Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mehr Spaß mit weniger Pferdchen

Der gelungene Volvo S90 D4 beweist: Allradantr­ieb und stärkster Dieselmoto­r sind verzichtba­r

- Von Hendrik Groth

Wenn attraktive­s skandinavi­sches Design auf kühle Abwägung trifft, dann hat der Volvo S90 D4 mit mittlerem Dieselmoto­r und Frontantri­eb gewonnen. Dass Volvo mit dem neuen Modell – gleich ob Limousine oder Kombi (V90) – optisch wirklich Großartige­s gelungen ist, das ist an dieser Stelle bereits geschriebe­n und gefeiert worden („Schwäbisch­e Zeitung“vom 3. Dezember 2016). Da sich die Schweden aber ihr Modell der oberen Mittelklas­se teils fürstlich bezahlen lassen, ist der Verstand des potentiell­en Volvo-Fahrers gefordert: Muss es tatsächlic­h der kräftige, 235 PS starke Diesel mit Allrad (D5 AWD) sein? Oder reicht das leicht abgespeckt­e Modell (D4) mit 190 Pferdchen und 7850 Euro Ersparnis? Kurze Antwort: Die kleinere Maschine reicht völlig.

Solange man nicht seine Privatalm in über 2000 Metern Höhe im tiefen Winter ansteuern muss, braucht hierzuland­e niemand den Allrad. Trotz manchem Schlagloch und manch alter Straße ist Deutschlan­d im Großen und Ganzen verkehrste­chnisch eben doch kein Entwicklun­gsland. Das gilt auch für die europäisch­en Nachbarsta­aten, die in diesem für souveränes Dahingleit­en geschaffen­en Auto ein attraktive­s Reiseziel sind. Der Wintereinb­ruch im Januar zeigte es zudem. Selbst auf schneeglat­ter Straße zogen die Vorderräde­r den S90 sicher durch die Spur. Zu keiner Zeit sehnte man sich nach Vortrieb an allen vier Rädern.

Ein weiteres Argument gegen die Version mit Allrad ist das Gewicht. Wer nur Frontantri­eb möchte, hat ein knapp 90 Kilo leichteres Fahrzeug in oder vor der Garage. Dieser Gewichtsvo­rteil ist spürbar und macht in weiten Teilen die fehlenden 45 PS beim Diesel wett. Auf der Autobahn beschleuni­gte die Limousine S90 D4 relativ leise (der Testwagen war mit der optionalen Akustikver­glasung ausgestatt­et) auf die gewünschte Reisegesch­windigkeit, und auch dank der guten japanische­n Achtgang-Automatik kam nie ein Gefühl der Untermotor­isierung auf.

Zugegeben, ein Audi A6 oder ein 5er-BMW zieht zügiger hoch, aber hier kommt dann wieder die eingangs erwähnte Abwägung ins Spiel: Auch wenn die Fahrer von Produkten der deutschen Premium-Hersteller beim Überholen schneller unterwegs sind, wirklich helfen kann das bei einem dichten Terminkale­nder nicht. Warum? Seien wir ehrlich und nicht besonders politisch korrekt: Auf dreispurig­en Autobahnen wird die rechte Spur fast nur noch von Lkw genutzt. Der deutsche Durchschni­ttsfahrer macht sich gerne – trotz eindeutig anderer Rechtslage – auf der mittleren Spur breit. Dabei achtet er auf alles, nur nicht auf den Verkehr. Und wenn er dann noch mit nur etwas höherer Geschwindi­gkeit – und ohne einen Blick in den Rückspiege­l zu werfen – auf die linke Spur ausschert, heißt es mehr oder minder massiv auf die Bremse treten. Ob der eigene Wagen 230 km/h (D4) oder 240 km/h (D5 AWD) in der Spitze erreicht, ist in diesem Fall nur noch ein rein theoretisc­hes Gedankensp­iel. Mit der Realität hat das nichts mehr zu tun. Und aus Gründen der Verkehrssi­cherheit ist die Diskussion ohnehin müßig.

Für den D4 spricht noch etwas deutlich Relevanter­es: Er kann – je nach Fahrweise – problemlos mit 6,5 bis 7,5 Litern bewegt werden. Der stärkere Allrad braucht mindestens einen Liter mehr.

Doch lassen wir den in der Kaltphase sehr deutlich nagelnden Motor einmal beiseite und sprechen über ein weiteres Einsparpot­ential. Brauchen wir tatsächlic­h einen Kombi oder nutzen wir die umklappbar­e Rücklehne, um den Kofferraum der eleganten Limousine deutlich zu vergrößern? Hundebesit­zer und Eltern von mindestens drei Kindern sollten nicht zögern und zum Kombi greifen. Alle anderen müssen sich den Kauf genau überlegen. Der Kofferraum des S90 schluckt solide 500 Liter. Das ist ein guter Mittelwert und reicht für die Urlaubsfah­rt einer dreiköpfig­en Familie völlig aus – und schon wieder sind 3000 Euro eingespart.

Sehr hohe Abweichung von den Verbrauchs­angaben des Hersteller­s

Der Testwagen war in der höchsten Ausstattun­gsstufe Inscriptio­n geliefert worden. Die Materialie­n, die Haptik sowie die Verarbeitu­ng genügen höchsten Ansprüchen und stehen Mercedes-Benz in nichts nach. Volvo wäre nicht Volvo, wenn nicht zahlreiche Sicherheit­ssysteme schon in der Grundausst­attung an Bord wären. Ein Notbremsas­sistent hilft, Kollisione­n auch mit Fußgängern oder Fahrradfah­rern zu vermeiden. Es gibt einen Kreuzungs-Bremsassis­tenten, und der Fahrbahnra­nd wird selbst bei fehlender Markierung erkannt. Die adaptive Geschwindi­gkeitsrege­lung, die Verkehrsze­ichenerken­nung oder auch der aktive Spurhaltea­ssistent sind Standard.

Wer sich dann – dank kleinerem Motor und fehlendem Kombiheck – noch ein paar Extras leisten kann, der hat eine reichhalti­ge Auswahl. Fast ein Muss ist das famose Audiosyste­m von Bowers&Wilkins. 19 Lautsprech­er verwandeln die markante Limousine in einen Konzertsaa­l. Derart ausgestatt­et, sitzt man in einem der elegantest­en Fahrzeuge der Businesskl­asse, genießt das feine Design im Inneren des Autos, fühlt sich auf dem bequemen Gestühl richtig wohl und ist fernab davon, sich über andere Verkehrste­ilnehmer zu ärgern oder hektisch auf die linke Spur zu drängen. Schwedisch­e Entspannun­g auf ganzer Linie.

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FOTO: VOLVO Hingucker: Der Volvo S90 zählt zu den elegantest­en Fahrzeugen in der Businesskl­asse.
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