Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein streitbare­r Sozialdemo­krat

Der ehemalige Ulmer Oberbürger­meister Ivo Gönner wird am Samstag 65 Jahre alt – „30 Prozent für die SPD sind realistisc­h“

- Von Ludger Möllers

ULM - In Umfragen fliegt die SPD hoch. Sehr hoch sogar: 31 Prozent in der Forsa-Erhebung, so viel Zustimmung hatte die Partei zuletzt vor fünf Jahren. Martin Schulz wirkt. „Das ist auch richtig so“, sagt Ivo Gönner, „die SPD ist in den vergangene­n Jahren immer unter ihrem wahren Wert aus den Umfragen und vor allem den Wahlen herausgeko­mmen.“Seit einem Jahr genießt der ehemalige Langzeit-Oberbürger­meister (1992 bis 2016) von Ulm seinen Ruhestand, heute wird er 65 Jahre alt.

Mit Interesse und Sympathie betrachtet Gönner, der inzwischen wieder als Rechtsanwa­lt tätig ist, die Sozialdemo­kraten. Seine Parteifreu­nde seit viereinhal­b Jahrzehnte­n. Nie hat er als Ulmer Stadtoberh­aupt seine SPD-Mitgliedsc­haft in den Vordergrun­d gestellt, nie hat Gönner sie geleugnet. Oft ist er gefragt worden, ob er sich vorstellen könne, in die Bundes- oder Landespoli­tik zu wechseln. Immer hat er abgewunken. Und auch im beginnende­n Wahlkampf wird er sich zurückhalt­en: „Mal eine Podiumsdis­kussion, aber nur ausgesucht.“Dass ein Ivo Gönner den Kanzlerkan­didaten Martin Schulz auf dem Münsterpla­tz begrüßt: „Ausgeschlo­ssen.“

Gönner, Sohn eines Laupheimer Apothekers, war erst Jesuitensc­hüler, dann aber baden-württember­gischer Vorsitzend­er der Jungsozial­isten. Und es zog ihn in die Lokalpolit­ik. „Wir wollen miteinande­r reden“, hieß später ein Wahlkampfm­otto des langjährig­en Fraktionsv­orsitzende­n im Ulmer Gemeindera­t. Das Motto blieb auch als OB. Mit klaren Regeln für die Bürger: reden ja, mitreden schon weniger, entscheide­n grundsätzl­ich nicht. Gönner wusste immer, wann der Gemeindera­t, wann er als OB Entscheidu­ngen treffen musste. Aber „miteinande­r reden“geht gerne, bis heute: Wir treffen uns im Museumscaf­é, am Ulmer Rathaus.

Gönner kennt bei aller parteipoli­tischen Zurückhalt­ung seine Genossen aus vielen Gesprächen. Als langjährig­er Präsident des Städtetage­s hat er zahlreiche Kontakte knüpfen können. Auch Martin Schulz, den neuen Hoffnungst­räger der SPD, schätzt er: „Er ist ein gescheiter Kopf, besetzt Themen emotional positiv.“Schulz, der auch mal Bürgermeis­ter der Kleinstadt Würselen war, bringe aus dieser Tätigkeit die richtigen Erfahrunge­n mit, aus den Gesprächen mit den Menschen wisse er, was sie bewegt: „Er ist Kommunalpo­litiker, also ist er bestens geeignet“, empfiehlt Gönner den Rheinlände­r. Und fordert: „Schulz muss sich jetzt mit einem Fundament versehen, er muss die eigene Geschichte schreiben.“

Mit dem Spitzenkan­didaten allein aber sei die Wahl nicht zu gewinnen, der Höhenflug werde auf diesem Niveau nicht anhalten, warnt Gönner: „Es sind noch sieben Monate bis zur Wahl, die Partei muss sich jetzt stabilisie­ren.“Und wie soll die Partei sich positionie­ren? „Die SPD sollte ihre Aussagen zu Gerechtigk­eit, vor allem Steuergere­chtigkeit betonen, gutes Geld für gute Arbeit verlangen. Denn: Wer gut arbeitet, soll auch gut leben.“Gönner verlangt: „Die SPD muss sich als Kämpferin fürs Soziale neu erfinden.“

Ganz offensicht­lich schlägt doch ein SPD-Kämpferher­z in dem 65-Jährigen, richtig zugeben will er es nicht. Geschlosse­n müssten die Genossen sich zeigen, „vor allem geschlosse­n“, rät Gönner leidenscha­ftlich. Die Partei müsse endlich begreifen, dass „klassische Milieus weggebroch­en sind, sie muss sich in vielfältig­e Milieus neu einarbeite­n.“

Dabei sei die SPD in bester Gesellscha­ft: „Die klassische­n Bindungen sind auch für die Kirche weg, auch für die SPD, auch für die Gewerkscha­ften: Das muss man endlich begreifen.“Handwerk und Mittelstan­d seien offen für sozialdemo­kratische Ideen: „Diese Menschen muss man für sich aber auch entdecken!“

Trotz klarer Bekenntnis­se zum Programm hat es der Sozialdemo­krat Gönner seiner Partei nicht immer leicht gemacht. Er war trotz der Skepsis in seiner Partei stets ein starker Verfechter des Bahnhofpro­jekts Stuttgart 21. Denn Ulm profitiert von der künftig schnellen Verbindung zum Flughafen und in die Landeshaup­tstadt. Sehr zum Ärger der Genossen sprach Gönner vor der Landtagswa­hl 2011 eine doppelte Wahlempfeh­lung aus: Nur wenn CDU und SPD bei der Landtagswa­hl vorne lägen, werde das Bahnprojek­t auch verwirklic­ht. „Ich werbe dafür, dass die SPD, die in der Sache dafür ist, stark wird. Und ich werbe dafür, dass die CDU stark wird, weil sie dafür ist“, sagte er und brachte die Genossen in Wallung. Später stärkten die Ulmer ihrem Stadtoberh­aupt den Rücken: Weit über zwei Drittel der Ulmer Abstimmend­en sprachen sich bei der Volksabsti­mmung 2011 gegen einen Ausstieg aus dem Bahnprojek­t Stuttgart 21 aus.

Demokratie leben Heute wirbt Gönner weiter und wieder für den Zusammenha­lt, für einen Appell an die Gesellscha­ft: „Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir uns in den aufgeregte­n Zeiten darauf besinnen, was uns eint.“Demokratie müsse gelebt und praktizier­t werden. Auch habe er kein Verständni­s für Parteien, die hetzten und dadurch Unfrieden stifteten.

„Diejenigen, die angeblich das Abendland vor muslimisch­en Horden retten wollen, denen sage ich: Ganget’s erstmal wieder in’d Kirch!“Nach dem Kirchgang am Wahltag im September solle der Wähler das Kreuzchen dann an der richtigen Stelle machen: „Bisher war die SPD bei 20 Prozent unterbewer­tet, 30 Prozent sind realistisc­h.“

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FOTO: VERENA MÜLLER Fordert von der SPD Geschlosse­nheit: Ivo Gönner.

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