Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Mode-Geck
Brüssels Mannekin Pis hat mehr als 950 Kostüme - Neues Museum eröffnet
BRÜSSEL (dpa) - Designerdress, Fußballtrikot, Landestracht – Manneken Pis kann einfach alles tragen. Das Wahrzeichen der belgischen Hauptstadt hat mehr als 950 Kostüme in seiner Garderobe. 133 davon werden seit Samstag im neuen Museum „GardeRobe MannekenPis“wenige Meter entfernt von der Brunnenfigur im historischen Zentrum Brüssels präsentiert. Ein begehbarer Kleiderschrank, dessen Besuch zeigt: Das Manneken macht in jedem Gewand eine gute Figur. Das nahegelegene Museum zur Geschichte der Figur wurde ebenso neu gestaltet.
„Der beste Weg, in Brüssel präsent zu sein, ist das Manneken Pis“, sagt Roel Jacobs. Er ist Historiker und so etwas wie ein wandelndes Lexikon. Für ihn ist die Figur im In- und Ausland vor allem deshalb so populär, weil sie der Brüsseler Selbstironie entspricht. Die Nonchalance, mit der der Junge in aller Öffentlichkeit Wasser lässt, kommt an – und zwar in der ganzen Welt. So bilden Gaben fremder Länder den größten Teil der Kostümschau: das Manneken in der britischen Garde-Uniform, das Manneken als italienischer Harlekin. Das Manneken als Amazonas-Indianer und das Manneken als kanadischer Eishockeyspieler. „Jeder Besucher möchte natürlich das Kostüm sehen, das sein Land Manneken Pis geschenkt hat“, sagt Kurator Gonzague Pluvinage. Mit 18 Gewändern ist Japan als außereuropäisches Land bislang am spendabelsten gewesen. „Die Japaner sind komplett verrückt nach Manneken Pis.“
Andere Vitrinen zeigen die Figur im Dress von Sportvereinen, Designern oder Prominenten. So steht das Die kostümierte Figur: Die Tradition, das Manneken Pis einzukleiden, geht mindestens bis 1615 zurück – da ist er als Schäfer verkleidet auf einem Gemälde von Denis Van Alsloot zu sehen. Die Garderobe: Das Manneken Pis besitzt fast tausend Kostüme. Bis ins 19. Jahrhundert wuchs seine Garderobe kaum. Seit 1918 erhält er rund 30 Kostüme pro Jahr. Die Schenkung: Um Manneken Pis ein Kostüm zu schenken, ist ein Antrag beim Bürgermeister- und Schöffenrat der Stadt Brüssel erforderlich. Eine Kommission prüft auf Grundlage eines Regelwerks. Der Garderobier: In einem Dokument von 1756 wird erstmals der offizielle Titel eines Garderobiers von Manneken Pis erwähnt. Noch heute kleidet ein Kommunalbeamter die Figur dem Kostümkalender entsprechend an und aus. Der Orden: 1954 wurde der Orden der Freunde von Manneken Pis ins Leben gerufen. Die etwa hundert Mitglieder nehmen an folkloristischen Gebräuchen rund um den kleinen Mann teil. Dabei singen sie auch seine Hymne, die vom Franzosen Maurice Chevalier stammt. Manneken in der Latzhose von Obelix neben dem im Trikot des belgischen Nationalteams. Selbst Stardesigner Jean Paul Gaultier entwarf schon einen Dress für den Jungen. Nur für politische, religiöse oder kommerzielle Zwecke dürfe die Figur nicht gebraucht werden, sagt Pluvinage.
So verschieden seine Kostüme sind, so bewegt ist das Leben des wasserlassenden Jungens. Mehrfach wurde die Bronzefigur gestohlen und beschädigt. Das Original steht deshalb nicht mehr an jener Ecke, an der die Touristen Fotos machen – sie sehen eine Kopie –, sondern auf einem goldenen Sockel im Kaufmannshaus „Maison du Roi“am historischen Marktplatz Grand Place.
Auch dieser Raum ist neu gestaltet – und behandelt die Geschichte des Manneken Pis. Ein Zeitstrahl gibt hier einen Überblick über das, was über die 1619 von Bildhauer Jerome Duquesnoy entworfene Figur bekannt ist: Etwa, dass französische Soldaten den Knaben 1747 stahlen – und König Ludwig XV. deshalb als Abbitte eine Gala-Uniform im Miniformat spendierte. Auch sie ist übrigens im „GardeRobe MannekenPis“zu sehen – allerdings als Replik. Am Original nagt der Zahn der Zeit.
Im „Maison du Roi“wird auch gezeigt, wie sehr Manneken Pis mit der Identität Brüssels und Belgiens verknüpft ist. Der Titel einer SatireZeitschrift von 1945 zeigt das Manneken, wie es auf die Nazis pinkelt. Und gut 60 Jahre später? „Nach den Terroranschlägen im vergangenen Jahr haben die meisten Cartoonisten das Manneken Pis als Symbol gewählt“, sagt Historiker Jacobs.