Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Drei Versionen der gespaltenen Persönlichkeit
Das Landestheater Schwaben hat im Kuko Henrik Ibsens „Peer Gynt“aufgeführt
WEINGARTEN - Die schlechte Nachricht vorweg: Nicht alle Zuschauer hielten durch bis zum Schluss. Denn Henrik Ibsens 1867 entstandener „Peer Gynt“, vom Autor selbst ein dramatisches Gedicht genannt, hat es nicht nur sprachlich in sich. Das Landestheater Schwaben hatte im September 2016 die von Christian Morgenstern übersetzte Fassung unter der Regie seiner Intendantin Kathrin Mädler mit einem neunköpfigen Ensemble in Szene gesetzt. Dazu wurde für die über zwei Stunden dauernde Aufführung etwas Text eingedampft oder zwangsmodernisiert. Ein paar Schlenker ins Schwäbische wie zum Beispiel „Ich lauf' mal schnell Zigaretten holen“gehören auch dazu.
Das statische Bühnenbild (Mareike Delaquis-Porschka) besteht aus einer abgesackten Liftgondel und vielen schwarzen gefüllten Müllsäcken; ein raumhoher Mast mit Kletterhilfe dient mal als Lichterkettenhalter, mal als Poledance-Stange oder als Schiffsmast. Alles ist Schwarz oder Weiß oder Grau auf dieser Bühne, die Requisiten, die grell beleuchteten Personen und die Kostüme. Es ist eine Welt ohne Farbe, auf die gegen Ende beharrlich der Schnee fällt. Und zugleich gar keine Welt, höchstens eine Anspielung auf eine abgewrackte Realität. So bekommt das Auge von der Inszenierung weniger Nahrung als das Ohr, das den im Deutschen häufig gezwungen wirkenden Reimen in altertümlicher Sprache oft nicht richtig folgen kann. Das liegt vielleicht auch an einem Einfall der Regie – nämlich einem enervierenden Dauerton, der dem Geräusch einer Liftstation ähnelt und der fast dem ganzen Stück unterlegt ist. Keine gute Idee, die eher eine Aushöhlung der Konzentration zufolge hat, zumindest wenn man nicht schwerhörig ist.
Infantile Muttersöhnchen Die Idee, den zerrissenen Charakter „Peer Gynt“von drei Schauspielern (allen voran Sandro Šutalo, dazu der stimmgewaltige Jens Schnarre und Aurel Bereuter) spielen zu lassen, dient nur einige Male dem besseren Textverständnis. Denn dieses infantile Muttersöhnchen, dieser verzweifelte Träumer, der Maulheld, Nichtstuer, aggressive Liebende, der weinerliche Säufer, Frauenheld und Frauenhasser, der aus den Texten spricht, ist und bleibt trotzdem eine einzige Persönlichkeit. Dass er es allein nicht schafft, seiner eigenen Hölle zu entrinnen und nicht durch noch so viel Geld, Zerstreuung und Lust die inneren Dämonen besiegen kann, sondern die Hilfe der alles verzeihenden und liebenden Solvejg (Miriam Haltmeier) benötigt, ist die kurze Story dieses Bühnenpoems.
Es spielt auf dem Hof von Peers Mutter Aase (Anke Fonferek) in Norwegen, in einer Bar in Marokko, in einem Irrenhaus in Ägypten und wieder in Norwegen. Peers Wandlung vom Nichtstuer und Aufschneider in einen Frauen- und Waffenhändler, der durch Betrug allen Reichtum verliert und als reuevoller Sünder völlig verarmt nach Norwegen zurückkehrt, findet in dem Bühnenteam neben dem Protagonisten starke Bilder, vor allem in den Figuren von Aase, Solvejg und der von Peer missbrauchten Braut Ingrid (Elisabeth Hütter), die auch die Trollprinzessin und die Rolle der diebischen Anitra mit derselben Körperpräsenz spielt.
Zwiebelgeruch im Saal Zudem wirken einzelne Szenen wie zum Beispiel Aases Tod oder auch Peers Begegnung mit dem Tod, dem Knopfgießer (wiederum Anke Fonferek) in ihrem reinen Theaterspiel sehr anrührend. Auch Solvejgs Gesangsstimme berührt in ihrer Wärme (Musik Cico Beck) und als die drei Peers drei große Gemüsezwiebeln schälen – die Metapher für Peers Charakter, der sich von seinen vielen Schichten bis zum Kern befreien muss – dringt der Geruch bis weit in den Saal hinein. All dies soll die Zuschauer hineinziehen in den Text, der ein einziges Ringen um das menschliche Selbst darstellt. Aber indem die Inszenierung immer wieder vom Text eher ablenkte als ihn verdichtete, wurde für viele Zuschauer der Abend lang. Der Beifall für die gute schauspielerische Leistung war trotzdem herzlich.