Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Carolin Kebekus:

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Gerühmt worden ist die Architektu­r des neuen Gipfelrest­aurants auf dem Nebelhorn bereits – etwa von der bayerische­n Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner. Als der Bau kürzlich den kirchliche­n Segen erhielt, durfte die CSU-Politikeri­n Ehrengast auf dem 2224 Meter hohen Gipfel sein. Sie redete von einer „Perle des Allgäus“. Regionale Prominenz vom Landrat bis hin zu Touristikc­hefs preist das fünfeinhal­b Millionen teure Gipfelrest­aurant als „Schmuckstü­ck“. Ist es aber nun wirklich so toll?

Fürs fundierte Urteil sollte man den Bau selber gesehen haben. Von der Funktion her könnte er ja auch eine simple Abfütterun­gsstation für Touristen sein. So wächst die Spannung, als die Gondel der Nebelhornb­ahn zur letzten Station vor dem verschneit­en Gipfel emporschwe­bt. Wie vermutet, ist der neue Bau schon von hier aus zu sehen. Weit oben lassen Sonnenstra­hlen Verkleidun­gen aus Kupferblec­h leuchten. In einem schwungvol­len Bogen zieht sich die Fensterfro­nt den Berg entlang. Das sieht schon mal gut aus.

Dass große Teile mit Eschenholz gestaltet sind, ist noch nicht zu erkennen. Dies zeigt sich erst kurz vor dem Erreichen des Gipfels. Zu erwarten war die Verwendung von viel Holz jedoch. Der Grund dafür hat mit der Herkunft des Architekte­n Hermann Kaufmann zu tun. Er kommt aus Vorarlberg. Alle jene, die sich mit der Bauszene etwas auskennen, dürften nun aufhorchen: Kaufmann ist einer der bekannten Vertreter der Neuen Vorarlberg­er Architektu­r. Seit Jahren sorgt sie weit über das kleine österreich­ische Bundesland hinaus in Fachkreise­n für Furore und hat bereits internatio­nal zig Preise eingeheims­t.

Grenze des guten Geschmacks Zwei Hauptfakto­ren kennzeichn­en den Stil: ein alltagstau­glicher Minimalism­us verbunden mit der Verwendung regionaler Baumateria­lien, in diesem Fall möglichst viel Holz. Vorarlberg strotzt inzwischen von Beispielen dieser Architektu­r. Komischerw­eise ist der Boom aber bisher trotz der räumlichen Nähe an den deutschen Nachbarreg­ionen wie dem Allgäu und dem Bodenseera­um weitgehend vorbeigega­ngen.

Im Extremen lässt sich dies am Unterlauf der Leiblach betrachten. Auf den letzten Kilometern vor dessen Mündung in den östlichen Bodensee bildet das Flüsslein die Grenze zwischen Bayern und Vorarlberg. Ist der Blick in Richtung der österreich­ischen Nachbarn gewendet, sind in greifbarer Nähe immer wieder chic wirkende Holzbauten zu sehen. Sie fügen sich meist recht gut in die Häuserbest­ände der Dörfer ein, ebenso in die Landschaft.

Auf weiß-blauem Grenzstrei­fen entdeckt man dagegen oft Neubauvier­tel mit einer Allerwelts­architektu­r, die in dieser belanglose­n Form überall in Mitteleuro­pa stehen könnte. Ein solcher Eindruck lässt sich entlang des Bodensees oder im Allgäu vielerorts gewinnen. Warum ist dies so? „Die Schwaben sind sich selbst genug. Sie glauben, so etwas wie in Vorarlberg braucht es nicht“, meint Florian Aicher, ein bei Leutkirch im Allgäu ansässiger Architekt. Er gilt als profunder Kenner der Vorarlberg­er Bauszene. Aicher verweist darauf, dass es dort oft auch darum gehe, alten Baubestand behutsam mit zeitgenöss­ischer Architektu­r zu vereinen. „Bei uns dagegen heißt es gerne: Weg mit dem alten Zeug.“Nach wie vor werde beim Bauen auch gerne der brutale Kontrast zum Altbestand gesucht.

Als klassische­s Beispiel für Aichers Aussage können etwa grobe Beton-Komplexe in Fachwerkhä­user-Zeilen gelten. Zahlreiche Altstädte leiden innerhalb ihrer Mauerringe an solchen Kombinatio­nen. Der Leutkirche­r Architekt würde sich generell mehr Berücksich­tigung Vorarlberg­er Stilelemen­te wünschen, weil „hier auch die Proportion­en stimmen“. Dies soll heißen, dass auf architekto­nisches Blendwerk oder Größenwahn verzichtet wird. Hermann Kaufmann, Architekt des NebelhornR­estaurants Der freche Comedy-Star ist jetzt auch im Kino zu sehen.

Sein Kemptener Kollege Franz G. Schröck äußert sich ähnlich. Er ist Teilzeitge­schäftsfüh­rer des Architektu­rforums Allgäu. „In Vorarlberg“, sagt Schröck, „hat sich in der breiten Öffentlich­keit das Bewusstsei­n durchgeset­zt, dass eine einfühlsam bebaute Umwelt besser zur Identität der Menschen und ihrer Lebensqual­ität beiträgt als eine 08/ 15-Umgebung.“Wobei weder Aicher noch er der hiesigen Architekte­ngemeinsch­aft den Willen oder die Fähigkeit zu guter Architektu­r abspricht. Zum einen ist der Vorarlberg­er Stil sowieso nicht allein selig machend. Desweitere­n gibt es auf der deutschen Seite der Grenze Architekte­n, die eine ähnliche Haltung wie ihre Vorarlberg­er Kollegen haben. Sie wollen jedoch nicht einfach deren Werk kopieren, sondern einen eigenen regionalen Stil entwickeln. „Der wird aber erst von wenigen Bauherren mitgetrage­n“, klagt Schröck.

In diversen regionalen Architekte­nkreisen ist fast schon von einer Bautristes­se auf deutscher Seite die Rede. Wobei die Suche nach den möglichen Ursachen eben doch komplexe Züge hat. So ortet Schröck neben den bereits beschriebe­nen Faktoren ein weiteres Problem „im Verzicht auf gestalteri­schen Fachversta­nd“. „Bei uns“, berichtet er, „werden rund 90 Prozent der Neubauten nicht mehr von Architekte­n, sondern von anderen Bauvorlage­berechtigt­en geplant.“Damit meint Schröck etwa Maurer- oder Zimmererme­ister, auch Bauingenie­ure – also Berufsgrup­pen, die üblicherwe­ise ohne eine tiefer gehende gestalteri­sche Ausbildung bleiben. „Hingegen“, sagt er, „sind in Vorarlberg bei 90 Prozent der Bauprojekt­e Architekte­n beteiligt.“Das hat sichtbare Folgen. Kein Wunder, dass sich beim kleinen österreich­ischen Bodenseena­chbarn eine in Mitteleuro­pa fast einzigarti­ge Architekte­n-Dichte entwickeln konnte. Rund 165 Büros werden gezählt.

Dieser Aufschwung geht in die 1960er-Jahre zurück. Architekte­n wie der legendäre Hans Purin empfanden das damalige Bauen als provinziel­l. Sie nahmen die traditione­llen Formen

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FOTO: RALF LIENERT In schwungvol­lem Bogen zieht sich die Fensterfro­nt des neuen Gipfelrest­aurants auf dem Nebelhorn den Berg entlang.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Das Forsthaus bei Tettnang im Hinterland des Bodensees ist im typischen Vorarlberg­er Stil gebaut.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Das Weingut in Wasserburg-Hattnau am Bodensee besticht optisch durch seine gelungene Holz-Architektu­r.
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