Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die unbekannte Dominatorin
Mikaela Shiffrin bricht im Slalom alle Rekorde, in ihrer Heimat hat sie ihre Ruhe
ST. MORITZ (SID) - Ein Star? Sie?! Mikaela Shiffrin, zweimalige Weltmeisterin und Olympiasiegerin 2014 im Slalom, schüttelt den Kopf. „Ich fühle mich nicht wie ein Star“, sagt sie in St. Moritz nach dem Gewinn der Silbermedaille im WM-Riesenslalom, „wenn die Leute mich so nennen, ist es, als würden sie über jemand ganz anderen sprechen.“Nun ja. Die Amerikanerin ist längst mehr als das „Wunderkind“des alpinen Skisports. Während ihre große Teamkollegin Lindsey Vonn, im vergangenen Jahrzehnt die unumstrittene Nummer 1 der Szene, die Belastungen ihres Sports immer mehr zu spüren bekommt, hat das Zeitalter der Mikaela Shiffrin erst begonnen.
Shiffrin wird am 13. März 22 Jahre alt – und hat neben ihren drei Goldmedaillen bereits 28 Weltcup-Rennen gewonnen. Zum Vergleich: Vonn, die den Rekord des legendären Schweden Ingemar Stenmark jagt, erreichte diese Marke erst mit über 25. Allein in diesem Winter hat Shiffrin acht Siege eingefahren – so viele schaffte in so jungen Jahren nicht einmal Stenmark.
Und trotzdem kennen sie in ihrer Heimat USA nur die wenigsten. Andere Sportarten und Athleten stehen mehr im Vordergrund. „In Amerika bin ich nur ein Average Joe“, bekannte Shiffrin jüngst in der „Süddeutschen Zeitung“, ein Durchschnittstyp: „Kaum jemand außerhalb meines Heimatortes weiß, was ich eigentlich so mache.“
Und doch wird ihr in vier Wochen aller Voraussicht nach als jüngster Ski-Rennläuferin seit Janica Kostelic Nach dem medaillenlosen „Belastungstest“von Felix Neureuther (Platz 16) droht dem Deutschen Skiverband eine Alpin-WM ohne Edelmetall. Auch im Riesenslalom verpassten die deutschen Starter die Podestplätze in St. Moritz. Linus Straßer war auf einem ordentlichen zwölften Platz überraschend der Beste aus dem deutschen Trio. „Unglaublich, das erste Mal in die Punkte gefahren und dann noch bei der WM“, sagte Straßer im Ziel. Auf Sieger Marcel Hirscher aus Österreich fehlten dem 24-Jährigen 1,38 Sekunden. 2001 die große Kristallkugel überreicht werden. Dass bei ihr beim Gedanken daran nicht nur Freude aufkommt, liegt an der schweren Verletzung ihrer Rivalin Lara Gut. „Es tut mir leid für Lara“, sagt Shiffrin, aber „der Gesamtweltcup muss ein Kampf sein. Diese Aussage ist charakteristisch für die smarte Ausnahmeathletin: Shiffrin tritt stets fair gegenüber der Konkurrenz auf, aber sie liebt auch den Kampf Frau gegen Frau. Und: Für ihr Alter ist sie erstaunlich reflektiert. Als sie sich Ende 2015 einen Innenbandriss im rechten Knie zuzog, „habe ich mich in der Reha gefragt: Warum will ich zurück?“, erzählt sie.
Die WM-Titel, der Olympiasieg, all das sei „einfach passiert“, sie habe nie darüber nachdenken müssen, was sie da tat, behauptet Shiffrin. Doch die erste schwerere Verletzung habe alles geändert. Inzwischen frage sie sich: „Wo ist mein Platz im Sport, in der Welt?“Noch habe sie darauf keine Antwort.
Shiffrin ist auf der Suche. Nach dem perfekten Lauf, aber auch nach sich selbst. Angetrieben wird sie dabei auch von Mutter Eileen. „Sie stellt mir schwierige Aufgaben, nimmt mir Ausreden. Jeder große Champion braucht so jemanden.“
Ein solcher ist Shiffrin längst, zumindest in Europa. Am Samstag (9.45/ 13.00 Uhr, ARD und Eurosport) kann sie diesen Status zementieren, indem sie als erst zweite Frau nach Christl Cranz (1937-39) zum dritten Mal nacheinander den Titel im Slalom gewinnt. „Ich bin definitiv bereit“, sagt sie, „ich muss es nur laufen lassen.“