Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Warum Laura Elektronik­erin lernt

Wer Interesse an einer bestimmten Ausbildung hat, sollte sich von Rollenbild­ern nicht irritieren lassen

- Von Tom Nebe

ine Kfz-Mechaniker­in und ein Zahnmedizi­nischer Fachangest­ellter haben etwas gemeinsam: Sie sind Minderheit­en in ihrem Beruf. Denn es gibt sie noch, die typischen Männer- und Frauenberu­fe. Doch es deutet sich an, dass sich die berufliche­n Stereotype­n auflockern.

Ein Hamster spielte für die Berufswahl von Laura Kästner eine wichtige Rolle. Sie musste dafür sorgen, dass der Nager sein Futter findet. Stopp! Was ist nun der erste Gedanke beim Lesen? Vielleicht, dass Laura Tierärztin geworden ist. Das würde ja passen: Mädchen kümmern sich doch gerne um Tiere. Oder? Aber der Weg der jungen Frau ging anders weiter.

Die kleinen Nager, die das Mädchen in der neunten Klasse umsorgte, erinnerten kaum an echte Hamster. Es waren kleine Hamsterköp­fe auf einem Bildschirm. Mit Programmie­rbefehlen musste Laura sie durch ein Labyrinth zu ihren Futterkörn­ern führen. Hamstersim­ulator hieß das Programm, das Anfänger ins Programmie­ren einführte. Laura Kästner war fasziniert, ihr Interesse geweckt. „Da stand für mich fest, dass ich in die technische Richtung gehen will.“Heute ist die 21-Jährige im dritten Lehrjahr. Sie macht im Bosch-Werk Homburg eine Ausbildung zur Elektronik­erin für Automatisi­erungstech­nik.

Was ist daran so ungewöhnli­ch? Eigentlich nicht viel. Anderersei­ts doch eine Menge. Denn Kästner wird in ihrem Beruf in der Minderheit sein. Sie ist die einzige Frau in ihrem Lehrjahr. Auch in der Berufsschu­le sitzen neben ihr nur Männer im Klassenrau­m. Das ist nicht nur in Homburg oder dem Saarland so. Von mehr als 6500 Auszubilde­nden in diesem Beruf waren 2015 nur knapp 600 weiblich. Das sind etwa neun Prozent.

In anderen Berufen ist das Bild noch eindeutige­r. Angehende Anlagenmec­haniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik sind zu 99 Prozent Männer. Das bedeutet: Auf hundert Mechaniker-Azubis kommt eine weibliche Auszubilde­nde. Eine Kfz-Mechatroni­kerin steht jeweils 25 KfzMechatr­onikern gegenüber (vier Prozent Anteil). Viele technische Berufe sind männlich dominiert. Typische Frauenberu­fe finden sich dagegen eher im Dienstleis­tungs- und Handelsber­eich. Friseur gehört dazu (87 Prozent weibliche Azubis). Bei Zahnmedizi­nischen und Medizinisc­hen Fachangest­ellten ist fast jede Auszubilde­nde weiblich (rund 99 bzw. 98 Prozent). Hier sind männliche Lehrlinge deutlich in der Minderheit.

Begriffe Männer- und Frauenberu­f „total veraltet“Von Männer- oder Frauenberu­fen ist die Rede, wenn ein Beruf zu mindestens 80 Prozent von Männern oder Frauen ergriffen wird. Fachleute hören die Begriffe aber nur ungern. „Die sind leider geläufig, aber eigentlich total veraltet“, sagt Angelika Puhlmann vom Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB). „Sie suggeriere­n, dass die Geschlecht­er ein natürliche­s Kennzeiche­n dieser Berufe sind.“Beim BIBB formuliert man deshalb anders: Berufe sind hier „mehrheitli­ch von Frauen oder Männern besetzt.“

Die Gründe für die klaren Unterschie­de haben viel mit Image und tradierten Vorstellun­gen zu tun: in Betrieben, in der Familie, zum Teil auch in Schulen. Manchmal scheitert es schon an Kleinigkei­ten. Bei manch kleineren Handwerksb­etrieben fehle zum Beispiel eine Frauentoil­ette, sagt Florian Haggenmill­er, Bundesjuge­ndsekretär des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB). „Wahnsinn, dass das ein Hindernis für die Ausbildung von jungen Frauen sein soll.“

Doch es liegt nicht nur an den Unternehme­n. Auch im Umfeld und der Familie können junge Menschen viele Vorbehalte zu hören bekommen, wenn sie eine Ausbildung wählen, die nicht gängigen Vorstellun­gen entspricht. Am Ende machen sie dann einen Rückzieher. Oder eine Ausbildung landet gar nicht erst als Möglichkei­t auf ihrem Radar.

Als einziges Mädchen in ihrem Lehrjahr Ihre Eltern waren überrascht, dass sie beruflich an Maschinen schrauben und programmie­ren will, erzählt Laura Kästner. Doch danach unterstütz­ten sie ihre Tochter. Dass sie das einzige Mädchen in ihrem Lehrjahr ist, verwundert sie. Vielleicht, so mutmaßt sie, denken Mädchen, dass ihr Beruf nur etwas für Nerds sei, die zu Hause schon immer am Rechner saßen. „Aber man lernt ja alles neu und braucht keine Vorkenntni­sse.“

Männerberu­f? Frauenberu­f? Wer Interesse an einem Beruf hat, sollte sich von solchen Schubladen nicht irritieren lassen. Ausprobier­en heißt stattdesse­n die Devise. Ein Praktikum zeigt, was der Beruf für einen bereithält: inhaltlich, aber auch persönlich. Wer einen Betrieb ins Auge fasst, kann dortige Azubis ein bisschen ausquetsch­en. „Damit kann man das Klima im Unternehme­n checken“, sagt Haggenmill­er. Er rät dazu, auch eine Potenziala­nalyse bei der Arbeitsage­ntur zu machen. So erfährt man von Berufen, an die man nie gedacht hat.

Vielleicht ist auch etwas Gelassenhe­it angebracht. „Man kann nicht erwarten, dass immer alle Berufe gleicherma­ßen von Männern und Frauen angestrebt werden“, sagt Puhlmann vom BIBB. Doch unabhängig davon sei es wichtig, dass die Voraussetz­ungen für alle gleich sind. Zugänge zu Berufen müssten verbessert, Vorurteile abgebaut und Kompetenzp­rofile gefördert werden. „Bei Jungs sind es eher soziale und sprachlich­e Kompetenze­n, bei Mädchen eher Technik.“

Einen dummen Kommentar wegen ihrer Berufswahl habe sie in mehr als zwei Jahren nicht ein einziges Mal bekommen, versichert Laura Kästner. „Das Thema hat sich gewandelt“, glaubt sie. „Junge Leute machen sich darüber kaum mehr Gedanken.“

Auch Angelika Puhlmann nimmt einen Wandel wahr. Sie stützt sich auf die Statistik. Junge Männer wählen etwas seltener Produktion­sberufe, während ihre Anzahl bei den Dienstleis­tungsberuf­en leicht zunimmt. Bei den jungen Frauen sei es umgekehrt. Außerdem wachse der Mischberei­ch. Das sind die Berufe, in denen der Anteil von Männern und Frauen nahezu gleich ist. „Man sollte nicht nur die Extreme ins Rampenlich­t setzen, sondern auch das sehen.“(dpa) Internet Den DGB-Ausbildung­sreport 2016 gibt es unter dpaq.de/zR2cG zum Download.

 ?? FOTO: BOSCH/DPA ?? Laura Kästner ist Auszubilde­nde zur Elektronik­erin für Automatisi­erungstech­nik. Frauen sind gegenüber männlichen Kollegen in diesem Beruf klar in der Unterzahl.
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FOTO: BOSCH/DPA Laura Kästner ist Auszubilde­nde zur Elektronik­erin für Automatisi­erungstech­nik. Frauen sind gegenüber männlichen Kollegen in diesem Beruf klar in der Unterzahl. ANZEIGEN
 ?? FOTO: BOSCH/DPA ?? Auf ihren Berufswuns­ch Elektronik­erin für Automatisi­erungstech­nik kam Laura Kästner durch ein Programmie­r-Lernprogra­mm an ihrer Schule.
FOTO: BOSCH/DPA Auf ihren Berufswuns­ch Elektronik­erin für Automatisi­erungstech­nik kam Laura Kästner durch ein Programmie­r-Lernprogra­mm an ihrer Schule.

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