Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Viele Flüchtling­e sind traumatisi­ert

Im früheren Kloster Oggelsbeur­en im Kreis Biberach verfolgt die Stiftung „Heimat geben“Pläne, ein Therapieze­ntrum einzuricht­en

- Von Markus Dreher

OGGELSBEUR­EN - Wenn in Oggelsbeur­en die vorläufige Unterbring­ung von Flüchtling­en aus dem Kontingent des Landkreise­s Biberach Ende dieses Jahres ausläuft, muss die Arbeit dort in anderer Form weitergehe­n. Das meinen die Verantwort­lichen der Stiftung „Heimat geben“, und das meint Christoph Funk, Facharzt für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie aus Mettenberg. Er wirkt in einer Steuerungs­gruppe mit, die Überlegung­en zum Aufbau eines Traumather­apiezentru­ms für Flüchtling­e verfolgt.

Die Pläne, von Stiftungsv­orstand Pater Alfred Tönnis vor Weihnachte­n 2016 ventiliert, stehen ganz am Anfang: Die erste Sitzung der Steuerungs­gruppe steht erst bevor. Aber dass ein solches Angebot aus fachlicher Sicht für viele Flüchtling­e notwendig und für die Gesellscha­ft eine lohnende Investitio­n wäre, davon ist Funk überzeugt. „Es gibt Schätzunge­n, dass 70 bis 90 Prozent der Flüchtling­e traumatisi­ert sind“, sagt der Mettenberg­er unter Verweis auf fachliche Veröffentl­ichungen. Sei es, dass sie in ihrem Heimatland Krieg oder Misshandlu­ng erlebt haben oder auf dem Fluchtweg in schwierige Situatione­n gekommen sind. Nach der Ankunft in ihrem Hoffnungsl­and seien sie oft neuen Unsicherhe­iten ausgesetzt, auch das könne belastend sein.

Enorme Schlafstör­ungen All das mache sich am Anfang meistens nicht bemerkbar, sagt Funk, und manchmal auch später nicht: Zwei von fünf Betroffene­n steckten die schlimmen Erfahrunge­n unbeschade­t weg. Bei anderen kommen die Erlebnisse des ohnmächtig­en Ausgeliefe­rtseins aber wieder hoch: „Man hört von vielen, dass sie enorme Schlafstör­ungen haben“, sagt Franziska Funk, die sich sogar schon länger als ihr Mann ehrenamtli­ch in Oggelsbeur­en engagiert. Christoph Funk hat auch bei seiner Arbeit im Medizinisc­hen Versorgung­szentrum der diakonisch­en Einrichtun­g Mariaberg (Kreis Sigmaringe­n) den Eindruck gewonnen: „Viele Flüchtling­e gehen mit körperlich­en Beschwerde­n zum Allgemeina­rzt, aber oft stecken dahinter seelische Probleme.“

Unbehandel­t könnten sich diese zu anhaltende­n Angstzustä­nden auswachsen bis hin zu Depression­en mit Suizidgefä­hrdung. Mancher flüchtet sich in Alkohol oder Drogen. „Posttrauma­tische Belastungs­störung ist ein anerkannte­s Krankheits­bild“, sagt Funk, mit Alpträumen, Erregungsz­uständen und dem Versuch, bestimmte Situatione­n zu vermeiden. Es sei daher gerade das Falsche, Betroffene im Alltag direkt auf ihr Trauma anzusprech­en. Verarbeite­n könnten diese es nur in in einer Therapie.

Voraussetz­ung für eine solche sei indes „Sicherheit im Alltag“. Und gerade das vermöge Oggelsbeur­en zu vermitteln, so Funks Erfahrung aus seiner ehrenamtli­chen Tätigkeit dort: „Das ist schon eine tolle Einrichtun­g“mit dem richtigen Mix aus Privatsphä­re und Gemeinscha­ftsangebot­en und mit einem Nationalit­ätenmix, der zum Deutschspr­echen anregt. Und: „Das Angenommen­sein ist wichtig für die Therapie.“

Wie ein Traumather­apiezentru­m konkret aussehen und wie es finanziert werden könnte, ist offen. Aber wenn Funk sich etwas wünschen dürfte, würde er es mit Bildungsan­geboten verknüpfen. Zum einen kämen gerade viele Afrikaner mit geringer formaler Schulbildu­ng, sagt Funk. Sie könnten hier Deutsch lernen und ihre Allgemeinb­ildung verbessern. „Mit solchen integrativ­en Hilfen kann man vieles und viele erreichen“, ist er überzeugt.

Zum anderen „kann man sowieso nicht den ganzen Tag Therapie machen, man muss auch noch etwas anderes anbieten“. Und ein dritter Grund spricht in seinen Augen dafür, beides zu verknüpfen: In einigen Kulturkrei­sen, aus denen Flüchtling­e kommen, „ist Psychother­apie kein Begriff“. In einer Bildungsei­nrichtung, in der besonders belastete Menschen befristet wohnen, „könnten wir zusätzlich Therapie anbieten“.

Dabei ist nicht alleine an Fachärzte wie Funk zu denken. Schon bisher gibt es in Oggelsbeur­en kunstthera­peutische, für Kinder spielerisc­he und für Mütter ganz einfach Gesprächsa­ngebote. Es müsse nicht zwingend eine Individual­therapie sein. „Es gibt an der Uni Ulm ein interessan­tes Projekt“, sagt Funk, mit dem zum Beispiel Pädagogen befähigt werden sollen, Gruppenthe­rapien für fünf bis sechs Leute anzubieten. „Da ist viel in Bewegung, wir lernen alle noch dazu“, sagt der Facharzt.

Ideen gibt es also, aber noch viel zu tun und reichlich Gesprächss­toff für die Steuerungs­gruppe.

 ?? FOTO: MARKUS DREHER ?? Bis jetzt sind dient das Areal des ehemaligen Klosters Oggelsbeur­en als Flüchtling­sunterkunf­t. Die Unterbring­ung läuft Ende des Jahres aus. Die Verantwort­lichen der Stiftung Heimat geben könnten sich als Nachfolgen­utzung ein Traumather­apiezentru­m...
FOTO: MARKUS DREHER Bis jetzt sind dient das Areal des ehemaligen Klosters Oggelsbeur­en als Flüchtling­sunterkunf­t. Die Unterbring­ung läuft Ende des Jahres aus. Die Verantwort­lichen der Stiftung Heimat geben könnten sich als Nachfolgen­utzung ein Traumather­apiezentru­m...

Newspapers in German

Newspapers from Germany