Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Gabriel war ein guter Vorsitzender“
Die Genossen in der Region sind sich einig: Neuausrichtung der SPD ist richtig
RAVENSBURG - Mit seiner Entscheidung, nicht als Spitzenkandidat der SPD bei der kommenden Bundestagswahl im Herbst anzutreten und den Bundesvorsitz abzugeben, hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Dienstag für jede Menge Aufsehen gesorgt. Auch die Sozialdemokraten in der Region wurden davon überrascht. Dennoch begrüßen Rudolf Bindig, Heike Engelhardt, Reinhard Löhner und Brigitta Wölk die Neuausrichtung ihrer Partei und erhoffen sich durch Kanzlerkandidaten Martin Schulz neuen Schub für die SPD.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig aus Weingarten hat zum Vizekanzler eine persönliche Verbindung – auch wenn sie nie zeitgleich im Bundestag saßen. Beide stammen gebürtig aus dem niedersächsischen Goslar. Dort haben sie zeitversetzt sogar dieselbe Schule, das Ratsgymnasium, besucht. Dieses ist bei unregelmäßigen und ungeplanten Treffen dann auch immer Gesprächsthema der beiden.
So auch bei der letzten Begegnung vor einem halben Jahr, als man sich zufällig in Berlin in einem Hotel getroffen hatte. Nicht nur deshalb sah und sieht Bindig Gabriel als „sehr guten Repräsentanten. Er hat die SPD-Positionen sehr gut herübergebracht.“Der 76-Jährige sei von der Entscheidung „vollkommen überrascht“worden, da er eigentlich von einer Gabriel-Kandidatur ausgegangen war.
Großer Respekt vor Entscheidung Dennoch habe er größten Respekt vor Gabriels Entscheidung, der seine persönlichen Belange hinter die Sache stelle. Gleichwohl freut er sich auf Gabriel als Außenminister. „Als Goslarer bin ich ein bisschen stolz, dass ein Goslarer nun Außenminister wird“, sagt Bindig. „Besser ein guter Außenminister als ein Vielleicht-NichtKanzler.“Darüber hinaus sieht er die SPD nun schlagkräftiger aufgestellt als zuvor. Kanzlerkandidat Martin Schulz habe in seiner Zeit bei der EU gezeigt, dass er ein guter Wahlkämpfer und in der aktuellen Weltlage glaubwürdig für Europa stünde.
„Das ist eine sehr, sehr gute Wahl. Ich bin fest überzeugt, dass er die SPD voranbringen wird“, sagte Bindig, der sich den Hamburger Oberbürgermeister Olaf Scholz nicht so gut als Kanzlerkandidaten hätte vorstellen können. Er sei zu „sachlich und trocken“. In der Politik brauche es „Herzblut und Engagement.“Mit der norddeutschen Kühle habe man schon bei den vergangenen Bundestagswahlen und dem damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück Erfahrungen gemacht.
„Überrascht, wenngleich nicht unerwartet“, hat Heike Engelhardt, SPD-Bundestagskandidatin im Wahlkreis Ravensburg und Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten, die Nachricht vom Verzicht Gabriels auf die Kanzlerkandidatur zur Kenntnis genommen. „Sigmar Gabriel war und ist ein guter Parteivorsitzender und Wirtschaftsminister“, sagt Engelhardt. Sie habe „hohen Respekt“vor dessen Entscheidung, „in die er nicht zuletzt das Wohl seiner Partei mit einbezogen hat“.
Martin Schulz hält die Ravensburgerin für einen „Mann, der mit den Menschen reden kann“: „Er kommt an und wird Rückhalt auch in der Bevölkerung finden. Ich schätze seine kompromisslose Haltung gegen Ausgrenzung und rechtsnationale Tendenzen. Als überzeugte Europäerin freue ich mich, dass mit ihm ein geborener Integrator an die Spitze unserer Partei kommt. Er ist damit für mich der richtige Mann für die Herausforderungen der Zukunft.“Heike Engelhardt erwartet „ein starkes Votum für Martin Schulz beim Parteivorstand am Sonntag“.
Schulz besserer Kanzlerkandidat Martin Schulz sei definitiv der bessere Kanzlerkandidat als Sigmar Gabriel, sagt Reinhard Löhner, Vorsitzender des Ortsverbands Wilhelmsdorf. „Aber ich weiß nicht, ob es der bessere Parteivorsitzende ist.“Unter den beiden Funktionen unterscheidet Löhner, „denn wir verorten Schulz eher am rechten Parteiflügel“. Als Parteivorsitzender wäre ihm Sigmar Gabriel lieber gewesen. Der Wilhelmsdorfer Ortsverband ist eher dem linken Flügel der SPD zuzuordnen, der die linksorientierte Erneuerung in Baden-Württemberg durch die neue Parteivorsitzende Leni Breymaier unterstützt. Sie möchte der Partei ihr altes soziales Profil zurückgeben. Mit Schulz habe die SPD aber auf jeden Fall die besseren Chancen bei der Bundestagswahl. Zu Olaf Scholz sagt Reinhard Löhner: „Ich habe den Eindruck, dass ihm die Eloquenz fehlt, die Schulz in hohem Maße auszeichnet.“
Brigitta Wölk vom Ortsverband Baienfurt bezeichnet sich selbst als eine „richtige Linke“, sieht aber die Entscheidung für Martin Schulz als ein positives Zeichen für die Sozialdemokraten. „Ich halte ihn für den richtigen Kanzlerkandidaten“, sagt Wölk. Prinzipiell unterstützt sie, wie auch die Genossen aus Wilhelmsdorf, die Neuaufstellung der LandesSPD unter Breymaier positiv, „weil ich denke, dass wir manchmal unser Gesicht verloren haben“. Sie setzt trotzdem auch große Hoffnungen in Schulz als neuen Parteivorsitzenden, dass auch er der SPD ihr soziales Profil zurückgibt. „Wenn nicht, wir sind die Basis. Und er muss auch die Basis hinter sich bringen.“
„Besser ein guter Außenminister als ein Vielleicht-NichtKanzler.“ Rudolf Bindig, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter