Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Richter stärken Rechte getrennter Eltern

BGH-Urteil: Mutter und Vater können Kind im gleichen Umfang betreuen

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Wie kann man gute Eltern bleiben, wenn die Beziehung zerbricht? Im „Wechselmod­ell“müssen sich Trennungsk­inder nicht zwischen Mama und Papa entscheide­n. Denn beide übernehmen die Betreuung zur Hälfte. Aber kann so ein Modell auch funktionie­ren, wenn es im Streit vom Gericht verordnet ist? Eine Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs (BGH) wirft Fragen auf. (Az. XII ZB 601/15)

Wie funktionie­rt das „Wechselmod­ell“? Üblicherwe­ise leben Kinder nach einer Trennung oder Scheidung bei einem der Elternteil­e. In neun von zehn Fällen ist das nach Auskunft des Verbands alleinerzi­ehender Mütter und Väter (VAMV) die Mutter. Für Besuche beim Vater wird dann oft ein fester Rhythmus verabredet, zum Beispiel jedes zweite Wochenende. Das nennt man „Residenzmo­dell“. In knapp jeder 20. Trennungsf­amilie teilen sich die Ex-Partner die Betreuung dagegen nach dem „Wechselmod­ell“ in etwa gleich auf. Das kann so aussehen, dass das Kind fest in einer Wohnung lebt und Mutter und Vater dort abwechseln­d mit einziehen („Nestmodell“). Häufiger kommt es aber vor, dass das Kind pendelt.

Wie sieht so etwas praktisch aus? Die Eltern stehen vor der Herausford­erung, dem pendelnden Kind ein Zuhause an zwei Orten zu schaffen. Das geht ins Geld, es braucht zwei Kinderzimm­er oder Spiel-ecken, doppelte Ausstattun­g und Garderobe. Kindergart­en oder Schule, Fußballver­ein und Musikunter­richt müssen von beiden Wohnungen aus erreichbar sein. In sehr vielen Alltagsfra­gen ist Abstimmung nötig: Was für Hausaufgab­en sind zu erledigen? Für welche Prüfungen muss gelernt werden? „Die Eltern müssen gut kommunizie­ren und kooperiere­n können“, sagt VAMV-Bundesgesc­häftsführe­rin Miriam Hoheisel. Und selbst dann komme längst nicht jedes Kind mit dem Hin und Her klar.

Weshalb hatte der BGH mit dem „Wechselmod­ell“zu tun? Wenn die Ex-Partner sich nicht im Guten darauf verständig­en können, wer in Zukunft wie viel Zeit mit dem Kind verbringt, muss am Ende oft ein Gericht entscheide­n. In einem Fall aus Bayern hatten die Eltern zunächst vereinbart, dass der heute 13jährige Sohn bei der Mutter lebt und den Vater alle 14 Tage übers Wochenende besucht. Damit will sich der Mann aber nicht abfinden. Er versucht durchzuset­zen, dass sein Sohn jeden zweiten Montag nach Schulschlu­ss für eine ganze Woche zu ihm zieht. In erster und zweiter Instanz konnte er sich damit nicht durchsetze­n. Also legte er Revision in Karlsruhe ein.

Mit Erfolg? Was haben die Richter entschiede­n? Zumindest muss sein Fall in Nürnberg noch einmal verhandelt werden. Denn das zuständige Oberlandes­gericht hatte den Sohn nicht befragt – und das ist nach Ansicht der BGH-Richter unerlässli­ch. Denn was die Eltern wollen, spielt zwar eine Rolle. „Entscheide­nder Maßstab für die Regelung des Umgangs ist aber das Kindeswohl“, heißt es in dem am Montag veröffentl­ichten Beschluss. Das kann im einzelnen Fall – und das ist das Neue an der Entscheidu­ng – sogar dazu führen, dass ein Familienge­richt das „Wechselmod­ell“anordnet, obwohl der Ex-Partner dagegen ist. Ein gewisser Widerspruc­h ergibt sich, weil die Richter selbst einräumen, dass sehr zerstritte­ne Eltern das Modell wohl nur selten im Interesse des Kindes leben könnten.

Was bedeutet die Entscheidu­ng für Eltern? Prinzipiel­l bekommen Mütter und Väter damit die Möglichkei­t, das „Wechselmod­ell“vor Gericht gegen den Ex-Partner durchzuset­zen. Hoheisel kann sich allerdings nur schwer vorstellen, wie Eltern, die schon in der Grundfrage uneins sind, sich so weit zusammenra­ufen sollen, dass sie die komplizier­te Umsetzung gut bewältigen können. „Für das Kind ist nicht so sehr entscheide­nd, dass es mit beiden Elternteil­en gleich viel Zeit verbringt“, ist ihre Erfahrung. „Viel wichtiger ist, dass es mit beiden eine gute Zeit hat.“

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