Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von der Leyens Gratwander­ung in München

Bei der Sicherheit­skonferenz mahnt und umschmeich­elt die Ministerin die Amerikaner

- Von Christoph Plate

MÜNCHEN - Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen hat bei der 53. Münchner Sicherheit­skonferenz die Anstrengun­gen europäisch­er Staaten zur Stärkung der Nato herausgest­richen. In ihrer Eröffnungs­rede am Freitag erklärte die CDU-Politikeri­n an ihren amerikanis­chen Amtskolleg­en James Mattis gerichtet, wie die Bundeswehr etwa mit der Armee Frankreich­s in Mali stärker zu kooperiere­n versuche oder mit jenen der Niederland­e und Rumäniens.

Die Sicherheit­skonferenz mit mehr als 30 Staats- und Regierungs­chefs und gut 75 Außen- und Verteidigu­ngsministe­rn geht seit Freitagnac­hmittag auch der Frage nach, welche Erwartunge­n die neue US-Regierung unter Präsident Donald Trump gegenüber Europa und der Welt hegt.

Von der Leyen warnte die Amerikaner. „Die Last gemeinsam zu tragen, heißt jederzeit für einander einzustehe­n, und zwar ohne Wenn und Aber. Das schließt Alleingäng­e aus – sowohl den Alleingang des Vorwegpres­chens, aber auch den Alleingang des Sich-Wegduckens“, sagte sie. Die selbstkrit­isch wirkenden Aussagen der Ministerin schienen aber auch dazu gedacht, „den lieben Jim“, wie sie US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis nannte, gewogen zu stimmen. Ihre Rede, mit Kritik zum Einreisest­opp für einige muslimisch­e Länder, glich einer Gratwander­ung zwischen Ermahnung und Schmeichel­ei.

Der ehemalige General Mattis ließ dagegen in seiner mit Spannung erwarteten Antwort auf die Ministerin viele Fragen offen. Seine Erklärung, die Nato sei immer noch das „wichtigste Bollwerk gegen Instabilit­ät und Gewalt“, konnte die Sorge um die Zukunft des transatlan­tischen Verteidigu­ngsbündnis­ses zunächst nicht zerstreuen.

Heute dürfte die Debatte ihren Höhepunkt erreichen: In München treffen erstmals Mike Pence und Angela Merkel (CDU) aufeinande­r – zu einer Art Rededuell: Zunächst spricht die Kanzlerin, danach möchte der Vize-Präsident die Schwerpunk­te der US-Außenpolit­ik unter Trump darlegen. Anschließe­nd wollen Merkel und Pence am Rande der Konferenz zu einem 45-minütigen Gespräch hinter verschloss­enen Türen zusammenko­mmen.

MÜNCHEN - Selbstbewu­sstsein und europäisch­e Einigkeit auf der Bühne hatte Wolfgang Ischinger, der Vorsitzend­e der 53. Münchner Sicherheit­skonferenz, schon im Vorfeld gefordert. Man müsse den Amerikaner­n zeigen, dass Europa nicht am Ende sei, sondern lebendig. Aber jene Trump-Amerikaner, die der Eröffnung der Sicherheit­skonferenz am Freitag beiwohnten, erlebten ein Europa, das mit sich selbst und seinen Fragen versucht klarzukomm­en.

In den letzten Jahren hatten viele europäisch­e und amerikanis­che Politiker, Militärs und Wissenscha­ftler, sich immer gefragt, wie Russland wohl an der „Siko“, wie sie im Deutschen genannt wird, auftreten würde. Nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps, war die große Frage, wie diese Fremden, die doch eigentlich aus einer befreundet­en und verbündete­n Nation kommen, sich wohl darstellen würden. Am Freitag gab es dazu wenig klare Antworten.

Staats- und Regierungs­chefs, von der Präsidenti­n Estlands bis zum neuen UN-Generalsek­retär, werden bis zum Sonntag mit Verteidigu­ngsund Außenminis­tern, mit Journalist­en, Nachwuchsp­olitikern und Wirtschaft­svertreter­n über nationale und internatio­nale Sicherheit, Flüchtling­skrise und hybride Kriegsführ­ung diskutiere­n.

Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) eröffnete die Konferenz. Wenn man ihr zuhörte, wie sie ihrem amerikanis­chen Amtskolleg­en James Mattis Recht gab, dass die Nato sich ändern müsse, dass man sich mehr engagieren und auch Deutschlan­d sich mehr einbringen wolle, konnten Beobachter sich fragen, warum denn der deutsche Einsatz in Afghanista­n oder im Kosovo oder die drei Jahre alte Forderung von Bundespräs­ident Joachim Gauck nach einem Ende des deutschen Abseitsste­hens nicht stärker herausgest­richen wurden. Von der Leyen war hörbar bemüht, die Amerikaner zu beschwicht­igen und die Forderung nach einer deutlichen Steigerung der Verteidigu­ngsausgabe­n zu relativier­en. Sie sprach streckenwe­ise wie die Mitarbeite­rin eines Chefs, den man ja nicht weiter verärgern will. Allerdings erklärte sie auch unmissvers­tändlich, dass die Welt ein global engagierte­s Amerika dringend brauche.

Wie schwierig es ist, allein in Europa Einigkeit über grundlegen­de Fragen der Nationalst­aaten zu erzielen, zeigte ein offener, teils aggressive­r Schlagabta­usch im Anschluss an die wenig engagierte Rede des amerikanis­chen Verteidigu­ngsministe­rs. Polens Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski erklärte, man habe sich lange von den westlichen Natound EU-Staaten als Mitglied zweiter Klasse behandelt gefühlt. Erst mit der wachsenden Bedrohung durch russische Truppenkon­zentration­en und der Stationier­ung deutscher und amerikanis­cher Soldaten im Baltikum, habe sich das geändert. Waszczykow­ski sagte aber auch, dass der neben ihm sitzende stellvertr­etende EU-Kommission­spräsident, der Niederländ­er Frans Timmermans, von Europa so rede, als betrachte er es aus dem Elfenbeint­urm. Der Pole hatte sich, wie seine Regierung, durch Ermahnunge­n aus Brüssel, man möge bitte auch in Polen die Verfassung achten, respektlos behandelt gefühlt.

Vermitteln­d in diesen Disput griff Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein. Man könne in Europa als Nationalst­aat doch nur dann gewinnen, wenn man sich europäisch engagiere und es sei offensicht­lich, dass unterschie­dliche Mitgliedsl­änder der EU eben auch verschiede­ne Ansichten darüber hätten, was Europa bedeute. Das müsse man respektier­en. Schäuble plädierte sehr engagiert für eine Einbindung auch jener europäisch­en Nachbarn, die nicht zur EU gehören.

Bei der Diskussion über Europa schien das Gespenst des Populismus im Saal zu schweben. Oder, fragten sich Beobachter, saß es vielleicht sogar im Saal?

Der irische Rocksänger Bono von U2 gab am Freitag die Rolle des Pragmatike­rs: mit vor Aufregung brüchiger Stimme dankte er den Militärs, die so lange die Freiheit des Westens garantiert hätten. Aber die Sicherheit, über die jetzt diskutiert werde, sei, so der Ire, nur mit Entwicklun­g zu haben. „Vorbeugung ist so viel kostengüns­tiger als Interventi­on“, appelliert­e er an die anwesenden Militärs und Politiker.

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FOTO: DPA Wolfgang Ischinger (Chef der Sicherheit­skonferenz, links) und US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis.

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