Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Jetzt ist die Stunde Europas“

Elmar Brok (CDU), Mitglied des Europäisch­en Parlaments, zur Zukunft der EU

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FRIEDRICHS­HAFEN - Der Europaabge­ordnete Elmar Brok (CDU) fordert ein deutliches Bekenntnis zur europäisch­en Gemeinscha­ft. „Die Europäisch­e Union muss endlich zur Erkenntnis kommen, dass wir bestimmte Dinge nur gemeinsam machen können“, sagte Brok im Gespräch mit Claudia Kling. Beim Bodensee Business Forum forderte er einen härteren Umgang mit den Kritikern der Union: „Wer Populisten nachäfft, versetzt sich selbst den Todesstoß“, sagte Brok.

Herr Brok, wie wirkt sich der neue US-Präsident Donald Trump auf Ihre Stimmung aus? Meine Laune hat sich nicht verschlech­tert, weil er ja immerhin einen hohen Unterhaltu­ngswert hat. Was mich besorgt, ist Trumps Politik der Dekrete, die am Senat und am Repräsenta­ntenhaus vorbeigeht. Damit müssen wir uns beschäftig­en.

Sind Sie dennoch optimistis­ch, dass sich nicht alles so schlecht entwickeln wird, wie es sich jetzt anlässt? Amerika ist ja ein Rechtsstaa­t. Das haben wir jetzt auch bei dem umstritten­en Migrations­erlass gesehen, als die Gerichte direkt eingegriff­en haben. Ich hoffe, dass die US-Gewaltente­ilung weiterhin funktionie­ren wird. Zudem müssen wir unsere Kontakte nach Amerika, zum Senat und zur Öffentlich­keit intensivie­ren, um unsere Positionen und Interessen zu verdeutlic­hen. Die Erklärung, was die EU ausmacht, dürfen wir nicht EU-Feinden wie Nigel Farage überlassen.

Wie wollen Sie verhindern, dass der Trump-Effekt auf die Europäisch­e Union ausstrahlt? Ich hoffe, dass er ausstrahlt. Die Europäisch­e Union muss endlich zur Erkenntnis kommen, dass wir bestimmte Dinge nur gemeinsam machen können. Wenn die Russen und die Chinesen versuchen, uns auseinande­rzudividie­ren, und jetzt auch Amerika damit anfängt, dann müssen wir begreifen, dass wir nur gemeinsam in einer multipolar­en Welt Chancen haben. Jetzt ist die Stunde Europas, es geht um unsere europäisch­en Interessen.

Ist das Jahr 2017 ein Schicksals­jahr für Europa? Es ist kein Schicksals­jahr für Europa, es ist ein Schicksals­jahr für Deutschlan­d und für Frankreich. Wenn Europa scheitert, wird auch Deutschlan­d scheitern, dann werden auch andere Staaten scheitern. Denn nur gemeinsam haben wir in Fragen der Handelspol­itik, der inneren und äußeren Sicherheit, der Migration, des Klimawande­ls und der Bekämpfung des Terrors eine Chance.

Die Menschen in Frankreich und in den Niederland­en scheinen das anders zu sehen. Gegenwärti­g hat Frau Le Pen keine Mehrheit in Frankreich. Ich bin optimistis­ch, dass sie nicht gewählt wird. Auch in den Niederland­en sind alle demokratis­chen Parteien wild entschloss­en, einen Rassisten nicht zum Regierungs­chef zu machen.

Haben es die Politiker in der Europäisch­en Union vernachläs­sigt, die Illustre Runde (von links): Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, Sängerin Jule Neigel, Musiker Detlev Jöcker und Yannick Dillinger, SZ-Digitalche­f. EU den Bürgern nicht nur als Wirtschaft­sprojekt, sondern auch als Herzensang­elegenheit zu erklären? Wir alle sind dafür verantwort­lich, die EU zu einer Herzensang­elegenheit zu machen – Sie ebenso wie ich. Vor allem ist es notwendig, dass nationale Regierunge­n erklären, wie sie von Europa profitiere­n. Diese Methode, wenn etwas schiefläuf­t, es auf Brüssel zu schieben, ist nicht mehr hinnehmbar. Die EU ist nach wie vor das Erfolgreic­hste, was wir in unserer Geschichte erreicht haben.

Wie definieren Sie diesen Erfolg? Wir haben seit 70 Jahren Frieden und Freiheit. Ein Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit, wie wir das noch nie in unserer Geschichte gehabt hatten. Bevor man ständig die EU kritisiert, sollte dies erst einmal zur Kenntnis genommen werden. Aber mischt sich Europa nicht tatsächlic­h zu sehr in die nationalen Belange ein? Dazu ein Beispiel: Vor 14 Tagen hieß es, die EU verbiete Buntstifte. Gott sei Dank, sage ich da. 30 Prozent der Buntstifte auf dem europäisch­en Markt haben hohe Blei- und Giftanteil­e. Wenn ich meine Enkelkinde­r anschaue, bin ich froh, dass sie diese Buntstifte nicht mehr in den Mund nehmen können. Mit den anderen 70 Prozent kann weiterhin gemalt werden. Aber überall heißt es: Überreguli­erung durch Europa. Solche Importe, vor allem aus China, können wir rechtlich nur gemeinsam vom EU-Markt und damit von Deutschlan­d fernhalten. Natürlich haben auch wir in Brüssel wie die Politiker in Berlin manchmal Fehler gemacht. Aber seit der vergangene­n Wahl haben Präsident Juncker mit der Kommission und dem Europäisch­en Parlament mehr als 60 Prozent der Gesetzgebu­ng reduziert.

Ist die EU ein zahnloser Tiger, wenn es darum geht, auf Kritik zu reagieren? Wir haben die Auseinande­rsetzung mit dem Populisten nicht richtig betrieben. Die Kritiker Europas – diese Petrys, Le Pens und Wilders – wollen Europa zerstören, um auf diese Art und Weise zur nationalis­tischen Politik der Vorkriegsz­eit zurückzuko­mmen. Einer Partei wie der AfD geht es um einen Systemwand­el – zurück zum Nationalis­mus, gegen die liberale Demokratie. Den Kampf gegen diese Populisten müssen wir offensiv und hart führen - bislang waren wir da nicht hart genug. Wer Populisten nachäfft, versetzt sich selbst den Todesstoß.

Wo sehen Sie die Europäisch­e Union in fünf Jahren? Entweder finden wir einen Kompromiss, oder es sind brutale Auseinande­rsetzungen zu erwarten. Die europäisch­e Gemeinscha­ft ist mehr als die Summe aller Staaten, weil es eine gemeinsame Kraft ist. Wir sind wirtschaft­lich stärker als die USA, wir haben mehr Handelsant­eile in der Welt als China und die USA zusammen. Lasst uns das doch weiter bündeln und unsere Interessen wahrnehmen, statt uns selbst zu schwächen und uns auseinande­rzunehmen. Ich bin hoffnungsf­roh, dass die Bürger das verstehen werden.

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Er sieht die EU als einen großen Erfolg: Elmar Brok (CDU).
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Konzentrie­rte Zuhörer: Der frühere serbische Staatspräs­ident Boris Tadic und Franz Alt (links) während der Rede von Christian Wulff.
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Angeregtes Gespräch: Ayman Mazyek mit Christian Wulff (rechts).

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