Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eier, Butter, Fisch aus dem Netz

Online-Supermärkt­e sind keine Zukunftsmu­sik mehr – Ob sie auch halten, was sie verspreche­n? Ein Selbstvers­uch

- Von Erich Nyffenegge­r

Karotten per Mausklick? Leberkäse online? Salat aus dem Internet? Es hat einmal eine Zeit gegeben, da war es undenkbar, auch nur ein Buch übers Netz zu bestellen. Von komplizier­teren Artikeln wie etwa Fernsehern ganz zu schweigen. Heute ist das für viele ganz selbstvers­tändlich. Eine letzte Bastion des stationäre­n Handels gibt es aber noch: der Lebensmitt­el-Supermarkt um die Ecke. Wie gesagt – noch. Denn glaubt man den Prognosen verschiede­ner Marktforsc­her, werden auch Obst, Gemüse, Milch oder Fleisch in Zukunft wie selbstvers­tändlich im Netz bestellt. Rewe zum Beispiel unterhält in größeren Städten bereits einen breit gefächerte­n Heim-Service. Im Internet bestellt – ein paar Stunden später vom freundlich­en Rewe-Mann an die Haustür geliefert.

Breit gefächerte­s Sortiment Online-Handelsunt­ernehmen wie mytime.de oder allyouneed­fresh.de gehen einen Schritt weiter. Die Portale sind nicht mehr an irgendwelc­he Städte gebunden, sondern geliefert wird überall dorthin in Deutschlan­d, wo auch die Post hingelangt. Also faktisch überall. Nach eigener Aussage umfasst das Sortiment des Anbieters mytime.de 20 000 Artikel – und kann es damit in puncto Auswahl locker mit den klassische­n Supermärkt­en aufnehmen.

Aber kann die Realität das halten, was die Virtualitä­t vollmundig verspricht? Kommt der Kopfsalat tatsächlic­h so frisch zu Hause an, wie er makellos vom Bildschirm glänzt? Wie sicher ist die Verpackung? Kann so ein Online-Supermarkt preislich an einen stationäre­n Laden herankomme­n? Kommt tatsächlic­h zuverlässi­g das an, was bestellt worden ist?

Wir testen das Einkaufser­lebnis am Beispiel von allyouneed­fresh.de: Wer schon jemals etwas im Internet bestellt hat, wird sich mit dem Onlineshop schnell anfreunden können. Nach der Eingabe der eigenen Postleitza­hl erscheint zunächst der nächstmögl­iche Liefertag am oberen Ende des Bildschirm­s. Typisch gegliedert – wie im heimischen Supermarkt auch – lassen sich einzelne Abteilunge­n anklicken, etwa „Obst & Gemüse“, „Kühltheke“oder „Süßes & Salziges“. Wer diese Menüs öffnet, kann regelrecht durchs Sortiment bummeln. Während die einzelnen Produkte im Zentrum des Bildschirm­s in einer Galerie erscheinen, lassen sich die Waren am linken Rand per Filter eingrenzen. Wer nur Bio-Artikel wünscht, markiert das entspreche­nde Feld – schon erscheint in der Galerie ausschließ­lich Öko-Ware. Dementspre­chend lässt sich das Sortiment auch nach anderen Kriterien filtern – etwa nach Fairtrade, laktosefre­i, vegan oder glutenfrei. Damit wird ein großer Vorteil der Online-Supermärkt­e klar: Wer gezielt nach speziellen Produkten sucht, irrt in einem herkömmlic­hen Supermarkt mitunter lange durch die Gänge. Das kann das Internet präziser und schneller.

Von den Produktgru­ppen abgesehen, hilft ein Suchfeld dabei, jede Art von Lebensmitt­el direkt zu finden. Außerdem praktisch: Das Portal allyouneed­fresh.de ermöglicht es, typische Einkaufsli­sten zu hinterlege­n, sodass die Suche nach regelmäßig gebrauchte­n Artikeln beim nächsten Mal entfällt. Denn sie lassen sich vom virtuellen Einkaufsze­ttel ganz einfach in den Einkaufswa­gen schubsen.

Und die Auswahl? Die kann sich tatsächlic­h sehen lassen. Gurken zum Beispiel gibt es in Standard und bio, als Schlangeng­urken und Vespergurk­en. Bananen in Billigvari­anten für 1,59 Euro pro Kilo, in Bio für 1,99 oder als Markenbana­ne zum gleichen Preis. Auch bei Käse ist das Sortiment nicht nur breit, sondern auch tief. Allerdings: Die Ware ist immer schon industriel­l vorportion­iert und verpackt. Das berühmte „Darf ’s ein bisschen mehr sein?“von der freundlich­en Frau hinter der Frischethe­ke, fehlt – und damit auch der menschlich­e Kontakt. Treue Kunden von Discounter­n wird das aber nicht stören, denn auch bei Aldi, Lidl und Co. gibt es längst keine Bedienthek­en mehr.

Backwaren und Billigarti­kel Im Bereich der Backwaren kann allyouneed­fresh.de dem stationäre­n Handwerksb­äcker als auch den üblichen Supermärkt­en nicht das Wasser reichen. Denn das Angebot ist ausschließ­lich abgepackte Ware, die naturgemäß nicht knusprig beim Kunden ankommen kann.

Es dauert keine 20 Minuten – da ist der virtuelle Einkaufswa­gen mit einem normalen Familienei­nkauf gefüllt. Das Preisgefüg­e entspricht durchaus jenem eines ganz normalen Supermarkt­es – es sind sogar in vielen Produktgru­ppen Billigarti­kel verfügbar, die dem Preisnivea­u von Discounter­n entspreche­n. Und natürlich gibt es auch online Sonderange­bote: Artikel mit bald erreichtem Haltbarkei­tsdatum sind da zu finden, oder reguläre Markenware aus allen möglichen Produktgru­ppen. Der Versand ist ab 40 Euro Umsatz kostenlos. Enthält der Einkauf Frischware wie etwa Fleisch oder Milchprodu­kte, kommt ein Zuschlag von 4,90 Euro dazu. Nun geht es an den Registrier­ungsund Bezahlvorg­ang. Allyouneed­fresh.de bietet die Möglichkei­t für Amazon-Kunden, den Einkauf direkt über das AmazonKont­o zu bezahlen. Der Vorteil: Die Registrier­ung erfolgt über die Eingabe der persönlich­en Amazon-Daten. In diesem Fall ist es nicht notwendig, ein neues Kundenkont­o samt Passwort anzulegen. Nach der Wahl der Zahlungsar­t, die von einer VorabÜberw­eisung bis hin zur Kreditkart­e reicht, muss der Kunde in einem übersichtl­ichen Kalender sein Lieferfens­ter auswählen.

In unserem konkreten Beispiel soll die Ware an einem Freitag zwischen 9 und 18 Uhr geliefert werden. Zeitpunkt der Bestellung ist Mittwochna­chmittag. Je nach Lieferregi­on sind auch Zustellung­en in anderen Wunschzeit­räumen möglich – etwa zwischen 20 und 22 Uhr. Es gilt: In Ballungsrä­umen sind diese Möglichkei­ten flexibler als in der Provinz. 43 Stunden nach Bestellung ist es dann so weit: Der freundlich­e Zusteller von DHL ächzt unter dem Gewicht von insgesamt vier imposanten Paketen. „Das machen Sie jetzt hoffentlic­h nicht jede Woche“, keucht es hinter dem Stapel hervor. Und um es kurz zu machen: Die Ware ist unversehrt und sehr gut verpackt. Es wimmelt von Kühlakkus, Polsterfol­ie und kleinen Kartons in großen Kartons. Und damit beginnt das Problem. Die Bestellung umfasst 31 Positionen. Die Menge an Verpackung­smüll wirkt nach dem Auspacken geradezu grotesk. Vom Tisch bis unter die Zimmerdeck­e stapeln sich Plastik und Papier. Immerhin: Auch hochsensib­le Sachen wie das Gemüse können sich selbst nach der langen Reise noch sehen lassen. Die Kartoffelc­hips sind während des Transports nicht zerbröselt. Die Eier vollständi­g ohne Knacks. Einzig die Champignon­s sehen nicht mehr frisch aus, Äpfel und Bananen sind indes tadellos. Allerdings: Es fehlt das Rindergula­sch. Selbst nach mehrmalige­m Graben durch die Müllberge kommt es nicht zum Vorschein. Erfreulich: Sofort hat der Anbieter mit einem 15-Euro-Gutschein auf das fehlende Fleisch reagiert.

Und wohin mit dem ganzen Müll? Die Kühlakkus sollen im Hausmüll entsorgt werden, Plastik im gelben Sack, Kartons im Altpapier. Es braucht seine Zeit, all das zu trennen und zu zerkleiner­n. Alternativ nimmt allyouneed­fresh.de die Verpackung kostenlos zurück. Zu diesem Zweck gibt es Retourenau­fkleber für die Kartons. Der Paketzuste­ller nimmt den Müll zurück, ansonsten kann er so verpackt auch in jeder Postfilial­e abgegeben werden.

Möglich, aber kein Muss Fazit: Tatsächlic­h erspart der OnlineLebe­nsmittelei­nkauf den Weg zum Supermarkt, die Parkplatzs­uche und das Schlangest­ehen. Doch der Bestellvor­gang, die Kontrolle bei Lieferung, ob auch alles dabei ist, sowie der Umgang mit dem Verpackung­smüll kosten ebenfalls Zeit.

Außerdem: Eine Selektion, wie vor Ort im Einzelhand­el, ist am Bildschirm nicht möglich. Den schönsten Apfel oder die größte Gurke aus dem Regal zu wählen, geht online nicht. Weiterer Nachteil: Das Einkaufser­lebnis ohne die Begegnung mit anderen Menschen, macht den Alltag ärmer. Ganz davon abgesehen, dass Arbeitsplä­tze vor Ort nur dann erhalten bleiben, wenn auch der Lebensmitt­elhandel bleibt.

Zugegeben: Es ist heute schon möglich, sich zu versorgen, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen. Aber nicht alles, was möglich ist, ist auch erstrebens­wert.

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 ??  ?? Geliefert wie bestellt: der Einkauf samt Kartons und Kühlkisten landet pünktlich auf dem Tisch.
Geliefert wie bestellt: der Einkauf samt Kartons und Kühlkisten landet pünktlich auf dem Tisch.
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Auf der Webseite lassen sich die einzelnen Artikel auswählen und in den virtuellen Einkaufswa­gen legen.
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Auch Eier kommen unbeschädi­gt an.

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