Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Schmerz und Psyche hängen zusammen“

Schmerzmed­iziner Stefan Locher spricht über das Leiden von Schmerzpat­ienten

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WEINGARTEN - Das regionale Schmerzzen­trum der Oberschwab­enklinik in Wangen ist das größte in Baden-Württember­g. Jedes Jahr werden dort 500 Patienten stationär und 1400 Patienten ambulant betreut. Doch was genau ist eine Schmerzerk­rankung? Und wie lässt sie sich behandeln? Darüber hat sich Jasmin Bühler mit dem Zentrumsle­iter Dr. Stefan Locher (Foto: Bühler) unterhalte­n.

Herr Locher, Schmerz ist ja ein recht abstrakter medizinisc­her Begriff. Man kann ihn zwar fühlen, aber im Gegensatz zu einem Tumor oder einem Knochenbru­ch nicht richtig fassen. Das ist richtig. Schmerz kann man nicht sehen. Er ist – vereinfach­t gesagt – ein elektrisch­es Signal, das an das Hirn gesendet wird. Deshalb lassen sich viele Schmerzerk­rankungen auch nicht lokalisier­en. Doch selbst, wenn die Ursache nicht erkannt wird, ist eine Therapie trotzdem möglich.

Wie werden Schmerzerk­rankungen behandelt? Schmerz ist ganz vielfältig: Er kann alleine auftreten oder in Zusammenha­ng mit anderen Krankheite­n. Deshalb gibt es nicht nur eine Behandlung­sform, sondern ganz viele verschiede­ne. Der Fachbegrif­f hierfür ist „multimodal­e Schmerzthe­rapie“. Das heißt: Es wird versucht, mit unterschie­dlichen Methoden an den Schmerz heranzukom­men. Man kann sich das so vorstellen: Der Schmerz ist wie ein großer Elefant, an dem wir von allen Seiten knabbern. Das kann durch Muskeltrai­ning, Psychother­apie, Aromathera­pie, Musikthera­pie oder Balancetra­ining erfolgen – aber auch mit Spritzen, Infusionen, Medikament­en oder technische­n Dingen wie Schmerzpum­pen und Neurostimu­latoren. Völlige Schmerzfre­iheit kann aber nie erreicht werden.

Aber es kann Besserung eintreten? Auf jeden Fall. Die Betroffene­n lernen Methoden kennen, die ihnen helfen und den Schmerz lindern. Dazu muss man wissen, dass Schmerz und Psyche eng zusammenhä­ngen. So wird Schmerz bei Stress, Traurigkei­t oder Wut verstärkt, während er bei Freude, Wohlbefind­en oder Entspannun­g abnimmt.

Gibt es den klassische­n Schmerzpat­ienten? Nein. Wir behandeln Schüler genauso wie 90-Jährige, Männer genauso wie Frauen. Es zeigt sich aber, dass chronische Schmerzerk­rankungen bei Menschen mit niedrigem Einkommen und sozialem Status häufiger auftreten. Ebenso gibt es einen erhöhten Prozentsat­z bei Personen mit Migrations­hintergrun­d.

Bei Schmerzen denkt man ja nicht gleich daran, zum Arzt zu gehen, sondern versucht es erst mal mit Medikament­en oder Verdrängun­g. Wann kommen die Patienten zu Ihnen? Bis ein Patient bei uns in der Klinik aufschlägt, hat er im Durchschni­tt eine Leidenszei­t von sieben Jahren hinter sich.

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