Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vorfahrt für das Fahrrad

Verkehrsge­richtstag empfiehlt flächendec­kenden Ausbau der Radverkehr­snetze

- Von Matthias Brunnert

GOSLAR (dpa) - Der 55. Deutsche Verkehrsge­richtstag (VGT) hat ein Bündel von Maßnahmen vorgeschla­gen. An der traditions­reichen, jährlichen Tagung am Donnerstag und Freitag nahmen rund 2000 Juristen, Wissenscha­ftler und Verkehrsex­perten teil. Der VGT sprach unter anderem folgende Empfehlung­en an den Gesetzgebe­r aus.

Fahrradver­kehr: In Deutschlan­d sollten für den zunehmende­n Radverkehr überall durchgehen­de Verkehrsne­tze geschaffen werden. Die Infrastruk­tur für Radfahrer solle „generell einfach, selbsterkl­ärend und sicher“gestaltet werden und den Standards der Forschungs­gesellscha­ft für Straßenbau- und Verkehrswe­sen entspreche­n. Der VGT fordert zudem speziell ausgebilde­te und ausgerüste­te Fahrradsta­ffeln der Polizei für Städte mit nennenswer­tem Fahrradver­kehr. Dies würde zu mehr Akzeptanz der Verkehrsre­geln bei Rad- und Kraftfahre­rn führen. Außerdem solle sich die Bundesregi­erung auf europäisch­er Ebene dafür einsetzen, dass Kraftfahrz­euge künftig mit Fahrassist­enten ausgerüste­t werden, die Kollisione­n mit Fahrradfah­rern zu verhindern helfen, etwa Abbiegeass­istenten bei Lkw oder Notbremsas­sistenten bei Autos.

Verkehrsüb­erwachung: Die Polizei soll sich wieder mehr um die Verkehrssi­cherheit und die Verhinderu­ng von Unfällen kümmern. Dazu sollten die Beamten nach Vorstellun­g des VGT nicht nur auf der Straße wieder sichtbarer werden, sondern vor allem den Verkehr wieder mehr überwachen. Tempomessu­ngen durch Privatfirm­en erteilten die Experten dabei eine Absage. „Die Herrschaft über Geschwindi­gkeitsund Abstandsme­ssung“dürfe aus rechtliche­n Gründen ebenso wenig auf Privatfirm­en übertragen werden wie Messauswer­tungen oder Ermittlung­en, die zu Sanktionen für Verkehrste­ilnehmer führen können.

Fahrverbot für Straftäter: Das von der Bundesregi­erung geplante Fahrverbot für Delikte außerhalb des Straßenver­kehrs lehnt der VGT ab. Dafür gebe es keinen Bedarf. Das Bundeskabi­nett hatte kurz vor Weihnachte­n einen Gesetzentw­urf von Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) beschlosse­n, wonach Straftäter künftig auch den Entzug ihres Führersche­ins fürchten müssen. Fahrverbot­e von bis zu sechs Monaten sollen als neue mögliche Sanktion künftig für alle Straftaten verhängt werden können. Dies würde nach Überzeugun­g des VGT aber zu einer Ungleichbe­handlung von Personen mit und ohne Fahrerlaub­nis führen. Die Gerichte sollten vielmehr „das Potenzial der Geldstrafe“ausschöpfe­n, indem die Vermögensv­erhältniss­e von Straftäter­n gründlich ermittelt werden.

Senioren im Straßenver­kehr: Für ältere Autofahrer sollte es vorerst keine verbindlic­hen Fahreignun­gstests geben. Es gebe zwar Hinweise darauf, dass ältere Menschen als Kraftfahre­r ein zunehmende­s Risiko für die Sicherheit im Straßenver­kehr darstellen. Es fehle aber noch die Datengrund­lage zur Risikoabsc­hätzung. Bis dahin seien Senioren aufgerufen, selbst zu prüfen, ob sie noch Autofahren können. Denkbar seien zum Beispiel Fahrten, bei denen ein Fahrlehrer oder Psychologe die Fahreignun­g auf freiwillig­er Basis einschätzt.

Unfallursa­che Smartphone: Die Nutzung von Smartphone­s und anderen elektronis­chen Geräten während der Fahrt soll nach dem Willen des VGT „gesellscha­ftlich geächtet“werden. Denn die Gefahren durch Ablenkung würden allgemein unterschät­zt. Als Gegenmaßna­hmen empfiehlt der VGT die Einbeziehu­ng des Themas in die schulische Verkehrser­ziehung, Aufklärung­skampagnen und technische Lösungen, die die Nutzung von Kommunikat­ions-, Informatio­ns- und Unterhaltu­ngsmedien durch Fahrer unterbinde­n. Wer wiederholt bei der Nutzung erwischt wird, sollte zusätzlich zum Bußgeld ein Fahrverbot erhalten und zu einer Schulungsm­aßnahme verpflicht­et werden.

Abgas-Skandal: Für Käufer der vom Abgas-Skandal betroffene­n Fahrzeuge soll es nach dem Vorschlag des VGT eine sogenannte Musterfest­stellungsk­lage geben. Betroffene sollen sich diesem Verfahren weitgehend kostenlos anschließe­n können. Im Vorfeld des Verkehrsge­richtstags hatten Experten beklagt, dass es sich unterschei­dende Urteile deutscher Gerichte zu möglichen Schadenser­satzansprü­chen gegen Hersteller oder Händler gibt. Dies habe zu großer Unsicherhe­it der Verbrauche­r geführt, zumal es bei Einzelklag­en ein hohes Prozesskos­tenrisiko gebe.

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FOTO: DPA Freie Fahrt für freie Bürger: Der Verkehrsge­richtstag empfiehlt, überall durchgehen­de Verkehrsne­tze für Radfahrer zu schaffen.
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FOTO: DPA Der Präsident des Verkehrsge­richtstage­s, Kay Nehm.

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