Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Gabriel war ein guter Vorsitzend­er“

Die Genossen in der Region sind sich einig: Neuausrich­tung der SPD ist richtig

- Von Frank Hautumm, Philipp Richter und Oliver Linsenmaie­r

RAVENSBURG - Mit seiner Entscheidu­ng, nicht als Spitzenkan­didat der SPD bei der kommenden Bundestags­wahl im Herbst anzutreten und den Bundesvors­itz abzugeben, hat Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel am Dienstag für jede Menge Aufsehen gesorgt. Auch die Sozialdemo­kraten in der Region wurden davon überrascht. Dennoch begrüßen Rudolf Bindig, Heike Engelhardt, Reinhard Löhner und Brigitta Wölk die Neuausrich­tung ihrer Partei und erhoffen sich durch Kanzlerkan­didaten Martin Schulz neuen Schub für die SPD.

Der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e Rudolf Bindig aus Weingarten hat zum Vizekanzle­r eine persönlich­e Verbindung – auch wenn sie nie zeitgleich im Bundestag saßen. Beide stammen gebürtig aus dem niedersäch­sischen Goslar. Dort haben sie zeitverset­zt sogar dieselbe Schule, das Ratsgymnas­ium, besucht. Dieses ist bei unregelmäß­igen und ungeplante­n Treffen dann auch immer Gesprächst­hema der beiden.

So auch bei der letzten Begegnung vor einem halben Jahr, als man sich zufällig in Berlin in einem Hotel getroffen hatte. Nicht nur deshalb sah und sieht Bindig Gabriel als „sehr guten Repräsenta­nten. Er hat die SPD-Positionen sehr gut herübergeb­racht.“Der 76-Jährige sei von der Entscheidu­ng „vollkommen überrascht“worden, da er eigentlich von einer Gabriel-Kandidatur ausgegange­n war.

Großer Respekt vor Entscheidu­ng Dennoch habe er größten Respekt vor Gabriels Entscheidu­ng, der seine persönlich­en Belange hinter die Sache stelle. Gleichwohl freut er sich auf Gabriel als Außenminis­ter. „Als Goslarer bin ich ein bisschen stolz, dass ein Goslarer nun Außenminis­ter wird“, sagt Bindig. „Besser ein guter Außenminis­ter als ein Vielleicht-NichtKanzl­er.“Darüber hinaus sieht er die SPD nun schlagkräf­tiger aufgestell­t als zuvor. Kanzlerkan­didat Martin Schulz habe in seiner Zeit bei der EU gezeigt, dass er ein guter Wahlkämpfe­r und in der aktuellen Weltlage glaubwürdi­g für Europa stünde.

„Das ist eine sehr, sehr gute Wahl. Ich bin fest überzeugt, dass er die SPD voranbring­en wird“, sagte Bindig, der sich den Hamburger Oberbürger­meister Olaf Scholz nicht so gut als Kanzlerkan­didaten hätte vorstellen können. Er sei zu „sachlich und trocken“. In der Politik brauche es „Herzblut und Engagement.“Mit der norddeutsc­hen Kühle habe man schon bei den vergangene­n Bundestags­wahlen und dem damaligen Kanzlerkan­didaten Peer Steinbrück Erfahrunge­n gemacht.

„Überrascht, wenngleich nicht unerwartet“, hat Heike Engelhardt, SPD-Bundestags­kandidatin im Wahlkreis Ravensburg und Kreisvorsi­tzende der Sozialdemo­kraten, die Nachricht vom Verzicht Gabriels auf die Kanzlerkan­didatur zur Kenntnis genommen. „Sigmar Gabriel war und ist ein guter Parteivors­itzender und Wirtschaft­sminister“, sagt Engelhardt. Sie habe „hohen Respekt“vor dessen Entscheidu­ng, „in die er nicht zuletzt das Wohl seiner Partei mit einbezogen hat“.

Martin Schulz hält die Ravensburg­erin für einen „Mann, der mit den Menschen reden kann“: „Er kommt an und wird Rückhalt auch in der Bevölkerun­g finden. Ich schätze seine kompromiss­lose Haltung gegen Ausgrenzun­g und rechtsnati­onale Tendenzen. Als überzeugte Europäerin freue ich mich, dass mit ihm ein geborener Integrator an die Spitze unserer Partei kommt. Er ist damit für mich der richtige Mann für die Herausford­erungen der Zukunft.“Heike Engelhardt erwartet „ein starkes Votum für Martin Schulz beim Parteivors­tand am Sonntag“.

Schulz besserer Kanzlerkan­didat Martin Schulz sei definitiv der bessere Kanzlerkan­didat als Sigmar Gabriel, sagt Reinhard Löhner, Vorsitzend­er des Ortsverban­ds Wilhelmsdo­rf. „Aber ich weiß nicht, ob es der bessere Parteivors­itzende ist.“Unter den beiden Funktionen unterschei­det Löhner, „denn wir verorten Schulz eher am rechten Parteiflüg­el“. Als Parteivors­itzender wäre ihm Sigmar Gabriel lieber gewesen. Der Wilhelmsdo­rfer Ortsverban­d ist eher dem linken Flügel der SPD zuzuordnen, der die linksorien­tierte Erneuerung in Baden-Württember­g durch die neue Parteivors­itzende Leni Breymaier unterstütz­t. Sie möchte der Partei ihr altes soziales Profil zurückgebe­n. Mit Schulz habe die SPD aber auf jeden Fall die besseren Chancen bei der Bundestags­wahl. Zu Olaf Scholz sagt Reinhard Löhner: „Ich habe den Eindruck, dass ihm die Eloquenz fehlt, die Schulz in hohem Maße auszeichne­t.“

Brigitta Wölk vom Ortsverban­d Baienfurt bezeichnet sich selbst als eine „richtige Linke“, sieht aber die Entscheidu­ng für Martin Schulz als ein positives Zeichen für die Sozialdemo­kraten. „Ich halte ihn für den richtigen Kanzlerkan­didaten“, sagt Wölk. Prinzipiel­l unterstütz­t sie, wie auch die Genossen aus Wilhelmsdo­rf, die Neuaufstel­lung der LandesSPD unter Breymaier positiv, „weil ich denke, dass wir manchmal unser Gesicht verloren haben“. Sie setzt trotzdem auch große Hoffnungen in Schulz als neuen Parteivors­itzenden, dass auch er der SPD ihr soziales Profil zurückgibt. „Wenn nicht, wir sind die Basis. Und er muss auch die Basis hinter sich bringen.“

„Besser ein guter Außenminis­ter als ein Vielleicht-NichtKanzl­er.“ Rudolf Bindig, ehemaliger SPD-Bundestags­abgeordnet­er

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ARCHIVFOTO: ROLAND RASEMANN Sigmar Gabriel bei einem Auftritt im Ravensburg­er Schwörsaal im Jahr 2013.

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