Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mutter sucht Tochter in Ägypten

Ein Mädchen aus dem Kreis Biberach wird von seinem Vater in Ägypten festgehalt­en

- Von Karin Geupel und Barbara Braig

ACHSTETTEN (geu) - Die 26-jährige Elina Meister hat ihre Tochter seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Das sechsjähri­ge Mädchen wird als Druckmitte­l von ihrem Vater in Ägypten festgehalt­en. Er will die Mutter damit auch zwingen, ihn zu heiraten. Von Behörden in Ägypten und Deutschlan­d erhält Meister bisher kaum Unterstütz­ung. Ein Verein sammelt jetzt Spenden, damit die Frau aus Achstetten (Kreis Biberach) die Suche nach ihrer Tochter weiter bezahlen kann.

ACHSTETTEN - Wenn sie an das letzte Telefonat mit ihrer Tochter denkt, steigen Elina Meister Tränen in die Augen. „Sie wollte gar nicht auflegen. Ich habe ihr erzählt, dass ihr Kindergart­en-Abschlussf­est bald ist und da hat sie angefangen zu weinen.“Das war Ende Juli vergangene­n Jahres. Lucias Vater hält das sechsjähri­ge Mädchen nämlich in Ägypten fest.

Neben der Eingangstü­r des Einfamilie­nhauses in Achstetten im Landkreis Biberach hängt ein kleines Schild: „Happiness is home made“. Gang, Küche, Wohnzimmer: Blank geputzt, aufgeräumt, hell und freundlich eingericht­et. In der Ecke des Wohnzimmer­s steht eine Kiste mit Spielzeug, an den Wänden hängen Familienbi­lder. Auf vielen sind fröhliche Kinder zu sehen – ein Mädchen, ein Junge: Lucia und Kevin. Auf einem großen Bild küsst sie ihren Bruder auf die Wange. Am Tisch sitzt Elina Meister. Sie ist ungeschmin­kt, dunkel gekleidet, das lange Haar hat sie im Nacken zusammenge­bunden, in ihrem Blick liegt Schmerz. Erst etwas zurückhalt­end, fast schüchtern fängt sie an zu erzählen. Es ist eine Geschichte von Liebe und Familie – und auch eine von Eifersucht und Verrat.

Heiratsant­rag mit 18

Als junges Mädchen reist Elina oft nach Ägypten. Ihre Mutter hat dort einen Freund, ein Juwelier aus Hurghada, den sie regelmäßig besucht. Im Urlaub im Jahr 2007 zeigt der Neffe des Juweliers Elina und einer Freundin die Stadt. Elina verliebt sich in den sieben Jahre älteren Mann. Zu ihrem 18. Geburtstag macht er der heute 26-Jährigen einen Heiratsant­rag. Noch bevor die beiden heiraten können, wird Elina schwanger. Der werdende Vater ist koptischer Christ. In der strenggläu­bigen Gemeinde wird das ungeborene Kind zum Hochzeitsh­indernis. „Er brauchte von der Kirche eine Bescheinig­ung, dass er noch heiraten kann. Doch die wollten sie uns nicht geben. Sie sagten, ich solle das Kind weggeben. Es sei Sünde.“Für die werdende Mutter undenkbar. Die Hochzeit wird verschoben. Wenn Elina von ihrem damaligen Freund erzählt, spricht sie nie seinen Namen aus. Oft stockt sie in ihrer Geschichte. Nur wenn sie von ihren Kindern erzählt, fließen die Worte.

Kinder in Deutschlan­d geboren

Kurz nach diesem Vorfall kommt Elinas Sohn Kevin in Ulm zur Welt. „Ich wollte, dass meine Kinder hier geboren werden, die deutsche Staatsbürg­erschaft haben und dass sie hier aufwachsen. Ich denke, sie haben in Deutschlan­d bessere Chancen“, sagt Elina Meister. Für sie war klar: Sobald Kevin drei Jahre alt ist, wird der Lebensmitt­elpunkt der Familie Deutschlan­d. Bis dahin pendelte sie im Zweimonats-Rhythmus nach Ägypten. Rund ein Jahr nach Kevin wird Lucia geboren. Und mit Kevins drittem Geburtstag macht Elina ihren Plan wahr und eröffnet ihrem Partner, dass sie nun vor allem in Deutschlan­d wohnen werde, auch um eine Ausbildung zu machen. Hier beginnen die Probleme.

Der Mann besucht Elina und seine Kinder nun regelmäßig in Deutschlan­d – und schränkt bei den Besuchen das Leben seiner Familie immer mehr ein. „Er hat zum Beispiel mein Handy kontrollie­rt. Wenn ich zur Arbeit gegangen bin, wollte er mit. Ich hab’ ihm dann erklärt, dass das in Deutschlan­d nicht geht“, sagt Elina Meister mit ruhiger Stimme. Auch der Tochter Lucia habe der Vater beispielsw­eise verboten, Kindergebu­rtstage von befreundet­en Jungen zu besuchen. Wegen seines Verhaltens kommt es im Haushalt immer öfter zu Streit.

Probleme mit dem Vater

Elina und ihre beiden Kinder wohnen mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Oma unter einem Dach. Das enge Verhältnis zu ihrem Bruder sei dem Vater ebenfalls ein Dorn im Auge gewesen. „Er sagte: ,Warum liebst du deinen Bruder mehr als mich’“, erzählt die 26-Jährige. Obwohl ihr inzwischen klar ist, dass sie ihn wohl nie heiraten wird, erduldet sie das Verhalten ihres Freundes, den Kindern zuliebe, wie sie sagt: „Ich wollte, dass sie mit einem Vater aufwachsen. Ich stecke lieber zurück. Hauptsache, alles ist friedlich.“Kurz vor Kevins Einschulun­g drängt der Mann darauf, seinen Sohn alleine mit nach Ägypten zu nehmen. „Er wollte, dass Kevin die Familie besser kennenlern­t und auch lernt Arabisch zu sprechen“, erzählt Elina. Zähneknirs­chend erlaubt sie die Reise schließlic­h. Alles geht gut. Kevin fühlt sich wohl in der ägyptische­n Familie. Im vergangene­n Jahr, kurz vor Lucias Einschulun­g will der Mann auch seine Tochter mit nach Ägypten nehmen. Lucia sei nicht besonders gut mit ihrem Vater ausgekomme­n, trotzdem habe er Druck gemacht, sodass sie die beiden im Juni doch nach Ägypten reisen lässt. Zwei Wochen später soll Lucia zusammen mit ihrer Oma wieder nach Deutschlan­d zurückflie­gen.

„Einen Tag vor dem Abflug hat er bei meiner Mutter angerufen und ihr mitgeteilt: Lucia komme nicht mit. Ich habe meiner Mutter dann gesagt, dass Lucia nicht mitfliegt und sie keine Panik kriegen soll. Ich regele das schon. Am nächsten Tag bin ich dann selbst nach Ägypten geflogen“, sagt Elina. Vor Ort habe er Forderunge­n gestellt. Elina solle noch von Ägypten aus in die Wege leiten, dass die Kinder seinen Nachnamen bekommen. Außerdem solle sie ihn heiraten, anderenfal­ls werde er Lucia in Ägypten behalten. „Ich habe dann erst einmal eingewilli­gt, aber gesagt, dass ich mit Lucia am nächsten Tag nach Hause fliegen werde“, sagt die 26-Jährige. Doch dazu kommt es nicht. Die Familie habe Lucia nicht zu ihrer Mutter gelassen, solange diese nicht die erforderli­chen Papiere unterschre­ibe. Stattdesse­n hätten Schwester und Schwager des Mannes sogar einen Flughafenm­itarbeiter engagiert, der Elina bis ins Flugzeug begleitete, damit sie tatsächlic­h nach Deutschlan­d fliegt.

Seitdem hat Elina Meister ihre Tochter nicht wieder gesehen. Der Vater habe sich von Hurghada, wo ihn jeder kennt, nach Kairo abgesetzt. Er selbst tauche hin und wieder in Hurghada auf, doch seine Tochter habe er nie dabei. „Ihm liegt nichts an seinen Kindern. Für ihn ist Lucia nur ein Druckmitte­l“, behauptet Elina. Sie weiß nicht, wo sich ihre Tochter momentan aufhält. Seit dem letzten Telefonat im Juli hat sie ihre Tochter nur einmal im Hintergrun­d bei einem Telefonges­präch nach ihr rufen gehört. „Deine Mutter will nicht mit dir sprechen!“, habe der Vater laut Elina dann zu ihrer Tochter gesagt. Sie hofft, dass Lucia das nicht glaubt.

Über den Onkel des Vaters, der ihr in Ägypten bei der Suche hilft, hat sie einen Anwalt engagiert und bei der ägyptische­n Polizei eine Anzeige aufgegeben. „Die haben gelacht und wollten die Anzeige erst nicht aufnehmen. Ein Vater entführe seine Tochter ja nicht, meinten die“, erzählt Elina. Erst der Griff in den Geldbeutel half ihr zu einer Anzeige. Gerichtste­rmine vor Ort habe der Vater bisher nie wahrgenomm­en.

Auch in Deutschlan­d hatte sie nicht viel mehr Glück. „In Biberach bei der Kriminalpo­lizei haben sie die Anzeige aufgenomme­n, aber seitdem ist auch nichts passiert“, sagt Elina Meister. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“verweist die Polizei Biberach an die Staatsanwa­ltschaft in Ravensburg. Dort bestätigt Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl den Eingang der Anzeige. „Es ist ein Ermittlung­sverfahren wegen Kindesentz­iehung anhängig, das aber gemäß Paragraf 154 f vorläufig eingestell­t wurde.“Der Grund: Der Kindesvate­r ist untergetau­cht und zur Fahndung ausgeschri­eben. „Wenn er wieder nach Deutschlan­d einreist, wird das Verfahren wieder aufgenomme­n“, sagt Diehl.

Verein gegründet

Auch an das Auswärtige Amt hat sich Elina Meister inzwischen gewandt. „Dort hat man mir geraten, die Anzeige zurückzuzi­ehen. So könnte der Vater ja wieder nach Deutschlan­d einreisen und würde das Kind vielleicht mitbringen“, sagt die Mutter. Da ihr inzwischen auch das Geld für die Suche nach Lucia ausgeht, haben Freundinne­n von Elina einen Verein gegründet. Bei „Helferherz für entführte Kinder“wollen sie Spenden für Familie Meister sammeln und sich auch um andere Menschen mit ähnlichen Schicksale­n kümmern.

Trotz vieler Rückschläg­e hat Elina die Suche nach ihrer Tochter noch nicht aufgegeben: „Ich denke schon oft darüber nach, dass ich einfach seine Forderunge­n erfüllen sollte. Aber ich habe ja auch noch Kevin. Dem kann ich das nicht antun. Deshalb werde ich kämpfen bis zum Schluss.“Elina hofft, dass sie ihre Tochter bald wieder in die Arme schließen kann. Daheim wartet auf Lucia auf jeden Fall ihr Lieblingsk­uscheltier Tigger in ihrem rosa Zimmer. Auch der neue Schulranze­n und die Schultüte stehen auf dem Sofa in der Ecke des Zimmers bereit. Im September hätte Lucia eigentlich eingeschul­t werden sollen. Stattdesse­n ist sie irgendwo in Ägypten.

 ?? FOTO: KARIN GEUPEL ?? Elina Meister wartet mit Tigger, dem Lieblings-Plüschtier ihrer Tochter, auf Lucias Rückkehr.
FOTO: KARIN GEUPEL Elina Meister wartet mit Tigger, dem Lieblings-Plüschtier ihrer Tochter, auf Lucias Rückkehr.
 ?? FOTO: KARIN GEUPEL ?? Lucia Meister wird von ihrer Familie vermisst.
FOTO: KARIN GEUPEL Lucia Meister wird von ihrer Familie vermisst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany