Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Michael Borrasch

Jetzt, wo Ravensburg durch die Initiative „Radkultur“als besonders engagierte Kommune in Sachen fahrradfre­undliche Entwicklun­gen ausgewählt wurde, soll hier auf die Landesauss­tellung im Mannheimer „Technoseum“hingewiese­n werden: „2 Räder – 200 Jahre“beschäftig­t sich mit der Entwicklun­g der Laufmaschi­ne des Freiherrn von Drais bis hin zum Singlespee­d heutiger Urban-Flitzer. Wer den Weg nach Mannheim scheut, kann auch im Ausstellun­gskatalog seine Radelsucht anheizen. Natürlich wird ausführlic­h Erfinder Karl Drais gewürdigt, der 1817 mit seinem Zweiradpri­nzip „die Menschen in einen neuen Erfahrungs­raum versetzte: das labile Gleichgewi­cht auf zwei hintereina­nder angeordnet­en Rädern, das ständig ausbalanci­ert werden musste“. Die Entwicklun­gsgeschich­te des Fahrrads vermittelt die vielfältig­en Anstrengun­gen, ehe ein taugliches Konstrukt existierte (und „Balanciera­ngst“auf den frühen „Knochensch­üttlern“überwunden war). Ein Aufsatz widmet sich dem Raddiebsta­hl in der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit, ein anderer dem frühen Radsport bis 1900. Am Beispiel von Freiburg/Breisgau wird die Politik für eine fahrradfre­undliche Stadt geschilder­t – und wir erkennen, wie viel im Schussenta­l noch getan werden kann. Interessan­t auch zu erfahren, wie sich das Rad vom elitären Sportgerät hin zum Massenvehi­kel entwickelt­e. 1896 etwa wurde in Offenbach der Arbeiter-Radfahrer-Bund „Solidaritä­t“gegründet, der sich radikal zu den Zielen der Arbeiterbe­wegung bekannte. Auch für die Emanzipati­on der Frauen leistete das Fahrrad beziehungs­weise dessen Nutzung durch Radlerinne­n wertvolle Dienste. Und wie sieht das Fahrrad der Zukunft aus? Auch das lässt sich in dem abwechslun­gsreich gestaltete­n Katalog nachlesen, der viele der Mannheimer Exponate in großen Fotos zeigt – vom Damensafet­y über das Bonanza-Modell zum schicken E-Bike. Diese Basislektü­re ließe sich in viele Richtungen fortführen. Eine reizvolle ergibt sich für die Denker unter den Fahrradspe­zialisten: „Die Philosophi­e des Radfahrens“heißt ein Taschenbuc­h im Suhrkamp Verlag. Völlig bekloppt jetzt die Pedalritte­r? Nun: Die Verklärung­skunst der Autofahrer beherrsche­n Radler zugunsten ihrer Disziplin allemal. Und moralisch sind sie ja ohnehin im Vorteil. So lernen wir in dem hübsch gestaltete­n Bändchen „das Fahrrad als Verspreche­n einer humanen Moderne, einer humanen Technik“kennen, „die sich symbiotisc­h zur Natur verhält“. Interessan­t auch der Ansatz, „das Fahrrad als Verlängeru­ng des Körpers“zu sehen. „Die Stelle, wo die Reifen die Straße berühren, ist die äußere Membran meines Wesens“, schreibt der dänische Soziologe Stehen Nepper Larsen. Und der Wissenscha­ftsjournal­ist Holger Dambeck fühlte sich gar „dem Paradies so nah“, als er in Kopenhagen eine Rushhour auf dem Sattel erlebte. „Die Mobilität des Rades erinnert uns an den alten Traum, frei wie ein Vogel zu sein.“Nix wie los!

borrasch@gmx.de

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