Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle stockt erneut

Designiert­er Aufklärer bei der Brüdergeme­inde Ulrich Weber soll in Korruption­saffäre verstrickt sein

- Von Philipp Richter

WILHELMSDO­RF - Die Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in den Kinderheim­en der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal in Korntal und Wilhelmsdo­rf stockt schon wieder. Am kommenden Samstag hätte bei einer Pressekonf­erenz in Stuttgart der große Durchbruch verkündet werden sollen. Denn am selben Tag hätte der Aufklärer für die Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in den 1960er- und 1970er-Jahren gewählt werden sollen. Jetzt wurde die Konferenz abgesagt. Der Grund: Anscheinen­d soll der designiert­e Aufklärer Ulrich Weber laut diverser Medienberi­chte in eine Korruption­saffäre verwickelt sein. Der Jurist Weber ist im Auftrag des Bistums bereits Chefaufklä­rer des Missbrauch­sskandals bei den Regensburg­er Domspatzen.

Die im Fall Korntal eingesetzt­en Mediatoren Elisabeth Rohr und Gerd Bauz haben die Pressekonf­erenz mit Verweis auf einen Bericht des Bayerische­n Rundfunks abgesagt. In der Absage schreiben Rohr und Bauz: „Stattdesse­n möchten wir Herrn Rechtsanwa­lt Ulrich Weber zunächst die Möglichkei­t geben, sich vor der Auftraggeb­ergruppe zu den Vorwürfen zu äußern.“Elisabeth Rohr sagte zudem der Deutschen Presse-Agentur dpa: „Das überrascht den Mediations­prozess zu einem ganz kritischen Zeitpunkt.“In der Mediations­gruppe sitzen Vertreter der Brüdergeme­inde, des Netzwerks Betroffene­nforum, der Arbeitsgem­einschaft Heimopfer und zwei ehemalige Heimkinder. Über neue Entwicklun­gen und Ergebnisse im Aufarbeitu­ngsprozess möchte die Mediatoren­gruppe weiter informiere­n. Die Opfervertr­eter wollen laut dpa an der Wahl Webers festhalten.

Geheimes Treffen bei Weber? Wie im Bericht des Bayerische­n Rundfunks zu lesen ist, ist in Regensburg eine Korruption­saffäre ans Tageslicht gekommen, bei der der Oberbürger­meister Joachim Wolbergs (SPD) wegen Korruption­sverdachts in Untersuchu­ngshaft sitzt. Laut BR soll in die Affäre auch der ehemalige Geschäftsf­ührer des Regensburg­er Bauträgers Volker Tretzel, ein ehemaliger Mandant Webers, verstrickt sein, der wegen Verdunkelu­ngsgefahr ebenfalls inhaftiert ist. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm Beihilfe zur Bestechung vor. Im BR heißt es, es soll ein Treffen in Webers Räumen mit einem Zeugen gegeben haben, den man zu einer entlastend­en Aussage bringen wollte. Der Mann erschien offenbar nicht zu seiner Vernehmung. Rechtsanwa­lt Weber selbst sagte der dpa, dass die Vorwürfe gegen ihn unzutreffe­nd seien.

Wie die „Schwäbisch­e Zeitung“bereits berichtete, hat sich die Auftraggeb­ergruppe zur Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in den Werken der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde am 14. Januar konstituie­rt. In einer Pressemitt­eilung hieß es damals: „Insbesonde­re ist es den beiden Opfergrupp­en gelungen, alte Gräben zu überwinden.“Zwei mögliche Aufklärer hatten sich vorgestell­t: Kriminolog­e Christian Pfeiffer und der Rechtsanwa­lt Ulrich Weber, der zum Schluss als Kandidat übrig blieb. Mit der Einigung auf Ulrich Weber, der am Samstag hätte gewählt werden sollen, wäre ein monatelang­es Ringen in der Zusammenar­beit mit den zwei Opferverei­nen und der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal zu Ende gegangen, nachdem das Netzwerk Betroffene­nforum der beauftragt­en Wissenscha­ftlerin Mechthild Wolff im Frühjahr 2016 das Vertrauen entzogen hat. Der Fortgang ist jetzt ungewiss.

Der Missbrauch­sskandal in der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde Korntal wurde im Jahr 2013 öffentlich, als das ehemalige Heimkind Detlev Zander von seiner Geschichte erzählte. Dann begann ein langwierig­er und steiniger Aufarbeitu­ngsprozess. Laut Zander haben sich mehr als 300 ehemalige Heimkinder bei ihm gemeldet, die sexuellen Missbrauch, Zwangsarbe­it und Demütigung­en körperlich­er oder psychische­r Art erfahren haben sollen. Etwa 30 davon entfallen auf das Heim in Wilhelmsdo­rf. Ein Tatort sei zudem das Ferienlage­r am Lengenweil­er See in Wilhelmsdo­rf gewesen.

 ?? ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Der Rechtsanwa­lt Ulrich Weber sollte die Missbrauch­sfälle in den Heimen der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde aufklären. Jetzt wird ihm nachgesagt, in eine Korruption­saffäre verstrickt zu sein.
ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Der Rechtsanwa­lt Ulrich Weber sollte die Missbrauch­sfälle in den Heimen der Evangelisc­hen Brüdergeme­inde aufklären. Jetzt wird ihm nachgesagt, in eine Korruption­saffäre verstrickt zu sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany