Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Petitionsflut im Rathaus
Kommunen müssen sich immer öfter mit Eingaben und Beschwerden auseinandersetzen
Eingaben beschäftigen die Kommunen immer häufiger und sind teuer.
RAVENSBURG - Im Wochentakt muss sich die Ravensburger Stadtverwaltung derzeit mit Eingaben, Dienstaufsichtsbeschwerden und Petitionen auseinandersetzen. Die Fälle, dass Bürger versuchen, ihre Anliegen auf diese Weise klären zu lassen, häufen sich seit einigen Monaten signifikant, bestätigt auch das Rathaus in Weingarten. Die Kommunen beklagen eine inzwischen hohe personelle Belastung und erhebliche Kosten.
„Alleine im zweiten Halbjahr 2016 gab es bei uns 16 Petitionsfälle“, sagt Alfred Oswald, Sprecher der Stadt Ravensburg. Oswald will die konkreten Beispiele ungern nennen und Namen schon gar nicht, doch sind mehrere Eingaben öffentlich breit diskutiert worden: Freien Zugang zum Flappachbad hatten Bürger in einer Petition an den Landtag (vergeblich) gefordert. Eine andere Gruppe verzögert derzeit die Genehmigung für den Umbau des WLZ-Gebäudes in ein Hotel, weil sie ebenfalls den Petitionsausschuss des Landtags eingeschaltet hat. Und für erhebliche Aufregung sorgt immer noch das beim EU-Parlament vorgetragene Anliegen, den Busverkehr im Schussental europaweit auszuschreiben.
„Haltlose Vorwürfe“Petitionen dieser Art habe es früher „äußerst selten“gegeben, sagt Oswald: „Vielleicht einmal in zwei Jahren.“Bemerkenswert sei, dass es oft um Fragen gehe, die eigentlich mit einem Telefonat erledigt werden könnten. „Die Betroffenen sprechen aber gar nicht mit uns, sondern machen direkt eine Eingabe beim Land.“Alle Eingaben, das sei der Anspruch von Oberbürgermeister Daniel Rapp und zugleich auch die Pflicht der Kommune, würden sorgfältig geprüft. „In fast allen Fällen handelt es sich aber um haltlose Vorwürfe und falsche Behauptungen, die ohne Weiteres entkräftet werden können. Dafür braucht es aber oft aufwendige Verfahren.“
Die Bürokratie, die durch viele Beschwerden in Gang gesetzt wird, ist aus Sicht des Ravensburger Rathauses „unnötig und im Ergebnis für alle Bürger sehr teuer“. Die Ämter müssten immer Zeit in die Bearbeitung der Petitionen investieren. „Diese Fälle haben bisher Kosten in Höhe von 50 000 bis 60 000 Euro verursacht“, sagt Oswald. Ravensburg stehe mit der Landesverwaltung in engem Kontakt, um die Verfahren zu vereinfachen und abzukürzen.
Die Einschätzung Oswalds, dass Beschwerden und Petitionen aus einer sehr überschaubaren Gruppe kommen, teilt man beim Nachbarn in Weingarten. „In letzter Zeit beobachten wir, dass ein kleiner Kreis von Personen regelmäßig versucht, durch Landtagspetitionen seine Anliegen zu klären“, sagt Sprecherin Jasmin Bisanz. „Die Bearbeitung erfordert einen sehr hohen Verwaltungsaufwand. Und alle bisher bearbeiteten Anfragen wurden vom Petitionsausschuss abgelehnt.“
Im Unterschied dazu gebe es viele Anregungen und Beschwerden, über die man mit den Bürgern auf unterschiedliche Weise gut ins Gespräch komme. In der Regel, sagt Jasmin Bisanz, sei das dann auch konstruktiv: „In den meisten Fällen können die Leute eine Entscheidung nachvollziehen, wenn sie die Hintergründe kennen.“An eine Ausnahme erinnert sie sich auch: „Da hat ein Weingartener seinen Unmut über die Müllabfuhr dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er seine Tonne vor dem Sitzungssaal im Rathaus abstellte.“
Ein offenes Ohr für Menschen mit einem konkreten Anliegen hat man auch im Landratsamt, versichert Franz Hirth, der die Stabstelle von Landrat Harald Sievers leitet. Ein zentraler Ansprechpartner kümmert sich um diese Fälle. Das ist Behördenalltag. „Voraussetzung für eine konkrete Hilfe ist natürlich ein konkretes Anliegen. Die Erfahrung zeigt aber, dass es diese konkreten Fälle oftmals gar nicht gibt und dass es nur darum geht, dem Frust ein Ventil zu geben“, sagt Hirth. Oft seien es auch traurige Schicksale, die sich hinter solchen Vorgängen verbergen. „Da kommen Menschen, die irgendwann aus der Bahn geworfen worden sind.“Deutlich mehr zu schaffen machen dem Landratsamt die sogenannten „Reichsbürger“. Deren Zahl habe spürbar zugenommen. Hier verfahre man im Landratsamt strikt nach der Devise: „Wer die Bundesrepublik nicht anerkennt, negiert logischerweise auch die Existenz der Behörden. Ergo können sie selbst auch nicht von einer Institution etwas fordern, die aus ihrer Sicht gar nicht existiert.“
Beleidigungen und Bedrohungen Bei der Staatsanwaltschaft Ravensburg bedeutet die Erfassung und Bearbeitung von Strafanzeigen sowie Eingaben von „Vielschreibern“einen erheblichen Arbeitsaufwand, der zugenommen hat, bestätigt Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl. Teils habe man es mit „überempfindlichen Personen“zu tun, die ein „mehr oder weniger berechtigtes Misstrauen gegenüber Behörden haben“. Andere witterten in „jedem behördlichen Handeln eine Verschwörung“und seien überzeugt davon, dass ihnen generell Unrecht geschieht. Darunter sind auch „Reichsbürger“. Weil Entscheidungen von den Betroffenen nicht akzeptiert würden, setzten sich Verfahren dann oft in Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen fort. „Kettenbrief ähnlich“, beschreibt das Diehl, Beleidigungen und Bedrohungen inklusive.
Notorische Anzeigenerstatter und Briefeschreiber beschäftigen derweil auch die Ravensburger Polizei. Zum größten Teil, sagt Markus Sauter, Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums in Konstanz, seien das psychisch kranke Menschen, die sich in der Hoffnung an die Polizei wenden, dass jemand sie ernst nimmt. Sauters Kollegen haben in ihren Unterlagen zahlreiche Schreiben über schädliche Radiostrahlungen, darüber, dass Hausnummern falsch angebracht seien, die Namen an den Briefkästen nicht mit den Bewohnern übereinstimmten oder am Fahrradständer am Bahnhof nur Schrottfahrräder stünden – fein säuberlich aufgelistet und beschrieben jedes einzelne.
Und auch wenn die Beamten manchmal schmunzeln müssen, die Mitteilungen werden allesamt überprüft, sagt Sauter.