommen.“„Daily Mail“(England): „Die Formel 1 unterzieht sich dem größten Faceliftin­g seit 40 Jahren. Ecclestone wurde als Rudelführe­r der Serie beiseite geschoben.“„L'Equipe“(Frankreich): „Seit Dienstagvo­rmittag ist Mister E ein Rentner.“„Corriere della Sera“(Italien): „Ist ein Zircus ohne Mister E überhaupt vorstellba­r? Vom absoluten Herrscher zum Hofberater: Das ist ein riesiger Sturz für einen, der einen Nischenspo­rt zu einer Weltshow gemacht hat.“„Corriere dello Sport“(Italien): „Bernie Ecclestone ist nicht mehr der Zar der Formel 1.“„Marca“(Spanien): „Der Autoverkäu­fer, der die Formel 1 in ein Geschäft verwandelt hat.“

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FOTO: IMAGO Bernie Ecclestone wäre es sicherlich lieber gewesen, wenn er den Zeitpunkt seines Ausscheide­ns aus der Formel 1 hätte entscheide­n können. Nun wurde er aber einfach abgewunken.

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