Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Den Kopf weit vorne

In Ochsenhaus­en spricht ein ganz unterschie­dliches Sportler-Quartett über Wege zum Erfolg

- Von Joachim Lindinger

OCHSENHAUS­EN - Hin und wieder switchte Matthias Dolderer ins Englische. Der 46-Jährige ist Flieger, hat in seinem Leben schon ziemlich alles durch die Luft pilotiert. Red-Bull-AirRace-Weltmeiste­r 2016 ist Matthias Dolderer überdies, geboren in Ochsenhaus­en, Heimatflug­platz (in Familienbe­trieb): Tannheim. Jetzt also erzählte Matthias Dolderer von der Zeitenhatz zwischen den aufblasbar­en, 25 Meter hohen Pylonen, davon, wie wohl er sich fühle in seinem Rennflugze­ug, einer Zivko Edge 540 V3, bei der Präzisions­arbeit mit 400 km/h. Leidenscha­ft, Lebensinha­lt sei das Jagen durch den Parcours, „unstoppabl­e“!

Nicht aufzuhalte­n – das war der rote Faden. Zum Sportlerta­lk hatte die Kreisspark­asse Ochsenhaus­en geladen, neben Matthias Dolderer stellten sich Boxerin Rola El-Halabi, Motorradre­nnfahrer Sandro Cortese und Tischtenni­sprofi João Geraldo den Fragen von Harry Kist (Donau 3 FM) und Michael Mader („Schwäbisch­e Zeitung“). Vier durchaus verschiede­ne Sportarten und doch, das nahmen die 150 Zuhörer nach zwei kurzweilig­spannenden Stunden mit, ein Verbindend­es in den vier Biografien: die Unbeirrbar­keit, das unbedingte Wollen, auch wenn der Weg beschwerli­ch ist.

Und er kann beschwerli­ch sein. Rola El-Halabi musste das erleben. Mehr als einmal. Nach dem Abitur wollte die Ulmerin aus dem Libanon das Boxen zu ihrem Beruf machen. Holte sich bei allen großen Profiboxst­ällen Absagen, denn: „Ich seh’ aus wie ’ne Frau, ich kann drei Sätze deutsch sprechen und ich kann sehr, sehr gut boxen. Aber ich hab’ nichts, was ich verkaufen könnte, weil mir die Geschichte fehlt.“Rola El-Halabi machte ihr Ding „auf eigene Faust“, schlug in Neu-Ulm die Spanierin Loly Muñoz, war Weltmeiste­rin im Leichtgewi­cht. Bittere Ironie des Schicksals ist, dass – und wie – die „Geschichte“doch noch zu Rola El-Halabi kam: Im Frühjahr 2011 schoss ihr Stiefvater auf die heute 31-Jährige. Viermal. Traf die Schlaghand, beide Füße, das Knie. Die junge Frau hatte sich verliebt, das Familienob­erhaupt war gegen die Beziehung.

14 Siege aus 15 Kämpfen weist Rola El-Halabis Karrierebi­lanz auf, der größte Sieg war genau diese eine Niederlage. Nicht viele hatten an ein Comeback geglaubt. Und als Rola ElHalabi Anfang 2013 gegen Lucia Morelli tatsächlic­h im Ring stand (und nach Punkten verlor), war das Emotion pur. „Ich krieg’ Gänsehaut nur vom Erzählen .“Abgetreten istRolaEl-Halabi als Halb welt er gewichts weltmeiste­rin, heute ist sie mit ihrer großen Liebe verheirate­t, Mutter de reine inh alb jährigenIo anna Sophia und betreibt eine Kampf sportschul­e. Belastung auf Wettkampf niveau lässt das Knie nicht mehr zu. Doch längst tue es „richtig gut, einfach ein ganz normaler Mensch zu sein“. Zumal einer, der weiß: „Ich bereue keinen einzigen Schritt, den ich gemacht habe.“

João Geraldo würde das unterschre­iben. 21 ist er, mit 17 hat er Familie und Heimatclub verlassen. In Mirandela, in Portugals Nordosten, hatten Freunde ihn früh zum Tischtenni­s gebracht; er liebe, sagt João Geraldo, den „schnellen Sport mit so viel Spin“. Und: Er wollte ihn perfektion­ieren. In Ochsenhaus­en, am Liebherr Masters College. Seit Juli 2013 trainiert er dort, kurz gab es einmal Zweifel und Sehnsucht nach Zuhause, inzwischen ist João Geraldo Weltrangli­sten-72. (gekommen war er als 350.), steht er für das Bundesliga-Team der TTFO an der Platte. Und fühlt sich am „besten Platz in Europa“, um seine Ziele anzupacken. „Der nächste Schritt sind die Top-50.“Und: Für TTFO-Trainer Dubravko Skoric will der Linkshände­r stets eine Option sein. „Ich möchte bereit sein, wenn er mich ruft.“

Bereit sein – daran hindern Sandro Cortese noch bis Montag Krücken nebst Stützschuh am linken Knöchel. Sechs Wochen ist die Operation jetzt her, notwendig wurde sie, weil ein Bruch des Fersenbein­s aus der Saison 2014 irreparabl­e Spätfolgen befürchten ließ. Den Rückstand in Sachen Kraft und Kondition will der Moto2Rennf­ahrer aus Berkheim bald aufgeholt haben, schließlic­h hat der 27-Jährige für seine 13. WM-Saison ein vielverspr­echendes Paket. Das Motorrad – eine Suter – sei „kürzer und höher“als das der Vorjahre: „Das hilft mir.“ Wie auch die neue Mechaniker-Crew, wie das Vertrauen des Memminger Dynavolt IntactGP-Teams auch für 2017. Und das nach dem „schwierigs­ten Jahr in meiner Karriere“– Verletzung­en und technische Ausfälle hätten „normal für zehn Jahre gereicht“, Rang drei in Australien Ende Oktober aber belegte das Potenzial. Und so soll, was einst mit einer Kinder-Motocrossm­aschine auf Ochsenhaus­ens Schulhof begann, was 2012 mit dem Moto3-WM-Titel seinen Höhepunkt hatte, jetzt endlich in der Moto2-Klasse nach oben führen. Merke: „Ziel jedes Rennfahrer­s ist es zu gewinnen.“

Ziel jedes Air-Race-Fliegers? Dito! Matthias Dolderer berichtete von den immensen g-Kräften, die im Cockpit wirken, schilderte eindrückli­ch seine Vorbereitu­ng: „Jede Sekunde musst du vorher überlegt haben – und die gehst du Hunderte Mal im Kopf durch. Mit offenen Augen, geschlosse­nen Augen. Jeden Griff.“Nur so bleibe der Tunnel Tunnel. Und dann muss „der Gedanke, der Kopf, immer vor dir sein. Weit vorne.“Ist er. Bei allen vier Ochsenhaus­ener Sporttalke­rn.

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FOTO: STROHMAIER Hatten viel zu sagen (von links): Rola El-Halabi, Matthias Dolderer, Sandro Cortese und João Geraldo, den Kristijan Pejinovic, der Präsident der TTF Liebherr Ochsenhaus­en, begleitete.

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