Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Damit die Herkunft nicht im Wege steht
Ravensburger Agendagruppe hatte „Recht auf Bildung“als Thema
RAVENSBURG - Auf Einladung der Ravensburger Agendagruppe „Schule neu denken“hat Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin von „ArbeiterKind.de“in Berlin, in der Alten Spohnhalle in Ravensburg das Anliegen dargelegt: „Ausgebremst! Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt – und was dagegen zu tun ist“.
„Arbeiterkinder, aber nicht nur sie, die in ihrer Familie keine Unterstützung finden, haben es schwer“, sagte Gabriele Runge, Sprecherin der aus einer Elterninitiative entstandenen Agendagruppe „Schule neu denken“. Katja Urbatsch belegte das Problem mit Zahlen: von 100 Akademikerkindern studieren 77, von 100 Nichtakademikerkindern dagegen nur 23.
Die Gründerin von „ArbeiterKind.de“glaubt nicht, dass diese Verteilung der Begabung entspricht. Sie sieht darin vielmehr eine soziale Selektion beim Zugang zum Studium. „Es geht aber nicht darum, dass alle studieren“, sagte sie und warb dafür, den eigenen Neigungen zu folgen, informierte Entscheidungen zu treffen und sich geeignete Vorbilder beziehungsweise Mentoren zu suchen.
Ihre Familie war damit überfordert, dass das Kind eine höhere Schule besuchte und studierte, erzählte Katja Urbatsch. Sie ist im ländlichen Raum in Ostwestfalen aufgewachsen. Sie beschrieb den eigenen Bildungsweg und Beobachtungen bei Freunden und Bekannten. „Kann mein Kind was, das ich nicht kann?“, fragten sich Eltern. „Wovon soll es später leben?“Kinder, die als erste in ihrer Familie Abitur machen und studieren wollen, kämpfen mit unangemessenen Schulempfehlungen, Identitätskonflikten und finanziellen Problemen. Eltern können sie häufig nicht unterstützen. In der Phase der Verunsicherung nach dem Abitur trifft die Familie oft die Entscheidung gegen ein Studium.
Katja Urbatsch studierte Betriebswirtschaftslehre und Anglistik und überwand Hürden, zum Beispiel das ihr fremde akademische Vokabular. „Ich habe gemerkt, dass das am familiären Umfeld liegt“, erzählte sie. Ihren Bildungsweg hat sie auch im Buch „Ausgebremst. Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt“beschrieben. Ihre Beobachtungen motivierten sie „ArbeiterKind.de“zu gründen. Die Initiative fand ein breites Medieninteresse und wurde mit Preisen ausgezeichnet. Nach neun Jahren gibt es jetzt in 80 Städten ArbeiterKindGruppen. Das Mentorennetzwerk mit 6000 Ehrenamtlichen kann helfen, Kindern (nicht nur Arbeiterkindern) zu einer erfolgreichen Bildungslaufbahn zu verhelfen.
Eine Mentorin bei „ArbeiterKind“in Ulm, Christine Maier, erzählte von ihrer Arbeit, dass sie bei Problemen mit der Finanzierung des Studiums helfe oder auch einfach mal eine Bewerbung durchlese. „ArbeiterKind.de“organisiert Workshops mit Schülern und Studenten, Mentorenprogramme, Informationsveranstaltungen an Schulen, digitale Sprechstunden und sammelt Beispielbiografien, wie die der Bundesministerinnen Barbara Hendricks und Johanna Wanka. Auf die Bitte aus dem Publikum, doch schon früher, nicht erst in der neunten Klasse zu informieren, wies eine Teilnehmerin auf die Bildungsinitiative „Weichenstellung“hin, eine andere auf die Förderung durch Ganztagsschulen.