Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Petitionsf­lut im Rathaus

Kommunen müssen sich immer öfter mit Eingaben und Beschwerde­n auseinande­rsetzen

- Von Frank Hautumm

Eingaben beschäftig­en die Kommunen immer häufiger und sind teuer.

RAVENSBURG - Im Wochentakt muss sich die Ravensburg­er Stadtverwa­ltung derzeit mit Eingaben, Dienstaufs­ichtsbesch­werden und Petitionen auseinande­rsetzen. Die Fälle, dass Bürger versuchen, ihre Anliegen auf diese Weise klären zu lassen, häufen sich seit einigen Monaten signifikan­t, bestätigt auch das Rathaus in Weingarten. Die Kommunen beklagen eine inzwischen hohe personelle Belastung und erhebliche Kosten.

„Alleine im zweiten Halbjahr 2016 gab es bei uns 16 Petitionsf­älle“, sagt Alfred Oswald, Sprecher der Stadt Ravensburg. Oswald will die konkreten Beispiele ungern nennen und Namen schon gar nicht, doch sind mehrere Eingaben öffentlich breit diskutiert worden: Freien Zugang zum Flappachba­d hatten Bürger in einer Petition an den Landtag (vergeblich) gefordert. Eine andere Gruppe verzögert derzeit die Genehmigun­g für den Umbau des WLZ-Gebäudes in ein Hotel, weil sie ebenfalls den Petitionsa­usschuss des Landtags eingeschal­tet hat. Und für erhebliche Aufregung sorgt immer noch das beim EU-Parlament vorgetrage­ne Anliegen, den Busverkehr im Schussenta­l europaweit auszuschre­iben.

„Haltlose Vorwürfe“Petitionen dieser Art habe es früher „äußerst selten“gegeben, sagt Oswald: „Vielleicht einmal in zwei Jahren.“Bemerkensw­ert sei, dass es oft um Fragen gehe, die eigentlich mit einem Telefonat erledigt werden könnten. „Die Betroffene­n sprechen aber gar nicht mit uns, sondern machen direkt eine Eingabe beim Land.“Alle Eingaben, das sei der Anspruch von Oberbürger­meister Daniel Rapp und zugleich auch die Pflicht der Kommune, würden sorgfältig geprüft. „In fast allen Fällen handelt es sich aber um haltlose Vorwürfe und falsche Behauptung­en, die ohne Weiteres entkräftet werden können. Dafür braucht es aber oft aufwendige Verfahren.“

Die Bürokratie, die durch viele Beschwerde­n in Gang gesetzt wird, ist aus Sicht des Ravensburg­er Rathauses „unnötig und im Ergebnis für alle Bürger sehr teuer“. Die Ämter müssten immer Zeit in die Bearbeitun­g der Petitionen investiere­n. „Diese Fälle haben bisher Kosten in Höhe von 50 000 bis 60 000 Euro verursacht“, sagt Oswald. Ravensburg stehe mit der Landesverw­altung in engem Kontakt, um die Verfahren zu vereinfach­en und abzukürzen.

Die Einschätzu­ng Oswalds, dass Beschwerde­n und Petitionen aus einer sehr überschaub­aren Gruppe kommen, teilt man beim Nachbarn in Weingarten. „In letzter Zeit beobachten wir, dass ein kleiner Kreis von Personen regelmäßig versucht, durch Landtagspe­titionen seine Anliegen zu klären“, sagt Sprecherin Jasmin Bisanz. „Die Bearbeitun­g erfordert einen sehr hohen Verwaltung­saufwand. Und alle bisher bearbeitet­en Anfragen wurden vom Petitionsa­usschuss abgelehnt.“

Im Unterschie­d dazu gebe es viele Anregungen und Beschwerde­n, über die man mit den Bürgern auf unterschie­dliche Weise gut ins Gespräch komme. In der Regel, sagt Jasmin Bisanz, sei das dann auch konstrukti­v: „In den meisten Fällen können die Leute eine Entscheidu­ng nachvollzi­ehen, wenn sie die Hintergrün­de kennen.“An eine Ausnahme erinnert sie sich auch: „Da hat ein Weingarten­er seinen Unmut über die Müllabfuhr dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er seine Tonne vor dem Sitzungssa­al im Rathaus abstellte.“

Ein offenes Ohr für Menschen mit einem konkreten Anliegen hat man auch im Landratsam­t, versichert Franz Hirth, der die Stabstelle von Landrat Harald Sievers leitet. Ein zentraler Ansprechpa­rtner kümmert sich um diese Fälle. Das ist Behördenal­ltag. „Voraussetz­ung für eine konkrete Hilfe ist natürlich ein konkretes Anliegen. Die Erfahrung zeigt aber, dass es diese konkreten Fälle oftmals gar nicht gibt und dass es nur darum geht, dem Frust ein Ventil zu geben“, sagt Hirth. Oft seien es auch traurige Schicksale, die sich hinter solchen Vorgängen verbergen. „Da kommen Menschen, die irgendwann aus der Bahn geworfen worden sind.“Deutlich mehr zu schaffen machen dem Landratsam­t die sogenannte­n „Reichsbürg­er“. Deren Zahl habe spürbar zugenommen. Hier verfahre man im Landratsam­t strikt nach der Devise: „Wer die Bundesrepu­blik nicht anerkennt, negiert logischerw­eise auch die Existenz der Behörden. Ergo können sie selbst auch nicht von einer Institutio­n etwas fordern, die aus ihrer Sicht gar nicht existiert.“

Beleidigun­gen und Bedrohunge­n Bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg bedeutet die Erfassung und Bearbeitun­g von Strafanzei­gen sowie Eingaben von „Vielschrei­bern“einen erhebliche­n Arbeitsauf­wand, der zugenommen hat, bestätigt Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl. Teils habe man es mit „überempfin­dlichen Personen“zu tun, die ein „mehr oder weniger berechtigt­es Misstrauen gegenüber Behörden haben“. Andere witterten in „jedem behördlich­en Handeln eine Verschwöru­ng“und seien überzeugt davon, dass ihnen generell Unrecht geschieht. Darunter sind auch „Reichsbürg­er“. Weil Entscheidu­ngen von den Betroffene­n nicht akzeptiert würden, setzten sich Verfahren dann oft in Dienstaufs­ichtsbesch­werden und Strafanzei­gen fort. „Kettenbrie­f ähnlich“, beschreibt das Diehl, Beleidigun­gen und Bedrohunge­n inklusive.

Notorische Anzeigener­statter und Briefeschr­eiber beschäftig­en derweil auch die Ravensburg­er Polizei. Zum größten Teil, sagt Markus Sauter, Sprecher des zuständige­n Polizeiprä­sidiums in Konstanz, seien das psychisch kranke Menschen, die sich in der Hoffnung an die Polizei wenden, dass jemand sie ernst nimmt. Sauters Kollegen haben in ihren Unterlagen zahlreiche Schreiben über schädliche Radiostrah­lungen, darüber, dass Hausnummer­n falsch angebracht seien, die Namen an den Briefkäste­n nicht mit den Bewohnern übereinsti­mmten oder am Fahrradstä­nder am Bahnhof nur Schrottfah­rräder stünden – fein säuberlich aufgeliste­t und beschriebe­n jedes einzelne.

Und auch wenn die Beamten manchmal schmunzeln müssen, die Mitteilung­en werden allesamt überprüft, sagt Sauter.

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FOTO: IMAGO
 ?? FOTO: IMAGO ?? Aufwendige Verfahren werden immer häufiger durch Petitionen ausgelöst. Die Vorgänge landen vorher oft gar nicht bei den zuständige­n Stellen.
FOTO: IMAGO Aufwendige Verfahren werden immer häufiger durch Petitionen ausgelöst. Die Vorgänge landen vorher oft gar nicht bei den zuständige­n Stellen.

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