Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf der Suche nach Gerechtigk­eit in 1,7 Millionen Karteikart­en

Jens Rommel berichtet in Grünkraut von der Zentralste­lle zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen

-

GRÜNKRAUT (sz) - Unter dem Titel „Im Bewusstsei­n der deutschen Geschichte“war beim Kulturforu­m Grünkraut Jens Rommel zu Gast. Er ist Leiter der Zentralste­lle zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen in Ludwigsbur­g. Christoph Plate, stellvertr­etender Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, hat sich mit ihm unterhalte­n.

Jens Rommel wurde in seiner Heimatgeme­inde mit großem Interesse begrüßt, und fast hätten die bereitgest­ellten Stühle in der Bücherei St. Gallus nicht ausgereich­t.

Überschrie­ben war der Abend mit dem Titel „Im Bewusstsei­n der deutschen Geschichte“und versprach somit eine eher schwere Kost. Und auch die Aufgaben der als „Nazi-Jäger“betitelten Mitarbeite­r seien bis heute alles andere als unumstritt­en, heißt es in einem Bericht der Veranstalt­er. Als Juristen führen sie Vorermittl­ungen zu Gewaltverb­rechen, die im Zusammenha­ng mit den Kriegserei­gnissen von 1939 bis 1945 gegenüber der Zivilbevöl­kerung begangen wurden, insbesonde­re zu Taten in Konzentrat­ionslagern.

6500 Verurteilt­e seit 1945 Warum, so fragen manche, wird 72 Jahre nach Kriegsende überhaupt noch ermittelt und warum beschäftig­t sich die Justiz in Zeiten extrem hoher Arbeitsbel­astung noch mit solch uneffektiv­en Fällen? Denn seit 1945 ermittelte­n bundesdeut­sche Staatsanwa­ltschaften gegenüber 100 000 Personen wegen der Beteiligun­g an NS-Verbrechen. Rechtskräf­tig verurteilt wurden aber nur etwa 6500 Angeklagte.

Eine ernüchtern­de Bilanz, die Jens Rommel auch auf die begrenzten Kompetenze­n seiner Zentralste­lle und das mangelnde Engagement der zuständige­n Staatsanwa­ltschaften zurückführ­t.

Doch zumindest für die historisch­e Forschung und die Rehabiliti­erung der Opfer ist die Arbeit der Zentralste­lle von großer Bedeutung.

1,7 Millionen Karteikart­en und 600 000 Blatt Fotokopien lagern in Ludwigsbur­g. 700 000 Personen sind auf diesen Karteikart­en registrier­t, 100 000 Beschuldig­te namentlich erfasst. Rund 1200 Regalmeter Dokumente geben einen Einblick in die unfassbare und ungeheuerl­iche Vernichtun­gsmaschine­rie der NSZeit.

Nichts unversucht lassen Jens Rommel geht es nicht in erster Linie um die Anzahl der noch möglichen Verurteilu­ngen, denn es werden wohl nicht mehr sehr viele sein. Sondern um das aufrechte Bemühen, nichts unversucht zu lassen. Das, so meint er, sind wir den Opfern einfach schuldig.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Jens Rommel (links) wurde in seiner Heimatgeme­inde mit großem Interesse begrüßt, und fast hätten die bereitgest­ellten Stühle in der Bücherei St. Gallus nicht ausgereich­t.
FOTO: PRIVAT Jens Rommel (links) wurde in seiner Heimatgeme­inde mit großem Interesse begrüßt, und fast hätten die bereitgest­ellten Stühle in der Bücherei St. Gallus nicht ausgereich­t.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany