Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Jetzt, wo Ravensburg durch die Initiative „Radkultur“als besonders engagierte Kommune in Sachen fahrradfreundliche Entwicklungen ausgewählt wurde, soll hier auf die Landesausstellung im Mannheimer „Technoseum“hingewiesen werden: „2 Räder – 200 Jahre“beschäftigt sich mit der Entwicklung der Laufmaschine des Freiherrn von Drais bis hin zum Singlespeed heutiger Urban-Flitzer. Wer den Weg nach Mannheim scheut, kann auch im Ausstellungskatalog seine Radelsucht anheizen. Natürlich wird ausführlich Erfinder Karl Drais gewürdigt, der 1817 mit seinem Zweiradprinzip „die Menschen in einen neuen Erfahrungsraum versetzte: das labile Gleichgewicht auf zwei hintereinander angeordneten Rädern, das ständig ausbalanciert werden musste“. Die Entwicklungsgeschichte des Fahrrads vermittelt die vielfältigen Anstrengungen, ehe ein taugliches Konstrukt existierte (und „Balancierangst“auf den frühen „Knochenschüttlern“überwunden war). Ein Aufsatz widmet sich dem Raddiebstahl in der unmittelbaren Nachkriegszeit, ein anderer dem frühen Radsport bis 1900. Am Beispiel von Freiburg/Breisgau wird die Politik für eine fahrradfreundliche Stadt geschildert – und wir erkennen, wie viel im Schussental noch getan werden kann. Interessant auch zu erfahren, wie sich das Rad vom elitären Sportgerät hin zum Massenvehikel entwickelte. 1896 etwa wurde in Offenbach der Arbeiter-Radfahrer-Bund „Solidarität“gegründet, der sich radikal zu den Zielen der Arbeiterbewegung bekannte. Auch für die Emanzipation der Frauen leistete das Fahrrad beziehungsweise dessen Nutzung durch Radlerinnen wertvolle Dienste. Und wie sieht das Fahrrad der Zukunft aus? Auch das lässt sich in dem abwechslungsreich gestalteten Katalog nachlesen, der viele der Mannheimer Exponate in großen Fotos zeigt – vom Damensafety über das Bonanza-Modell zum schicken E-Bike. Diese Basislektüre ließe sich in viele Richtungen fortführen. Eine reizvolle ergibt sich für die Denker unter den Fahrradspezialisten: „Die Philosophie des Radfahrens“heißt ein Taschenbuch im Suhrkamp Verlag. Völlig bekloppt jetzt die Pedalritter? Nun: Die Verklärungskunst der Autofahrer beherrschen Radler zugunsten ihrer Disziplin allemal. Und moralisch sind sie ja ohnehin im Vorteil. So lernen wir in dem hübsch gestalteten Bändchen „das Fahrrad als Versprechen einer humanen Moderne, einer humanen Technik“kennen, „die sich symbiotisch zur Natur verhält“. Interessant auch der Ansatz, „das Fahrrad als Verlängerung des Körpers“zu sehen. „Die Stelle, wo die Reifen die Straße berühren, ist die äußere Membran meines Wesens“, schreibt der dänische Soziologe Stehen Nepper Larsen. Und der Wissenschaftsjournalist Holger Dambeck fühlte sich gar „dem Paradies so nah“, als er in Kopenhagen eine Rushhour auf dem Sattel erlebte. „Die Mobilität des Rades erinnert uns an den alten Traum, frei wie ein Vogel zu sein.“Nix wie los!
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