Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von der Leyens Gratwanderung in München
Bei der Sicherheitskonferenz mahnt und umschmeichelt die Ministerin die Amerikaner
MÜNCHEN - Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat bei der 53. Münchner Sicherheitskonferenz die Anstrengungen europäischer Staaten zur Stärkung der Nato herausgestrichen. In ihrer Eröffnungsrede am Freitag erklärte die CDU-Politikerin an ihren amerikanischen Amtskollegen James Mattis gerichtet, wie die Bundeswehr etwa mit der Armee Frankreichs in Mali stärker zu kooperieren versuche oder mit jenen der Niederlande und Rumäniens.
Die Sicherheitskonferenz mit mehr als 30 Staats- und Regierungschefs und gut 75 Außen- und Verteidigungsministern geht seit Freitagnachmittag auch der Frage nach, welche Erwartungen die neue US-Regierung unter Präsident Donald Trump gegenüber Europa und der Welt hegt.
Von der Leyen warnte die Amerikaner. „Die Last gemeinsam zu tragen, heißt jederzeit für einander einzustehen, und zwar ohne Wenn und Aber. Das schließt Alleingänge aus – sowohl den Alleingang des Vorwegpreschens, aber auch den Alleingang des Sich-Wegduckens“, sagte sie. Die selbstkritisch wirkenden Aussagen der Ministerin schienen aber auch dazu gedacht, „den lieben Jim“, wie sie US-Verteidigungsminister James Mattis nannte, gewogen zu stimmen. Ihre Rede, mit Kritik zum Einreisestopp für einige muslimische Länder, glich einer Gratwanderung zwischen Ermahnung und Schmeichelei.
Der ehemalige General Mattis ließ dagegen in seiner mit Spannung erwarteten Antwort auf die Ministerin viele Fragen offen. Seine Erklärung, die Nato sei immer noch das „wichtigste Bollwerk gegen Instabilität und Gewalt“, konnte die Sorge um die Zukunft des transatlantischen Verteidigungsbündnisses zunächst nicht zerstreuen.
Heute dürfte die Debatte ihren Höhepunkt erreichen: In München treffen erstmals Mike Pence und Angela Merkel (CDU) aufeinander – zu einer Art Rededuell: Zunächst spricht die Kanzlerin, danach möchte der Vize-Präsident die Schwerpunkte der US-Außenpolitik unter Trump darlegen. Anschließend wollen Merkel und Pence am Rande der Konferenz zu einem 45-minütigen Gespräch hinter verschlossenen Türen zusammenkommen.
MÜNCHEN - Selbstbewusstsein und europäische Einigkeit auf der Bühne hatte Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der 53. Münchner Sicherheitskonferenz, schon im Vorfeld gefordert. Man müsse den Amerikanern zeigen, dass Europa nicht am Ende sei, sondern lebendig. Aber jene Trump-Amerikaner, die der Eröffnung der Sicherheitskonferenz am Freitag beiwohnten, erlebten ein Europa, das mit sich selbst und seinen Fragen versucht klarzukommen.
In den letzten Jahren hatten viele europäische und amerikanische Politiker, Militärs und Wissenschaftler, sich immer gefragt, wie Russland wohl an der „Siko“, wie sie im Deutschen genannt wird, auftreten würde. Nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps, war die große Frage, wie diese Fremden, die doch eigentlich aus einer befreundeten und verbündeten Nation kommen, sich wohl darstellen würden. Am Freitag gab es dazu wenig klare Antworten.
Staats- und Regierungschefs, von der Präsidentin Estlands bis zum neuen UN-Generalsekretär, werden bis zum Sonntag mit Verteidigungsund Außenministern, mit Journalisten, Nachwuchspolitikern und Wirtschaftsvertretern über nationale und internationale Sicherheit, Flüchtlingskrise und hybride Kriegsführung diskutieren.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eröffnete die Konferenz. Wenn man ihr zuhörte, wie sie ihrem amerikanischen Amtskollegen James Mattis Recht gab, dass die Nato sich ändern müsse, dass man sich mehr engagieren und auch Deutschland sich mehr einbringen wolle, konnten Beobachter sich fragen, warum denn der deutsche Einsatz in Afghanistan oder im Kosovo oder die drei Jahre alte Forderung von Bundespräsident Joachim Gauck nach einem Ende des deutschen Abseitsstehens nicht stärker herausgestrichen wurden. Von der Leyen war hörbar bemüht, die Amerikaner zu beschwichtigen und die Forderung nach einer deutlichen Steigerung der Verteidigungsausgaben zu relativieren. Sie sprach streckenweise wie die Mitarbeiterin eines Chefs, den man ja nicht weiter verärgern will. Allerdings erklärte sie auch unmissverständlich, dass die Welt ein global engagiertes Amerika dringend brauche.
Wie schwierig es ist, allein in Europa Einigkeit über grundlegende Fragen der Nationalstaaten zu erzielen, zeigte ein offener, teils aggressiver Schlagabtausch im Anschluss an die wenig engagierte Rede des amerikanischen Verteidigungsministers. Polens Außenminister Witold Waszczykowski erklärte, man habe sich lange von den westlichen Natound EU-Staaten als Mitglied zweiter Klasse behandelt gefühlt. Erst mit der wachsenden Bedrohung durch russische Truppenkonzentrationen und der Stationierung deutscher und amerikanischer Soldaten im Baltikum, habe sich das geändert. Waszczykowski sagte aber auch, dass der neben ihm sitzende stellvertretende EU-Kommissionspräsident, der Niederländer Frans Timmermans, von Europa so rede, als betrachte er es aus dem Elfenbeinturm. Der Pole hatte sich, wie seine Regierung, durch Ermahnungen aus Brüssel, man möge bitte auch in Polen die Verfassung achten, respektlos behandelt gefühlt.
Vermittelnd in diesen Disput griff Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein. Man könne in Europa als Nationalstaat doch nur dann gewinnen, wenn man sich europäisch engagiere und es sei offensichtlich, dass unterschiedliche Mitgliedsländer der EU eben auch verschiedene Ansichten darüber hätten, was Europa bedeute. Das müsse man respektieren. Schäuble plädierte sehr engagiert für eine Einbindung auch jener europäischen Nachbarn, die nicht zur EU gehören.
Bei der Diskussion über Europa schien das Gespenst des Populismus im Saal zu schweben. Oder, fragten sich Beobachter, saß es vielleicht sogar im Saal?
Der irische Rocksänger Bono von U2 gab am Freitag die Rolle des Pragmatikers: mit vor Aufregung brüchiger Stimme dankte er den Militärs, die so lange die Freiheit des Westens garantiert hätten. Aber die Sicherheit, über die jetzt diskutiert werde, sei, so der Ire, nur mit Entwicklung zu haben. „Vorbeugung ist so viel kostengünstiger als Intervention“, appellierte er an die anwesenden Militärs und Politiker.