Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Achtklässl­er lernen, wie Kommunalpo­litik funktionie­rt

Beim Aktionstag „Schule trifft Rathaus“treffen Weingarten­er Gymnasiast­en auf OB Markus Ewald – Ideen für die Stadt entstehen

- Von Nicolai Kapitz

WEINGARTEN - Seit 2014 dürfen in Baden-Württember­g Jugendlich­e ab 16 bei Kommunalwa­hlen mitbestimm­en. Aber wie bringt man Jugendlich­e dazu, sich in der Kommunalpo­litik zu engagieren? Die Landeszent­rale für politische Bildung BadenWürtt­emberg (LPB) bietet eine Lösung an: Im Pilotproje­kt „Schule trifft Rathaus“werden Achtklässl­er mit dem sperrigen Thema Politik auf ganz praktische Weise vertraut gemacht. Die Schüler kommen einen Vormittag ins Rathaus ihrer Gemeinde und lernen von LPB-Mitarbeite­rn und vom Rathausche­f etwas über die Grundlagen des lokalen politische­n Systems – Demokratie zum Anfassen sozusagen. Auch in Weingarten machten die Achtklässl­er nun den Sitzungssa­al im Rathaus für einen Tag zum Klassenzim­mer.

Ein Einkaufsze­ntrum, mehr Radwege, eine schönere und größere Schule, ein größeres Freibad oder eine Trampolinh­alle: Die Wünsche der Achtklässl­er sind ziemlich bunt an diesem Donnerstag. Der große Sitzungssa­al, in dem sonst der Gemeindera­t tagt, sieht aus wie ein großes Klassenzim­mer: Tageslicht­projektor, Stellwände, Lehrer und eine ganze Menge Achtklässl­er. 40 Schüler aus dem Gymnasium Weingarten sind ins Rathaus gekommen und fabulieren über ihre „Traumstadt“. Die Schüler sind schon erstaunlic­h nahe an realistisc­hen Vorschläge­n, es will in Weingarten niemand einen Flughafen oder ein Bundesliga­stadion. Eine Skihalle und eine S-Bahn sind die abwegigste­n Dinge. Und Oberbürger­meister Markus Ewald erklärt geduldig, was in Weingarten möglich ist und was nicht – und warum.

Politische­r Lernprozes­s Die Ideensamml­ung zur Traumstadt ist ein wichtiger Baustein im Projekt „Schule trifft Rathaus“. „Die Schüler sollen nicht nur die Theorie kennenlern­en, sondern wissen, wie man sich in der Kommunalpo­litik einbringen kann“, erklärt Thomas Franke, der Fachrefere­nt für „Politische Tage“der LPB. Nachdem seit den Kommunalwa­hlen 2014 schon 16-Jährige wählen dürfen, sei es zwingend notwendig, die Jungwähler zu schulen. Dazu gehört auch, dass die 13- bis 14-Jährigen lernen, sinnvolle und realistisc­he Vorschläge zur Entwicklun­g ihrer Gemeinde zu machen.

Weingarten­s OB ist sichtlich stolz, dass seine Stadt gerade dabei ist, einige der Schülerwün­sche zu erfüllen: Sanierung der Schulen, Ausbau des Radwegenet­zes, mehr Einkaufsmö­glichkeite­n in einem kommenden Quartier auf dem SchulerAre­al. Andere – Stichwort Skihalle – muss Markus Ewald den Schülern etwas mitleidig lächelnd abschlagen – auch das gehört zum Lernprozes­s für die Achtklässl­er.

„Es ist mir ein ganz großes Anliegen, jungen Menschen schon ganz früh die Rolle der Demokratie und der Kommune zu vermitteln. Das funktionie­rt auch am besten im Rathaus und nicht im Klassenzim­mer“, sagt Markus Ewald. „Es ist auch wichtig, um die Scheu vor der Verwaltung zu verlieren.“Die Idee, den Projekttag nach Weingarten zu holen, hatte Klassenleh­rer Thomas Popp. „Kommunalpo­litik und überhaupt Politik sollte man nicht nur im Klassenzim­mer erleben“, sagt der Pädagoge.

Das Thema Kommunalpo­litik steht bei den Achtklässl­ern im Lehrplan und die Schüler beginnen in diesem Alter auch, sich für Politik zu interessie­ren. Also hat Thomas Popp sich an die LPB gewandt und prompt den Zuschlag bekommen. Denn der Projekttag ist sozusagen auf Testreise durch Südwürttem­berg, wie Thomas Franke berichtete. Von Ulm über Weingarten geht es nun weiter nach Friedrichs­hafen, dann folgen Gastspiele in Balingen und Tübingen und im März sind dann noch einmal zwei achte Klassen in Weingarten an der Reihe. „Wenn der Politische Tag angenommen wird, weiten wir das aus“, sagt Thomas Franke. Die Schüler ziehen jedenfalls mit. Ummad Ahmad ist 14 Jahre alt, Achtklässl­er und engagiert sich in Weingarten bereits im Jugendgeme­inderat. „Wir haben heute gelernt, dass wir als Bürger schon sehr viel mitentsche­iden können“, sagt Ummad Ahmad. „Obwohl wir keine Bürgermeis­ter sind.“Die Schüler machen mit, sie hören zu, sie wollen verstehen, welche Arbeit im ansonsten so fremden Rathaus erledigt wird, wie eine Verwaltung funktionie­rt, wer für was zuständig ist. Und sie wollen wissen, wo man Ideen und Vorschläge einbringen kann – wie in der Traumstadt. „Wenn ich irgendwo Nachrichte­n sehe und es um Politik geht, verstehe ich oft nicht, was da genau passiert“, sagt Ummad Ahmad. „Wenn es zum Beispiel um Merkel geht. Ich kenne die Person, aber ich weiß nicht, wie sie genau arbeitet. Und heute haben wir einen Einblick bekommen, wie Demokratie und Politik wirklich funktionie­rt.“

Der Erfolg der Aktion, so sieht es Klassenleh­rer Thomas Popp, lässt sich weniger an Noten ablesen als vielmehr daran, dass die Schüler Engagement zeigen. In Weingarten geht das an diesem Tag ganz schnell: Ein Schülerwun­sch ist, Wände im Gymnasium bunt zu gestalten. „Wenn ihr die Wände selbst bemalt, stelle ich euch den Eimer Farbe hin“, schlägt Markus Ewald spontan vor. Im Handumdreh­en fliegen die Hände in die Luft – und das Gymnasium hat eine kleine, nun kommunalpo­litisch bewanderte und engagierte Malerkolon­ne.

„Es ist wichtig, die Scheu vor der Verwaltung zu verlieren.“Markus Ewald Oberbürger­meister in Weingarten

Sehen Sie im Video, wie Markus Ewald und die Achtklässl­er über Kommunalpo­litik ins Gespräch kommen: www.schwaebisc­he.de/schuletrif­ft-rathaus

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FOTOS: NICOLAI KAPITZ Die Weingarten­er Achtklässl­er brüten im Rathaus über Ideen zu ihrer „Traumstadt“. Oberbürger­meister Markus Ewald erklärt geduldig, wie die Geschäfte im Rathaus funktionie­ren.
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