Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eier, Butter, Fisch aus dem Netz
Online-Supermärkte sind keine Zukunftsmusik mehr – Ob sie auch halten, was sie versprechen? Ein Selbstversuch
Karotten per Mausklick? Leberkäse online? Salat aus dem Internet? Es hat einmal eine Zeit gegeben, da war es undenkbar, auch nur ein Buch übers Netz zu bestellen. Von komplizierteren Artikeln wie etwa Fernsehern ganz zu schweigen. Heute ist das für viele ganz selbstverständlich. Eine letzte Bastion des stationären Handels gibt es aber noch: der Lebensmittel-Supermarkt um die Ecke. Wie gesagt – noch. Denn glaubt man den Prognosen verschiedener Marktforscher, werden auch Obst, Gemüse, Milch oder Fleisch in Zukunft wie selbstverständlich im Netz bestellt. Rewe zum Beispiel unterhält in größeren Städten bereits einen breit gefächerten Heim-Service. Im Internet bestellt – ein paar Stunden später vom freundlichen Rewe-Mann an die Haustür geliefert.
Breit gefächertes Sortiment Online-Handelsunternehmen wie mytime.de oder allyouneedfresh.de gehen einen Schritt weiter. Die Portale sind nicht mehr an irgendwelche Städte gebunden, sondern geliefert wird überall dorthin in Deutschland, wo auch die Post hingelangt. Also faktisch überall. Nach eigener Aussage umfasst das Sortiment des Anbieters mytime.de 20 000 Artikel – und kann es damit in puncto Auswahl locker mit den klassischen Supermärkten aufnehmen.
Aber kann die Realität das halten, was die Virtualität vollmundig verspricht? Kommt der Kopfsalat tatsächlich so frisch zu Hause an, wie er makellos vom Bildschirm glänzt? Wie sicher ist die Verpackung? Kann so ein Online-Supermarkt preislich an einen stationären Laden herankommen? Kommt tatsächlich zuverlässig das an, was bestellt worden ist?
Wir testen das Einkaufserlebnis am Beispiel von allyouneedfresh.de: Wer schon jemals etwas im Internet bestellt hat, wird sich mit dem Onlineshop schnell anfreunden können. Nach der Eingabe der eigenen Postleitzahl erscheint zunächst der nächstmögliche Liefertag am oberen Ende des Bildschirms. Typisch gegliedert – wie im heimischen Supermarkt auch – lassen sich einzelne Abteilungen anklicken, etwa „Obst & Gemüse“, „Kühltheke“oder „Süßes & Salziges“. Wer diese Menüs öffnet, kann regelrecht durchs Sortiment bummeln. Während die einzelnen Produkte im Zentrum des Bildschirms in einer Galerie erscheinen, lassen sich die Waren am linken Rand per Filter eingrenzen. Wer nur Bio-Artikel wünscht, markiert das entsprechende Feld – schon erscheint in der Galerie ausschließlich Öko-Ware. Dementsprechend lässt sich das Sortiment auch nach anderen Kriterien filtern – etwa nach Fairtrade, laktosefrei, vegan oder glutenfrei. Damit wird ein großer Vorteil der Online-Supermärkte klar: Wer gezielt nach speziellen Produkten sucht, irrt in einem herkömmlichen Supermarkt mitunter lange durch die Gänge. Das kann das Internet präziser und schneller.
Von den Produktgruppen abgesehen, hilft ein Suchfeld dabei, jede Art von Lebensmittel direkt zu finden. Außerdem praktisch: Das Portal allyouneedfresh.de ermöglicht es, typische Einkaufslisten zu hinterlegen, sodass die Suche nach regelmäßig gebrauchten Artikeln beim nächsten Mal entfällt. Denn sie lassen sich vom virtuellen Einkaufszettel ganz einfach in den Einkaufswagen schubsen.
Und die Auswahl? Die kann sich tatsächlich sehen lassen. Gurken zum Beispiel gibt es in Standard und bio, als Schlangengurken und Vespergurken. Bananen in Billigvarianten für 1,59 Euro pro Kilo, in Bio für 1,99 oder als Markenbanane zum gleichen Preis. Auch bei Käse ist das Sortiment nicht nur breit, sondern auch tief. Allerdings: Die Ware ist immer schon industriell vorportioniert und verpackt. Das berühmte „Darf ’s ein bisschen mehr sein?“von der freundlichen Frau hinter der Frischetheke, fehlt – und damit auch der menschliche Kontakt. Treue Kunden von Discountern wird das aber nicht stören, denn auch bei Aldi, Lidl und Co. gibt es längst keine Bedientheken mehr.
Backwaren und Billigartikel Im Bereich der Backwaren kann allyouneedfresh.de dem stationären Handwerksbäcker als auch den üblichen Supermärkten nicht das Wasser reichen. Denn das Angebot ist ausschließlich abgepackte Ware, die naturgemäß nicht knusprig beim Kunden ankommen kann.
Es dauert keine 20 Minuten – da ist der virtuelle Einkaufswagen mit einem normalen Familieneinkauf gefüllt. Das Preisgefüge entspricht durchaus jenem eines ganz normalen Supermarktes – es sind sogar in vielen Produktgruppen Billigartikel verfügbar, die dem Preisniveau von Discountern entsprechen. Und natürlich gibt es auch online Sonderangebote: Artikel mit bald erreichtem Haltbarkeitsdatum sind da zu finden, oder reguläre Markenware aus allen möglichen Produktgruppen. Der Versand ist ab 40 Euro Umsatz kostenlos. Enthält der Einkauf Frischware wie etwa Fleisch oder Milchprodukte, kommt ein Zuschlag von 4,90 Euro dazu. Nun geht es an den Registrierungsund Bezahlvorgang. Allyouneedfresh.de bietet die Möglichkeit für Amazon-Kunden, den Einkauf direkt über das AmazonKonto zu bezahlen. Der Vorteil: Die Registrierung erfolgt über die Eingabe der persönlichen Amazon-Daten. In diesem Fall ist es nicht notwendig, ein neues Kundenkonto samt Passwort anzulegen. Nach der Wahl der Zahlungsart, die von einer VorabÜberweisung bis hin zur Kreditkarte reicht, muss der Kunde in einem übersichtlichen Kalender sein Lieferfenster auswählen.
In unserem konkreten Beispiel soll die Ware an einem Freitag zwischen 9 und 18 Uhr geliefert werden. Zeitpunkt der Bestellung ist Mittwochnachmittag. Je nach Lieferregion sind auch Zustellungen in anderen Wunschzeiträumen möglich – etwa zwischen 20 und 22 Uhr. Es gilt: In Ballungsräumen sind diese Möglichkeiten flexibler als in der Provinz. 43 Stunden nach Bestellung ist es dann so weit: Der freundliche Zusteller von DHL ächzt unter dem Gewicht von insgesamt vier imposanten Paketen. „Das machen Sie jetzt hoffentlich nicht jede Woche“, keucht es hinter dem Stapel hervor. Und um es kurz zu machen: Die Ware ist unversehrt und sehr gut verpackt. Es wimmelt von Kühlakkus, Polsterfolie und kleinen Kartons in großen Kartons. Und damit beginnt das Problem. Die Bestellung umfasst 31 Positionen. Die Menge an Verpackungsmüll wirkt nach dem Auspacken geradezu grotesk. Vom Tisch bis unter die Zimmerdecke stapeln sich Plastik und Papier. Immerhin: Auch hochsensible Sachen wie das Gemüse können sich selbst nach der langen Reise noch sehen lassen. Die Kartoffelchips sind während des Transports nicht zerbröselt. Die Eier vollständig ohne Knacks. Einzig die Champignons sehen nicht mehr frisch aus, Äpfel und Bananen sind indes tadellos. Allerdings: Es fehlt das Rindergulasch. Selbst nach mehrmaligem Graben durch die Müllberge kommt es nicht zum Vorschein. Erfreulich: Sofort hat der Anbieter mit einem 15-Euro-Gutschein auf das fehlende Fleisch reagiert.
Und wohin mit dem ganzen Müll? Die Kühlakkus sollen im Hausmüll entsorgt werden, Plastik im gelben Sack, Kartons im Altpapier. Es braucht seine Zeit, all das zu trennen und zu zerkleinern. Alternativ nimmt allyouneedfresh.de die Verpackung kostenlos zurück. Zu diesem Zweck gibt es Retourenaufkleber für die Kartons. Der Paketzusteller nimmt den Müll zurück, ansonsten kann er so verpackt auch in jeder Postfiliale abgegeben werden.
Möglich, aber kein Muss Fazit: Tatsächlich erspart der OnlineLebensmitteleinkauf den Weg zum Supermarkt, die Parkplatzsuche und das Schlangestehen. Doch der Bestellvorgang, die Kontrolle bei Lieferung, ob auch alles dabei ist, sowie der Umgang mit dem Verpackungsmüll kosten ebenfalls Zeit.
Außerdem: Eine Selektion, wie vor Ort im Einzelhandel, ist am Bildschirm nicht möglich. Den schönsten Apfel oder die größte Gurke aus dem Regal zu wählen, geht online nicht. Weiterer Nachteil: Das Einkaufserlebnis ohne die Begegnung mit anderen Menschen, macht den Alltag ärmer. Ganz davon abgesehen, dass Arbeitsplätze vor Ort nur dann erhalten bleiben, wenn auch der Lebensmittelhandel bleibt.
Zugegeben: Es ist heute schon möglich, sich zu versorgen, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen. Aber nicht alles, was möglich ist, ist auch erstrebenswert.