Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Aufarbeitung der Missbrauchsfälle stockt erneut
Designierter Aufklärer bei der Brüdergemeinde Ulrich Weber soll in Korruptionsaffäre verstrickt sein
WILHELMSDORF - Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal in Korntal und Wilhelmsdorf stockt schon wieder. Am kommenden Samstag hätte bei einer Pressekonferenz in Stuttgart der große Durchbruch verkündet werden sollen. Denn am selben Tag hätte der Aufklärer für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den 1960er- und 1970er-Jahren gewählt werden sollen. Jetzt wurde die Konferenz abgesagt. Der Grund: Anscheinend soll der designierte Aufklärer Ulrich Weber laut diverser Medienberichte in eine Korruptionsaffäre verwickelt sein. Der Jurist Weber ist im Auftrag des Bistums bereits Chefaufklärer des Missbrauchsskandals bei den Regensburger Domspatzen.
Die im Fall Korntal eingesetzten Mediatoren Elisabeth Rohr und Gerd Bauz haben die Pressekonferenz mit Verweis auf einen Bericht des Bayerischen Rundfunks abgesagt. In der Absage schreiben Rohr und Bauz: „Stattdessen möchten wir Herrn Rechtsanwalt Ulrich Weber zunächst die Möglichkeit geben, sich vor der Auftraggebergruppe zu den Vorwürfen zu äußern.“Elisabeth Rohr sagte zudem der Deutschen Presse-Agentur dpa: „Das überrascht den Mediationsprozess zu einem ganz kritischen Zeitpunkt.“In der Mediationsgruppe sitzen Vertreter der Brüdergemeinde, des Netzwerks Betroffenenforum, der Arbeitsgemeinschaft Heimopfer und zwei ehemalige Heimkinder. Über neue Entwicklungen und Ergebnisse im Aufarbeitungsprozess möchte die Mediatorengruppe weiter informieren. Die Opfervertreter wollen laut dpa an der Wahl Webers festhalten.
Geheimes Treffen bei Weber? Wie im Bericht des Bayerischen Rundfunks zu lesen ist, ist in Regensburg eine Korruptionsaffäre ans Tageslicht gekommen, bei der der Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) wegen Korruptionsverdachts in Untersuchungshaft sitzt. Laut BR soll in die Affäre auch der ehemalige Geschäftsführer des Regensburger Bauträgers Volker Tretzel, ein ehemaliger Mandant Webers, verstrickt sein, der wegen Verdunkelungsgefahr ebenfalls inhaftiert ist. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zur Bestechung vor. Im BR heißt es, es soll ein Treffen in Webers Räumen mit einem Zeugen gegeben haben, den man zu einer entlastenden Aussage bringen wollte. Der Mann erschien offenbar nicht zu seiner Vernehmung. Rechtsanwalt Weber selbst sagte der dpa, dass die Vorwürfe gegen ihn unzutreffend seien.
Wie die „Schwäbische Zeitung“bereits berichtete, hat sich die Auftraggebergruppe zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den Werken der Evangelischen Brüdergemeinde am 14. Januar konstituiert. In einer Pressemitteilung hieß es damals: „Insbesondere ist es den beiden Opfergruppen gelungen, alte Gräben zu überwinden.“Zwei mögliche Aufklärer hatten sich vorgestellt: Kriminologe Christian Pfeiffer und der Rechtsanwalt Ulrich Weber, der zum Schluss als Kandidat übrig blieb. Mit der Einigung auf Ulrich Weber, der am Samstag hätte gewählt werden sollen, wäre ein monatelanges Ringen in der Zusammenarbeit mit den zwei Opfervereinen und der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal zu Ende gegangen, nachdem das Netzwerk Betroffenenforum der beauftragten Wissenschaftlerin Mechthild Wolff im Frühjahr 2016 das Vertrauen entzogen hat. Der Fortgang ist jetzt ungewiss.
Der Missbrauchsskandal in der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal wurde im Jahr 2013 öffentlich, als das ehemalige Heimkind Detlev Zander von seiner Geschichte erzählte. Dann begann ein langwieriger und steiniger Aufarbeitungsprozess. Laut Zander haben sich mehr als 300 ehemalige Heimkinder bei ihm gemeldet, die sexuellen Missbrauch, Zwangsarbeit und Demütigungen körperlicher oder psychischer Art erfahren haben sollen. Etwa 30 davon entfallen auf das Heim in Wilhelmsdorf. Ein Tatort sei zudem das Ferienlager am Lengenweiler See in Wilhelmsdorf gewesen.