Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schweizer wird man nicht so leicht
Am Sonntag stimmen die Eidgenossen über ihr Einbürgerungsrecht ab – und damit über ihre Haltung gegenüber Migranten
Schon wieder treibt die Schweizer ein Thema um, das im Ausland für Aufsehen sorgen wird. Es geht um die Frage, ob es die Eidgenossen ihren ausländischen Mitbürgern ein bisschen erleichtern wollen, die begehrte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Am kommenden Sonntag darf das Stimmvolk in unserem Nachbarland über ein entsprechendes Gesetz entscheiden. Die einen verdammen es als Teufelszeug zum baldigen Untergang der Eidgenossenschaft, während die anderen es als logische Folge einer gesellschaftlichen Tatsache begrüßen. Dabei geht es nicht etwa um alle Einwanderer, sondern lediglich um die erleichterte Einbürgerung von Menschen, die in der dritten Generation in der Schweiz leben.
Batur ist so ein Mensch, auch wenn er vielleicht gar nicht Batur heißt. „Das spielt keine Rolle“, sagt der hochgewachsene junge Mann in einwandfreiem Schwiizertütsch, der in einer McDonald’s-Filiale in einer kleinen Stadt am Bodensee an seinem Milchkaffee nippt. Was indes schon eine Rolle spiele sei, dass ihn seine Kollegen in der Firma nicht zufällig in der Zeitung entdeckten. „Es gibt da einen Haufen Leute unter den Kollegen, die nicht direkt ausländerfeindlich sind. Eher indirekt, so mit Andeutungen. Mit denen möchte ich lieber nicht diskutieren.“
Aufgezogen und gehänselt Als Azubi in einem Transportunternehmen, werde er mit seinen schwarzen Haaren und dem südländischen Aussehen oft genug „gfuggsät“, also gefuchst, aufgezogen, gehänselt. „Alles ganz freundschaftlich. Alles ganz nett“, sagt Batur beschwichtigend. Verletzend wirkt es aber offenbar doch, wenn gelegentlich blöde Sprüche kommen, weil die vermeintlich harmlosen Späßchen eben eine Grenze ziehen zwischen den „eingeborenen Schweizern“, wie Batur sich ausdrückt, und den anderen. Ganz egal, ob diese anderen in der Eidgenossenschaft geboren sind oder wie lange sie schon hier leben. „Da verläuft eine Grenze. Schweizer wird man nicht so leicht.“
Wie recht Batur hat, belegt das Schweizer Einbürgerungsrecht. Bei uns müsste sich der junge Mann um den deutschen Pass keine Gedanken mehr machen. Denn den erhält jeder, der in Deutschland geboren ist, vorausgesetzt, ein Elternteil lebt seit mindestens acht Jahren legal im Land. „Aber die Schweiz ist da viel strenger.“
Batur ist in St. Gallen geboren. Mit seinen 18 Jahren hat er kaum noch einen Bezug zum Land seiner Vorfahren, der Türkei. Ende der 1960er-Jahre ist sein Opa mit der Familie aus Anatolien zuerst in den Raum Zürich gekommen und später dann nach St. Gallen gezogen. „Und eigentlich haben wir alles richtig gemacht“, sagt Batur, der nicht nur Freunde unter den Migranten hat, sondern auch unter den Eingeborenen. Integration, wie sie im Lehrbuch steht: perfekte Sprachkenntnisse, mittlerer Schulabschluss, Lehrstelle und eine gute Perspektive, übernommen zu werden. Wenn man nicht Batur erleichtert einbürgert, wie die Volksabstimmung am Sonntag es möglich machen könnte, wen denn dann?
Nationalrätin Barbara Keller-Inhelder hält dem entgegen: „Wie die Schweiz die Einbürgerung regelt, hat wesentliche Auswirkungen auf unser Land und dessen Entwicklung, unsere Gesellschaft, unsere Kultur und unsere Werte.“Keller-Inhelder gehört der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) an, der Schweizer Nationalrat entspricht in etwa dem deutschen Bundestag. Es gibt eine Menge Menschen in und außerhalb der Schweiz, die das Wort „rechtskonservativ“im Zusammenhang mit der SVP durch „rechtsextrem“ersetzen würden. Jedenfalls besetzt die Partei das Migrationsthema permanent und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, gezielt mit den Ängsten vor einer angeblichen Überfremdung zu spielen. Das hat sich in Volksabstimmungen der Vergangenheit immer wieder gezeigt, etwa 2009, als die SVP erfolgreich über ein Minarettverbot abstimmen ließ, ungeachtet der Tatsache, dass aufgrund juristischer Feinheiten und Zuständigkeiten die Genehmigung von Minaretten trotzdem nicht ausgeschlossen ist.
Das Argument, jemand wie Batur stehe den schweizerischen Werten sowie der Kultur des Landes nicht entgegen, sondern sehr nahe, lässt Barbara Keller-Inhelder jedenfalls nicht gelten. Aber wenn es sich um Ausländer der dritten Generation handelt, fragen wir zurück, sind dann nicht gerade in dieser Gruppe besonders viele besonders gut integrierte Zuwanderer, um die die Schweiz froh sein kann? „Leider nicht nur, darunter hat es heute schon sehr gefährliche Personen.“
Negative Schlagzeilen Als Argumente gegen eine erleichterte Einbürgerung von Menschen der dritten Generation führt die Nationalrätin auch Fälle von verweigertem Handschlag oder verweigertem Schwimmunterricht ins Feld, die in der Schweiz über Wochen hinweg die Schlagzeilen bestimmten. Gehören die Beispiele tendenziell nicht zu eben jenen Gruppen, die von einer erleichterten Einbürgerung ohnehin nicht profitieren würden? Barbara Keller-Inhelder: „Doch, darunter fallen leider auch solche“. Der junge Batur schüttelt den Kopf, wenn er so etwas hört: „Ich jedenfalls kenne niemanden in meinem Umfeld, der so etwas macht.“
Welches Urteil das Schweizer Stimmvolk am Sonntag auch fällen wird – Vica Mitrovic, der die Einbürgerung auf dem langen Weg erlebt hat, findet, dass die Debatte in der Schweiz die Integration als solche beschädigt. Er selbst stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, kam vor 30 Jahren ins Land und sitzt im St. Galler Stadtparlament, was einem deutschen Gemeinderat gleicht. „Die SVP hält das Thema ständig am Köcheln. Mit den Ängsten wird Politik gemacht.“So erlebt es auch Peter Tobler, der im „Amt für Gesellschaftsfragen“mit allen möglichen Aspekten von Integration zu tun hat. „Mich wundert am meisten, dass sich Migranten in der Schweiz das bieten lassen. Dass sie sich nicht wehren und in den Ausländer-Diskussionen keine starke Stimme haben.“Das sieht auch Vica Mitrovic so und geht mit den Verbänden hart ins Gericht: „Die sind politisch vollkommen impotent. Die, die so ein Gesetz am meisten betrifft, interessieren sich am wenigsten dafür.“
Tatsächlich war es nicht ganz einfach, einen jungen Mann wie Batur zu finden, der sich überhaupt mit seiner Einbürgerung beschäftigt. Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“an verschiedene Verbände sind unbeantwortet, diverse Bitten um Rückrufe unbeachtet geblieben. Entweder weil niemand den Anrufbeantworter abhört, oder weil Tobler und Mitrovic vielleicht recht haben und es kein echtes Interesse vonseiten der Migranten gibt.
Während Batur redet und Kaffee trinkt, kommen immer wieder Leute in seinem Alter vorbei und grüßen, darunter auch solche, die der junge Türke als eingeborene Schweizer identifiziert. Und im Gegensatz zu seinen Kollegen in der Firma verlaufen in dem Burger-Restaurant keine sichtbaren Grenzlinien. Da sind einfach junge Leute unter ihresgleichen.
Entpolitisierte Gemeinschaften Vica Mitrovic hat Erfahrung genug, um zu wissen, dass es bei Integration nicht darauf ankommt, dass alle Migranten schweizerischer als die Schweizer selbst werden. „Natürlich bilden sich Communitys mit Landsleuten.“Tragisch sei es aber, wenn diese entpolitisierten Gemeinschaften an der Demokratie keinen Anteil hätten. „Ich bin bei Wahlen Stimmenauszähler. Es macht mich betroffen, wenn ich dann unter den vielen Stimmkarten nicht einen einzigen Namen mit jugoslawischem Klang lese, obwohl das eine sehr große Gruppe in St. Gallen ist.“Peter Tobler, der Integrationsexperte, glaubt, dass populistische Parteien und Gruppierungen genau wüssten, dass die Migranten in der Schweiz sich gegen Vorurteile und Kampagnen nicht wehrten.
Ganz wehrlos fühlt sich Batur aber nicht. Denn dass er den Schweizer Pass irgendwann bekommt, davon ist er überzeugt. Ganz egal, wie seine Mitbürger am Sonntag entscheiden. „Dieses Land ist sowieso meine Heimat. Ich habe keine andere.“