Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Europäisch­er Gerichtsho­f bestätigt Sicherheit­sverwahrun­g

Sexualtäte­r dürfen im Fall von psychische­r Störung auch länger als zehn Jahre weggeschlo­ssen werden

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STRASSBURG (dpa) - Sexualstra­ftäter „wegschließ­en – und zwar für immer“, mit dieser Forderung setzte 2001 der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder den Ton für eine Jahre dauernde Debatte über die Sicherungs­verwahrung. Zahlreiche Gesetze und Urteile später kann das System als festgezurr­t und rechtskonf­orm gelten. Einzelne Fälle landen trotzdem noch beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Am Donnerstag entschiede­n die Straßburge­r Richter das erste Mal über die Sicherungs­verwahrung eines Jugendstra­ftäters.

Worum ging es in dem Fall? Der Kläger hatte im Sommer 1997 als 19-Jähriger eine Joggerin in einem Waldstück im bayerische­n Kelheim erwürgt und sich anschließe­nd an der Leiche vergangen. Die Polizei war dem Schreinerg­esellen erst zwei Jahre später nach aufwendige­n Ermittlung­en mit Massen-Gentests auf die Spur gekommen. Das Gericht verurteilt­e ihn zur maximalen Jugendstra­fe von zehn Jahren. In Freiheit kam der Mann bis heute nicht: Gutachter attestiert­en ihm sexuellen Sadismus, die Gerichte ordneten daraufhin nachträgli­ch eine Sicherungs­verwahrung an – es war das bundesweit erste Mal bei einem Jugendstra­ftäter. Der Mann wehrt sich seitdem vor den Gerichten gegen seine Unterbring­ung. Eine therapeuti­sche Behandlung lehnt er ab.

Was hat Straßburg bisher zur deutschen Sicherungs­verwahrung gesagt? Mit einem grundlegen­den Urteil entschiede­n die Richter 2009 über einen Fall, in dem die Sicherungs­verwahrung nachträgli­ch verlängert worden war. Ursprüngli­ch durfte diese maximal zehn Jahre dauern. 1998 hob der Gesetzgebe­r die Höchstdaue­r in Deutschlan­d auf – und zwar rückwirken­d. Eine Freilassun­g war nun nur noch möglich, wenn von den Tätern keine Gefahr mehr ausging. Die Straßburge­r Richter sahen darin nicht nur eine der „härtesten Maßnahmen“nach dem Strafgeset­zbuch, sondern auch eine Strafe, die zum Tatzeitpun­kt noch nicht gegolten hatte. Das war ein Verstoß gegen den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“.

War damit alles gesagt? Die Debatte zog sich noch ein paar Jahre. Gesetze der Länder und des Bundes landeten vor dem Menschenre­chtsgerich­tshof und dem Bundesverf­assungsger­icht. Einer umfassende­n Neuregelun­g erteilte Straßburg Anfang 2016 seinen Segen. Ausschlagg­ebend war, dass der Gesetzgebe­r die individuel­le therapeuti­sche Betreuung der Straftäter gestärkt hatte. Eine nachträgli­che Anordnung ist zudem nur noch ausnahmswe­ise möglich – in der Regel muss die Sicherungs­verwahrung bei der Verurteilu­ng zumindest vorbehalte­n werden.

Was hieß das nun für den Sexualstra­ftäter aus Bayern? Er scheiterte mit seiner Beschwerde. Die Straßburge­r Richter waren zufrieden mit der Handhabung des Falls. Die deutschen Gerichte hätten zu Recht angenommen, dass die psychische Störung des Mannes seine weitere Inhaftieru­ng rechtferti­ge. Außerdem sei er seit 2013 in einer Einrichtun­g mit passendem therapeuti­schen Angebot untergebra­cht. Seine Sicherungs­verwahrung sei daher keine unzulässig­e Strafe mehr. Für die Zeit davor erklärte sich die Bundesregi­erung freiwillig bereit, eine Entschädig­ung zu zahlen. Eine Entschädig­ungsklage gegen das Land Bayern wurde im Juli 2016 vom Landgerich­t Regensburg abgelehnt.

Warum landen diese Fälle immer noch in Straßburg? Eine Rolle spielen dürfte, dass die Sicherungs­verwahrung weiter eine sehr einschneid­ende Sanktion sei, sagt der Tübinger Strafrecht­sprofessor Jörg Kinzig. Immerhin werde „einer Person über das Ende ihrer Strafe hinaus auf unbestimmt­e Zeit die Freiheit entzogen“. Besonders problemati­sch sei das, wenn es wie im aktuellen Fall um Täter gehe, die maximal 20 Jahre alt waren. Zudem arbeite Straßburg immer noch alte Versäumnis­se des Gesetzgebe­rs auf.

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FOTO: DPA Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg.

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